Filmkritik zu Loving Vincent

Bilder: Lunafilm, Weltkino Fotos: Lunafilm, Weltkino
  • Bewertung

    Technik über Inhalt

    Exklusiv für Uncut
    Den Menschen Vincent van Gogh näher zu bringen ist kein einfaches Unterfangen. Aber eines, dass sich die Macher von „Loving Vincent“ zum Auftrag genommen haben. Dabei beschreiten sie komplett neue Wege. Der Film wird komplett in Ölbildern im Stil von Vincent van Gogh erzählt. Die Bilder erhalten Leben, verhalten sich wie eine Filmrolle und geben den oft nicht zusammenhängenden Werken eine Narrative. Tatsächlich ist dieser visuelle Aspekt auch sehr beeindruckend. 125 Maler haben über sechs Jahre hinweg van Goghs Werk adaptiert und 65.000 Bilder geschaffen, die auf Aufzeichnungen von realen Schauspielern basierten, Gemälde wie „Sonnenblumen“ oder „Portrait des Dr. Gachet“ strahlen in kräftigen Farben, und verlassen auch ihren zweidimensionalen Raum, während die Kamera um das Setting rotiert.

    Obwohl diese Technik sehr beeindruckend ist, bleibt der Krimiplot etwas unausgeglichen und der Dialog sehr platt. Vor allem am Anfang ist „Loving Vincent“ überladen und nicht zusammenhängend. Es verlässt sich zu sehr auf ausuferende Flashbacks und erweiterte Exposition. Der Sohn eines Postmanns, Armand Roulin (Douglas Booth), bekommt den Auftrag einen kürzlich wiedergefundenen Brief von Vincent van Gogh, der zu diesem Zeitpunkt schon ein Jahr tot ist, an seinen Bruder Theo zuzustellen. Roulin muss herausfinden, dass Theo mittlerweile ebenfalls gestorben ist, was seinen treuhänderischen Doktor, Paul Gachet, zum nächstbesten Empfänger macht. Während er auf ihn in Auvers-sur-Oise, van Gogh’s letztem Wohnort, wartet, beginnt er mit den Ansässigen über den Tod des Malers zu reden. Viele Dinge scheinen aber keinen Sinn zu ergeben. Roulin, der seine Aufgabe ursprünglich ablehnt hat, beginnt davon besessen zu sein, die Wahrheit herauszufinden.

    „Sie wollen so viel über seinen Tod wissen, was wissen Sie von seinem Leben?“, fragt eine aufgebrachte Marguerite Gachet (Saoirse Ronan), eine Vertraute van Goghs, Armand. Sie hat Recht: Roulin jagt den Geist von etwas, das er nicht ganz begreifen kann. Das reflektiert sich wunderbar in der Verwirrung und der Agressivität, die Booths gemaltes Alter Ego zur Schau trägt. Niemand wird je wirklich verstehen was mit van Gogh in diesen finalen Tagen passiert ist. „Loving Vincent“ versucht es erst gar nicht, sondern bietet einen Lobgesang für den Toten, eine Checkliste von biographischen Eckpunkten und berühmten Gemälden die gezeigt werden. Erst gegen Ende, als Roulin sich seinen eigenen Geistern stellt und die finalen Verdächtigen einkreist, beginnt der Film wirklich die Aufmerksamkeit der Zuschauer einzufangen und Gedankengänge zu motivieren. Und wie bei den Gemälden des Meisters selber, wenn „Loving Vincent“ dieses Status endlich erreicht, bleibt es noch eine Weile hängen nachdem die Credits schon lange vorbei sind.
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    (Susanne Gottlieb)
    22.12.2017
    22:41 Uhr
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