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    Mamoru Oshii, ein Meister des Anime, versucht sich im Realfilm

    Eldritch Advice
    Der japanische Regisseur Mamoru Oshii ist am besten durch seine Arbeit im Anime Bereich bekannt, da vor allem durch sein Meisterwerk „Ghost in the Shell“ welches 2017 eine eher durchwachsene Live-Action Adaptation erfuhr. Dies war allerdings nicht die erste Realfilmdarstellung von Oshiis dystopischer Vision der Zukunft. Bereits im Jahre 2001 machte er sich in der japanisch-polnischen Koproduktion „Avalon“ selbst daran diese mit tatsächlichen Schauspielern und Drehorten zu verwirklichen. Die Zusammenarbeit mit dem polnischen Produktionsteam erwies sich dabei als Glücksfall. Die polnischen Streitkräfte stellten ihm Panzer und andere militärische Ausrüstung für den Dreh kostenfrei zur Verfügung, während Städte wie Warschau und Breslau seine düstere Science Fiction Ästhetik perfekt widerspiegelten. Diese Ästhetik vermischte er mit Elementen der Artussage zu dem titelgebenden militärischen Rollenspiel „Avalon“.

    In einer dunklen Zukunft gibt das illegale virtuelle Rollenspiel „Avalon“ Menschen die Möglichkeit echtes Geld zu verdienen, birgt aber auch eine ebenso reale Gefahr. Da man sich mittels eines Helmes mit dem eigenen Hirn in das Spiel einloggt, besteht das Risiko beim Ableben der Spielfigur einen Hirntod zu erleiden. In einem Leben das ohnehin von Tristesse bestimmt ist lässt sich jedoch kaum jemand davon abschrecken. Dazu zählt auch Ash; sie ist eine der Besten in diesem Spiel. Allein mit ihrem Hund in einer kleinen Wohnung lebend, ist „Avalon“ nicht bloß ihre einzige Einnahmequelle, sondern darüber hinaus ihr Lebensinhalt. Sie war einst Teil des legendären „Team Wizard“, zieht seit dem tragischen Zusammenbruch ihrer Einheit allerdings solo durch die virtuelle Welt. Dabei stößt sie vermehrt auf Erzählungen die von einem „Glitch Charakter“ handeln, ein junges Mädchen namens Ghost. Gerüchten zur Folge kann man durch sie in einen geheimen Level vorstoßen. Dieser soll zwar ungeahnte Schätze beherbergen, genaueres ist aber nicht bekannt, denn es kehrte nie jemand von dieser Queste retour. Zu diesen verlorenen Seelen zählt auch Murphy, ein ehemaliger „Team Wizard“ Gefährte von Ash. Sie setzt nun alles daran Ghost zu finden und ist bereit dafür die gefährliche Grenze zwischen Realität und Fiktion zu überschreiten.

    Ich muss sagen … ich bin positiv überrascht.

    Mit einem Budget von ungefähr acht Millionen Euro ist es nur logisch, dass Oshii nicht jene Effekt Qualität erzielen konnte wie sie etwa in einem Anime möglich gewesen wäre. Besonders ersichtlich ist dies in jenen Szenen die im Spiel „Avalon“ stattfinden. Genau das ist allerdings auch der Grund warum die Effekte bis heute standhalten. Da es eine computergenerierte virtuelle Welt ist, muss das Auge der Zuseher nicht durch Photorealismus getäuscht werden um zu überzeugen. Ganz im Gegenteil, diese unvollkommenen Effekte haben einen gewissen Reiz und sind ein wichtiger Teil des Plots, insbesondere dann wenn Ash sich nicht mehr sicher ist ob sie sich im Spiel oder der Realität befindet. Sowohl die reale als auch die digitale Welt betrachten wir größtenteils durch einen Sepiafilter. Dieser verleiht dem Film ein mystisches sowie trostloses Ambiente, das von dem grandiosen Soundtrack des Komponisten Kenji Kawai auf eine fabelhafte Art und Weise unterstützt wird.

    Liest man sich die Biografien der mitwirkenden Schauspieler durch ist klar ersichtlich, dass „Avalon“ für die meisten davon bis dato der Höhepunkt ihrer Karriere ist. Dies ist nicht verwunderlich, denn zwar lieferten sie allesamt eine ordentliche Arbeit ab, vermochten es allerdings nicht dem Film ihren Stempel aufzudrücken. Die Protagonistin Ash ist ein gutes Beispiel dafür. Malgorzata Foremniak brillierte in dieser Rolle zweifelsohne durch ihr Charisma sowie ihren Einsatz in den Actionszenen, konnte aber insbesondere die emotionalen Momente nicht überzeugend darstellen. In diesen wirkt sie leider viel zu apathisch; was sehr schade ist, denn der Film verfügt über einige gute Szenen die ein dramatisches Talent benötigt hätten. Mittelmäßig mag zwar harsch klingen, aber ist wohl der passende Ausdruck für die hier dargebotenen schauspielerischen Leistungen.

    Ist dieser Film eines freitäglichen Filmabends würdig?

    Als ich „Avalon“ 2001 zum ersten Mal auf DVD sah, konnte mich Oshiis dystopisches Werk noch nicht so richtig überzeugen, obwohl „Ghost in the Shell“ stets ein Film war den ich über alle Maßen hinaus schätzte. Wieso aber war dies der Fall, wo ich doch selbst in jungen Jahren schon ein Fan dieses Genres war? Des Rätsels Lösung liegt in der Vermarktung. Im Trailer und auf dem DVD Cover werden schwere Geschütze aufgefahren - Panzer rollen, Schüsse fallen und ringsumher finden Explosionen statt. Geht man also mit der dadurch vermittelten Einstellung einen rasanten Actionstreifen zu sehen an diesen Film heran, ist es kein Wunder wenn man im Nachhinein ob der gemächlichen Erzählstruktur, dem Fokus auf zwischenmenschliche Beziehungen und der wenigen Actionszenen entweder enttäuscht oder zumindest irritiert ist.

    Jetzt, also 16 Jahre später, wusste ich genau worauf ich mich einließ als ich mir den Film zu zweiten Mal zu Gemüte führte, und mir gefiel was ich sah. „Avalon“ verfügt über interessante Ansätze zu wichtigen Themen wie: Was ist Realität, Was ist das eigentliche Ziel eines Spiels und ab welchem Punkt kollidieren Realität und Fiktion? Allerdings bleibt es nur bei den Ansätzen und die Lösungen auf diese Fragen obliegen der Interpretation der Zuseher. Dies kann man entweder als schlechte Schreibarbeit abtun oder es dem Verfasser des Drehbuches zugutehalten, dass er den Zuseher selbst entscheiden lässt. Da es sich beim Verantwortlichen um Kazunori Itô handelt, der auch das Drehbuch zu „Ghost in the Shell“ schrieb, entscheide ich im Zweifelsfall für ihn.

    Paradoxerweise ist die größte Schwäche des Films auch seine größte Stärke. Dabei handelt es sich um sein Dasein als Realfilm. Als Anime wäre mit diesem Thema visuell wesentlich mehr möglich gewesen und womöglich am Ende auch ein besserer Film dabei raus gekommen. Dem gegenüber steht, dass dieser Film gerade so faszinierend ist, weil es sich hierbei um einen Realfilm handelt der in seiner Ästhetik und im Handeln der Charaktere eher einem Anime gleicht. Es ist durchaus interessant Oshiis Stil abseits des Animationsfilms zu sehen. Sollte euch danach sein einem zu Unrecht unterschätzten dystopischen Science Fiction Film eine Chance zu geben, ist „Avalon“ die richtige Wahl und für mich demzufolge eines freitäglichen Filmabends würdig.

    Habt ihr Interesse an Horror und Trashfilmen sowie anderer cineastischer Kleinodien des fantastischen Films, empfehle ich euch meinen englischsprachigen YouTube Channel zu besuchen. Dort bespreche ich mindestens einmal wöchentlich ein Filmjuwel aus meiner Sammlung:
    https://goo.gl/oYL4qZ
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    (Thorsten Schimpl)
    22.09.2017
    21:36 Uhr