Filmkritik zu Lady Bird

Bilder: Universal Pictures International, A24 Fotos: Universal Pictures International, A24
  • Bewertung

    Greta Gerwig und der ewige Coming-Of-Age-Zauber

    Exklusiv für Uncut
    Greta Gerwig macht Coming-Of-Age-Filme immer zu einer besonders beflügelnden Erfahrung. Dementsprechend ist der Titel für ihr Regiedebüt gut gewählt, denn auch der Titelfigur werden (zumindest mit ihrem Spitznamen) Flügel verliehen. Oder noch besser Lady Bird verleiht sich ihre Flügel (sowie auch ihren Spitznamen) selbst. Denn ihre Geschichte ist eine über Selbstverwirklichung und sie schreibt sie selbst. Damit wird „Lady Bird“ zum emanzipatorischen Filmerlebnis, das wir gerade so sehr brauchen.

    So ähnlich sieht das wohl auch die Academy, denn diese nominierte „Lady Bird“ für fünf Oscars, darunter zwei Nominierungen für Greta Gerwig in den Kategorien Beste Regie und Bestes Originaldrehbuch. Zwar wirkt es so, als wolle die Academy ein politisches Zeichen setzen und als hätte sie Gerwig zur Quoten-Frau der diesjährigen Oscars erkoren, dennoch sind die Nominierungen mehr als verdient.

    Im Regiesessel sitzt Gerwig zwar zum ersten Mal, man sieht aber, dass sie aus der engen Zusammenarbeit mit den Regisseuren und Regisseurinnen ihrer bisherigen Filmprojekte viel gelernt hat. Ihre größte Inspiration dürfte sie wohl vor allem aus der New Yorker-Filmszene rund um Joe Swanberg und Noah Baumbach ziehen. Gerwig kreiert Bilder, die beinahe ikonischen Charakter haben und sich gut auf Postkarten machen würden, einer New Yorker-Hipster-Ästhetik entsprechen und dabei genau das Gegenteil darstellen – nämlich ein mittelbürgerliches, katholisch-konservatives Sacramento Anfang der 00er Jahre.

    Erzählt wird die Geschichte von Christine, oder wie sie sich selbst nennt, Lady Bird. Die 17-Jährige trennt auf ihrer katholischen High-School noch ein letztes Jahr von ihrem Schulabschluss. Während sie mit den üblichen Teenager-Problemen wie Akne, einer sturen Mutter, Diskrepanzen mit der besten Freundin, der Bürde der Entjungferung und der ersten Liebe kämpft, macht sie vor allem eins: Zukunftspläne schmieden. Denn Lady Bird will vor allem raus aus Sacramento, will auf eine gute Uni, will dahin, wo der intellektuelle Bär steppt. Und sie tut dies mit einer eisernen Entschlossenheit. Sie träumt nicht, sie macht. Sie hofft nicht, sie plant. Lady Bird ist so eigenmächtig und stark, wie wir es alle gern wären, ohne dabei perfekt zu sein oder immer die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das macht es leicht, sie ins Herz zu schließen, mit ihr zu wachsen und aus ihren Fehlern zu lernen. Denn ihre Fehler haben wir, wenn wir ehrlich sind, ohnehin schon alle gemacht. Und nur aus manchen gelernt.

    Nicht allein Lady Birds Charakterzüge machen sie so liebenswert, auch Saoirse Ronans Oscar-nominierte Performance trägt ihren Teil dazu bei. Die sympathische Irin mimt verblüffend authentisch die komplexe, amerikanische Heldin des Films und verleiht Greta Gerwigs Humor ein neues Gesicht, ohne dabei wie ihre Kopie zu wirken. Ebenfalls Oscar-nominiert ist Laurie Metcalf (aus der 90er Serie „Roseanne“), die Lady Birds Mutter spielt. Ihr Mutter-Tochter-Konflikt ist einer der zentralen im Film und es ist großartig, den beiden Schauspielerinnen dabei zuzusehen, wie sie diesen austragen. Auch andere Nebenrollen sind nennenswert besetzt, etwa Lucas Hedges als Lady Birds erster Freund, dem der Film einen seiner berührendsten Momente verdankt, Timothée Chalamet als Schwarm, von dem Lady Bird eine der ehrlichsten Lektionen über Sex lernt und Beanie Feldstein als beste Freundin, die wir auch gerne hätten. Alle tragen sie dazu bei, diesen ohnehin schon großartigen Film noch ein wenig sehenswerter zu machen.

    Auch das Setting nimmt eine zentrale Rolle im Film ein. Er spielt nicht nur zufällig im kalifornischen Sacramento. Greta Gerwig selbst ist dort aufgewachsen. Schnell wird klar, es ist nicht nur die Geschichte irgendeiner jungen Frau, es ist Gerwigs eigene. „Lady Bird“ versteht sich als Liebeserklärung an Sacramento, aber auch als Liebeserklärung an die Flucht aus Sacramento; als Liebeserklärung an ihre Eltern, aber auch als Liebeserklärung an die Distanz, die man beim Heranwachsen zwischen sich und seine Eltern bringt – dieses wunderschöne Gefühl irgendwo zwischen Befreiung und sentimentalem Heimweh.

    Greta Gerwig schrieb das durch ihr eigenes Leben inspirierte Drehbuch selbst und liefert uns quasi die Vorgeschichte zu „Frances Ha“, Noah Baumbachs Indie-Erfolgshit aus 2012, in dem Gerwig die Hauptrolle spielte und ebenfalls maßgeblich am Drehbuch beteiligt war. Es gibt viele Parallelen zwischen den zwei Filmen - und den zwei Frauen. Auch in „Frances Ha“ gibt es eine Sequenz, die in Sacramento spielt. Beide Filme sind nach ihrer Titelfigur benannt und beide Frauen stehen am Ende an der Schwelle zu einem neuen Lebensabschnitt. Jener von Lady Bird wird durch den Auszug von Zuhause markiert, während Frances ihre erste eigene Wohnung bezieht. Vor allem aber erzählen beide Filme eine rührende Coming-Of-Age-Story, in der sich eine Frau selbst verwirklicht und lernt, auf ihren eigenen zwei Beinen zu stehen, ohne sich dabei – wie in Hollywood-Filmen leider üblich –von der Erfüllung in der Liebe abhängig zu machen.

    Genau das macht Lady Bird auch zu dem cleveren, feministischen Film, den wir gerade brauchen. Es ist ein Film, bei dem man mit seiner besten Freundin lachen kann. Ein Film, bei dem man mit seiner Mutter weinen kann. Oder ein Film, den man einfach allein genießen kann. Aber kein Film, für den man ein Date braucht.
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    (Marina Ortner)
    27.02.2018
    22:38 Uhr
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