Bilder: 20th Century Fox, abc-films Fotos: 20th Century Fox, abc-films
  • Bewertung

    Kindheit im Blitzlichtgewitter

    Exklusiv für Uncut
    Egal ob groß oder klein, jung oder alt - jeder kennt ihn, viele lieben ihn: „Winnie-the-Pooh“ oder Pu der Bär, wie er bei uns genannt wird, ist zweifelsohne einer der beliebtesten Kinderbuchcharaktere aller Zeiten. Der kleine honigliebende Bär trat erstmals im 1926 erschienen Kinderbuch „Winnie-the-Pooh“ auf, das aufgrund des enormen Erfolgs eine gesamte Buchreihe mit sich zog. Die Abenteuer, die der Menschenjunge Christopher Robin gemeinsam mit seinen tierischen Freunden rund um Winnie, Ferkel, Tigger oder dem Esel I-Aah im illustren Hundertsechzig-Morgen-Wald erlebt, schenkten einer von Krieg gezeichneten Gesellschaft wieder Hoffnung und konnten junge Leser auf der ganzen Welt begeistern. Hierzulande konnte das Franchise vermutlich insbesondere durch die zahlreichen TV-Serien, Filme und Merchandise-Artikel über Pu und seine Freunde, die in den letzten 50 Jahren unter der Walt Disney Company erschienen sind, Bekanntheit erlangen.

    Kaum jemand kennt jedoch die tragischen Realereignisse, die die Entstehung der Originalbücher zu verantworten hatte. Dieser düsteren Hintergrundgeschichte widmete sich nun Filmemacher Simon Curtis (u.A. „My Week with Marilyn“) in seinem biographischen Drama „Goodbye Christopher Robin“.

    Der britische Autor A.A. Milne (Domhnall Gleeson) kehrt 1916 nach einem Soldateneinsatz aus dem Ersten Weltkrieg zu seiner Frau Daphne (Margot Robbie) zurück und kann die dort erlebten Geschehnisse zunächst nur schwer verarbeiten. Als wenig später dessen Sohn Christopher Robin (Will Tilston) zur Welt kommt, gibt ihm dessen unschuldige Präsenz schon bald Inspiration für einen neuen Roman, der ihm helfen sollte über sein post-traumatisches Stress-Syndrom hinwegzukommen. Da Christopher Robin es liebt mit seinen selbstgetauften Plüschtieren, angeführt vom Teddybären Winnie, zu spielen, beginnt Milne ein Kinderbuch rund um die Abenteuer einer fiktionalisierten Version seines Sohnes und dessen tierischen Freunden zu schreiben. Das Buch entpuppt sich ob des hoffnungsbringenden Charmes zu einem Sensationserfolg, was zur Folge hat, dass zahlreiche Journalisten und Leser des Buchs, den „echten“ Christopher Robin kennenlernen möchten. Anfangs noch erfreut von der ganzen Aufmerksamkeit, steigt dem kleinen Christopher, der selbst lieber „Billy Moon“ genannt werden möchte, das ganze Blitzgelichtgewitter zu Kopfe und hindert ihn daran, eine gesunde Beziehung zu seinen Eltern aufzubauen.

    Curtis gelingt es mit seiner biographischen Aufrollung der Realereignisse weitestgehend mit gut gemachtem Kitsch auf die Tränendrüse der Zuschauer zu drücken, schafft es aber nie wirklich konsequent an seinen Figuren dranzubleiben. Konzentriert sich das erste Drittel des Dramas noch in erster Linie auf das PTSD, unter dem Milne nach seiner Rückkehr aus dem Krieg zu leiden hat, wird dieser Aspekt ab einem gewissen Punkt binnen Sekunden zur Seite geschoben, um nun den Hauptfokus auf die Beziehung von Christopher Robin und dessen sorgsamer Nanny Olive (Kelly Macdonald) zu legen. Man hat das Gefühl, als wollte Curtis derart viele Informationen rund um das Leben der Milne-Familie in seinem Film nacherzählen, dass gewisse Erzählstränge ab einem gewissen Punkt einfach links liegen gelassen wurden. Es fehlt dem Ganzen dadurch leider über weite Strecken hinweg jegliches Feingefühl für seine Charaktere, weswegen der Film durch plumpe emotionale Manipulation des Zuschauers oft daran versucht ist, den Zuschauer über die einseitigen Figurenzeichnungen hinwegsehen zu lassen. Zugegebenermaßen können szenenweise die starke Darstellung von Domhnall Gleeson in der Rolle des A. A. Milne sowie das emotionale Zusammenspiel zwischen Will Tilston und Kelly Macdonald die fehlende Charaktertiefe kaschieren, schaffen es aber auch nicht die ganzen Versatzstücke an Charaktereigenschaften zu glaubhaften Figuren zusammenzubauen. Besonders schlimm ist dabei die Charakterisierung der von Margot Robbie verkörperten Daphne Milne. Diese wird durchwegs als fast schon comichaft bösartige Mutterfigur porträtiert, der es an jeglichen Ecken und Kanten fehlt, was ihren Charakter ab einem Punkt zur reinen Karikatur verkommen lässt.

    Aus dem Sammelsurium an Ideen und Ansätzen, denen der Film sich bedient, ist der Aspekt, der am konsequentesten beleuchtet wird, die Kritik an der Vernachlässigung der Eltern und der Ausbeutung der Medien. Jedoch auch hier hat man sich in den letzten fünf Minuten des Films für einen plumpen Lösungsansatz für die Problematik entschieden, der die schamlose Ausbeutung der Medienlandschaft verharmlost, nur um den guten Namen des „Winnie Pooh“-Franchises nicht durch den Dreck zu ziehen.

    Am Ende des Tages lässt sich somit sagen, dass Simon Curtis' Drama „Goodbye Christopher Robin“ zwar definitiv kein furchtbarer Film geworden ist, aber so ziemlich die Personifikation einer durchschnittlichen Oscar-Bait-Biographie. Zwar kann das Drama durch schön ausgestattete Szenerien und überzeugende Darsteller punkten, schafft es aber durch ein zerstückeltes Narrativ, das im Aufbau einem Wikipedia-Artikel gleich, nie wirklich authentische Figuren zu kreieren. Die faszinierende Hintergrundgeschichte hätte einen stringenter erzählten Film verdient gehabt - schade!
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    (Christian Pogatetz)
    16.06.2018
    23:36 Uhr