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  • Bewertung

    Love conquers all – Or doesn’t it?

    Exklusiv für Uncut
    Comedian und Schauspieler Kumail Nanjiani – international vor allem für seine Verkörperung des liebenswürdigen Programmierers Dinesh in der preisgekrönten HBO-Comedyserie „Silicon Valley“ bekannt – hatte es nicht immer leicht. Als der gebürtige Pakistani im Alter von 18 Jahren in die USA emigrierte, war er aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes prompt xenophoben Beleidigungen und stereotypen Bemerkungen ausgesetzt. Vier Jahre später entschloss sich auch seine Familie in die Staaten zu ziehen, was Kumail jedoch weitere Schwierigkeiten bereitete: Da seine Eltern gläubige Shia Muslime sind, erwarteten sie von ihrem Sohn, dass dieser sich einer arrangierten Ehe hingibt und organisierten für ihn in Dauerschleife Treffen mit Frauen pakistanischer Herkunft. Kumail hält wenig vom Konzept der Zwangsehe, spielte bei den Treffen aber trotzdem stets mit, um nicht von seiner Familie verstoßen zu werden. Nachdem Nanjiani Mitte der 2000er-Jahre sein Talent für Stand-Up-Comedy entdeckte, lernte er 2006 bei einem Gig in Chicago die Psychotherapeutin Emily kennen. Kumail und Emily begannen miteinander auszugehen und schon bald entwickelte sich eine vermeintlich einwandfreie Beziehung zwischen den beiden. Der Schein trügt jedoch: Kumail brachte es zunächst nicht übers Herz, seinen Eltern von seiner weißen Freundin zu erzählen. Genau so wenig schaffte er es daher Emily von den arrangierten Dates seiner Familie mitzuteilen, was ihn in eine moralische Zwickmühle brachte. Als dann Emily aufgrund einer vorerst unidentifizierten Krankheit auch noch in ein künstliches Koma versetzt werden musste, begann die Glaubwürdigkeit von Nanjianis Geheimnistuerei allmählich aus dem Ruder zu laufen.

    Um ihre filmreife Geschichte mit der Welt zu teilen, entschlossen sich Nanjiani und seine heutige Ehefrau Emily V. Gordon vor wenigen Jahren dazu, ein Drehbuch zu verfassen. Unter dem Titel „The Big Sick“ und inszeniert von Regisseur Michael Showalter (Hello, My Name is Doris) findet ihr Skript nun in Form einer romantischen Komödie Einzug in die Kinos weltweit. Man sollte „The Big Sick“ jedoch keinesfalls als typischen Genrevertreter abtun, denn Nanjiani und Gordon haben hier mit ihrem Drehbuch der Rom-Com einen originellen und zugleich intelligenten Spin verliehen. Anstatt ihre eigenen Erlebnisse dermaßen zu überdramatisieren, um sich der herkömmlichen Struktur einer Filmromanze anzupassen, wollten die beiden ihre chaotischen Beziehungsanfänge detailgetreu Revue passieren lassen. Während der Film zu Beginn eine klassische Boy-meets-Girl-Story anmuten lässt, entwickelt sich das Ganze im Mittelteil aufgrund der wahren Ereignisse zu einem Kennenlernen zwischen Kumail und Emilys Eltern. Durch die komplexen Figurenzeichnungen des Skripts rutscht der Film nie in Stereotypen ab (diese werden eher auf die Schippe genommen) und verbringt genügend Zeit damit, sowohl die Stärken als auch die Schwächen eines jeden Charakters klar darzulegen.

    Auf diese Weise wurde dem Streifen eine im Genre selten gesehene Authentizität verliehen, die von der gelungenen Balance zwischen Tragödie und Komödie noch verstärkt wird. Um die tonalen Übergänge zwischen Humor und Drama nicht zu drastisch und gekünstelt wirken zu lassen, entschied man sich hier in den meisten Fällen beides miteinander harmonieren zu lassen. Nanjiani und Gordon haben beim Schreiben des Drehbuchs erkannt, dass sich sogar aus den noch so tragischsten Situationen Komik schöpfen lässt. Wenn nun Kumail beispielsweise in einer Szene in Verzweiflung einen jungen Mitarbeiter an einem Drive-In-Schalters eines Fast-Food-Restaurants niederschreit, sorgt das auf der einen Seite für gewolltes Gelächter – lässt uns andererseits aber auch mit dem Schicksal seiner Figur mit fiebern. Dabei werden jedoch nie die realen Ereignissen und Personen, denen der Film zugrunde liegt, ins Lächerliche gezogen, sondern zu jeder Zeit respektiert.

    Um diese Nuancen dermaßen gut rüberzubringen, hilft natürlich noch die fantastische Besetzung nach. Kumail Nanjiani, der hier selbst seine jüngere Version spielt, überzeugt - wie bereits in seinen Serienrollen - durch seine punktgenaue Vortragsweise sämtlicher Witze und seinen nerdigen Charme, offenbart jedoch in den düstereren Momenten auch eine bisher ungeahnte schauspielerische Tiefe. Die leicht fiktionalisierte Version seiner heutigen Gattin Emily (für den Film wurde ihr eigentlicher Nachname von Gordon auf Gardener geändert) wird von der wunderbaren Zoe Kazan (u. A. „Ruby Sparks“) verkörpert, die einem durch ihr charmantes Spiel von Beginn an mit der Figur der Emily sympathisieren lässt. In den Nebenrollen wissen vor allem Oscar-Preisträgerin Holly Hunter und „Alle lieben Raymond“-Star Ray Romano als Emilys eigensinnige Eltern zu überzeugen. Hunter geht in der Rolle der kauzigen Beth vollkommen auf und sorgt für einige der einprägsamsten und lustigsten Szenen im gesamten Film. Romano hingegen überrascht in der Rolle des mürrischen aber dennoch liebenswürdigen Terry mit sensationellem ‚Comedic timing‘.

    Der eine oder andere mag vielleicht die fehlende inszenatorische Verspieltheit und ästhetische Eintönigkeit Michael Showalters kritisieren, da diese aber vom fabelhaften Drehbuch seitens Nanjiani und Gordon klar überschattet wird, fallen diese kleinen Makel kaum ins Gewicht.

    Zusammengefasst lässt sich somit sagen, dass mit „The Big Sick“ eine der denkwürdigsten Kinoromanzen der letzten Jahre gelungen ist, die, vor allem für das authentisches Drehbuch von Nanjiani und Gordon, Anfang nächsten Jahres gute Chancen auf den ein oder anderen Filmpreis haben könnte.
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    (Christian Pogatetz)
    20.09.2017
    15:29 Uhr