Filmkritik zu Aufbruch zum Mond

Bilder: Universal Pictures International Fotos: Universal Pictures International
  • Bewertung

    Optisch berauschender Trip zum Mond

    Exklusiv für Uncut von den Filmfestspielen in Venedig
    Ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Schritt für die Menschheit – Neil Armstrong ist als erster Mensch auf dem Mond unsterblich geworden. Seinem historischen, im wahrsten Sinne des Wortes, Fußabdruck hat US-Regisseur Damien Chazelle nun ein filmisches Denkmal gesetzt. Der Film, der sich auf Armstrongs Jahre beim Projekt Gemini und später Apollo konzentriert, besticht aber leider weniger durch ein gut durchdachtes dramaturgisches Korsett, überwältigt dennoch in seinen Weltallszenen durch beeindruckende Kameraarbeit und berauschendes Sounddesign- und Mixing.

    Armstrong (Ryan Gosling) ist anno 1961 Astronaut bei der NASA und fällt immer wieder durch sein Querdenken auf. Während bei seinen Forschungsflügen die Bodenkontrolle schon einmal am Ende ihrer Weisheit ist, findet er mit schnellen Berechnungen und dem Drücken von einer Knopfabfolge schnell wieder sicher auf die Erde zurück. In seinem Familienleben dagegen geht es weniger heil zu. Nach dem Verlust seiner kleinen Tochter Karen durch einen Hirntumor startet er einen Neuanfang und zieht mit seiner Frau Janet (Claire Foy) und seinen Söhnen Mark und Ricky nach Houston um am Gemini-Programm teilzunehmen. Ziel ist es, die Russen im Raumfahrt-Wettlauf endlich einzuholen und als erster am Mond zu landen.

    Der Auftakt, der im Schnelldurchlauf abgehandelt wird, offenbart bereits die ersten Probleme von „First Man“. Gosling kreiert zwar wie gewohnt mit Einfühlsamkeit eine Persona auf der Leinwand, das Skript weiß aber nicht so genau was für einen Mann es da zeigen soll. Armstrong und seine Motivation bleiben wie hinter einem Nebelschleier versteckt, aus dem sich hin und wieder ein Hinweis herauskristallisiert. Die Tatsache, dass die Geschichte auch einen Rahmen von acht Jahren abzudecken versucht verhindert, dass seine Charaktere sich tiefer entfalten können.

    Der Film kann auch nicht vollends zufriedenstellend beantworten, warum die Raumfahrt den Figuren so wichtig ist. Armstrong spricht von einer Bescheidenheit, wenn man an den Rand der Atmosphäre gerät. Präsident John F. Kennedy schwadroniert in einer historischen Aufnahme im Fernsehen von einer Entscheidung, die man so gefällt hat: Ein Mann an Mond. Gegeben der Unschlüssigkeit des Films, warum diese Männer jetzt Helden sind, werden auch die Proteste der 68er über „diese Verschwendung des amerikanischen Steuergelds“ nur kurz der Vollständigkeit halber angerissen und nicht weiter erläutert.

    Worauf der Film sich hingegen einlässt, ist das große Opfer der Astronauten, der Tod, dem sie mutig entgegentreten und den einige der Charaktere auch im Laufe des Filmes bei Testflügen finden werden. Eine kritische Auseinandersetzung dessen gestattet sich Chazelle aber nicht, er verbindet dies viel lieber mit dem Trauma Armstrongs, seine Tochter verloren zu haben. Ob diese Korrelation wirklich so stimmt oder als dramatischer Effekt eingebaut wurde sei dahingestellt. Der Mondflug selber ist dann auch überraschend kurz und wirkt ob der langen Einleitung dann doch etwas enttäuschend und wie eine Fußnote im Films.

    Die lange Liste an „entbehrlichen Nebendarstellern“ schafft zudem ihre eigenen Probleme. Chazelle, der sich als Regisseur einen guten Ruf erarbeitet hat, zieht mittlerweile schon haufenweise große Namen an. Das funktioniert aber nicht immer zu seinem Vorteil. Die Tatsache, dass Patrick Fugit oder Ciaran Hinds immer wieder durchs Bild huschen aber nur kleine Rollen haben, verwirrt als Zuseher. Dass man den ewigen Nebendarsteller Ethan Embry für drei Einstellungen ohne Dialog verpflichtet ist Verschwendung. Und dass man bei einem Film, der von der ersten Mondlandung handelt, am Schluss auch nicht dazugelernt hat, dass der weitgehend unbekanntere dritte Astronaut Michael Collins hieß, ist ebenfalls enttäuschend.

    Wo der Film wirklich zu strahlen beginnt ist, wenn Chazelle wieder in der Bild- und Tonkiste spielen kann. Ungleich eines „Apollo 13“, eines „Gravity“ oder eines „Der Marsianer“ ist sein Weltraum kein Sci-Fi-Traum und Technik-Eye-Candy. Sobald Armstrong und sein Team in die Raketen steigen verengt sich die Perspektive, Kameramann Linus Sandgren rückt seinen Figuren quasi ins Gesicht um jede Emotion einzufangen. Das Cockpit offenbart sich nur durch ein kleines Fenster, dass bei jedem Start so lange ruckelt und vereist bis es in der Umlaufbahn ist, Knöpfen, die immer wieder zu leuchten beginnen und einem Haufen Metall, der das Schiff weniger wie den nächsten Schritt der Menschheit wirken lässt, sondern wie jenes klaustrophobische kleine Grab in das es sich für manche verwandelt.

    Sandgren ist mit der Linse mitten im Geschehen, wenn es wackelt, wackelt das Bild, wenn es hektisch wird schwenkt die Kamera durch den Raum. Begleitet wird diese Paranoia durch ein scharfes Sounddesign das wohl oscarreif ist. Wenn die Rakete zu kreischen beginnt, die Alarme losschlagen und die freie Rotation wie ein Dopplereffekt um die Ohren schwingt, dann sitzt man nicht mehr im Kinosaal, sondern fühlt sich selber auf den Weg zum Mond.

    „First Man“ wird bei den kommenden Oscars kaum ein Front Runner werden, hat aber in den technischen Kategorien hervorragende Chancen abzusahnen. Für alle seine technische Finesse kann er jedoch nicht jenes Märchen reproduzieren, dass Millionen von Menschen rund um den Globus an jenem 20. Juli 1969 am Bildschirm erlebten.
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    (Susanne Gottlieb)
    30.08.2018
    19:49 Uhr
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