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  • Bewertung

    Altbacken aber packend erzähltes Historiendrama mit einem herausragenden Hauptdarsteller

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2017
    Ob nun der Gründer von McDonalds („The Founder“, 2017), ein exzentrischer Comicbuch-Zeichner („American Splendor“, 2003) oder gar der vermeintlich schlechteste Filmemacher aller Zeiten („Ed Wood“, 1994) – heutzutage gibt es kaum Persönlichkeiten, deren Biographie noch nicht in Form eines Films auf die Leinwand transportiert wurde. Umso überraschender ist es, dass ein dermaßen historisch bedeutsamer Revolutionär, wie Karl Marx, bisher davor verschont wurde. Dieser Umstand ändert sich nun jedoch, denn der haitianische Filmemacher Raoul Peck (für seinen Dokumentarfilm „I Am Not Your Negro“ für den Oscar nominiert) widmet mit dem Biopic „Der junge Karl Marx“ dem bekannten Sozialisten nun seinen allerersten Spielfilm. Dabei konzentriert sich der Film besonders auf die jungen Jahre Marx‘ und setzt an dem Punkt an, als dieser mit seiner Frau Jenny von Westphalen (Vicky Krems) von Deutschland nach Paris auswanderte, um dort ins Exil zu gehen. In Paris angekommen, trifft er schon bald auf seinen zukünftigen Genossen Friedrich Engels (Stefan Konarske), der Marx‘ Meinung zum Proletariat teilt. Als Sohn eines Fabrikbesitzers hat Engels Tag für Tag die horrenden Verhältnisse der Arbeiterklasse sehen können, wohingegen Marx diese sogar am eigenen Leib erfahren hat. Um der Unterdrückung der Arbeiterklasse gegenüber Einhalt zu gebieten, kreieren beide neuartige Ideen, die sich schon bald quer durch Europa verbreiten und den Grundstein für das Kommunistische Manifest legen.

    Zwar ist „Der junge Karl Marx“ bei weitem nicht so revolutionär geworden, wie die titelgebende Persönlichkeit es war, dennoch ist Peck ein zumindest akkurat erzähltes Portrait des Kommunisten gelungen. Als treibende Kraft des Films erweist sich bereits nach wenigen Minuten die fantastische darstellerische Leistung von August Diehl in der Hauptrolle. Diehl gelang es dabei seiner Interpretation des Karl Marx eine ausgeglichene Mischung aus Charme, Charisma und Intellekt zu geben. Besonders die Momente im Film, in denen versucht wird, dem Zuschauer das volle Ausmaß des Leids der damaligen Arbeiterklasse klarzumachen, bekommen durch Diehls empathisches Spiel eine emotionale Wucht verliehen.

    Ein Problem ist jedoch, dass ihm der restliche Cast nicht im Entferntesten das Wasser reichen kann. Vor allem Stefan Konarske als dessen Counterpart Friedrich Engels wirkt in den gemeinsamen Szenen mit Diehl besonders blass. Konarskes Overacting verleiht der Biographie eine Theatralik, die dem Film einiges an Authentizität einbüßen lässt. Diese Theatralik führt mich zu einer weiteren Problematik: die fehlende Bildsprache. Zugebenermaßen weiß immerhin das Ambiente zu beeindrucken. Durch das authentisch und detailreich gestaltete Szenenbild, sowie dem gelungenen Kostümdesign wird einem der Glauben geschenkt, man befinde sich im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Abseits dessen fehlt dem Film jedoch leider jegliche Ästhetik und hätte in dieser Form genauso im Theater erzählt werden können. Die sterile Kameraführung, sowie die Absenz sämtlicher rein visuell erzählter Szenen, erwecken den Eindruck, als wäre das Skript des Films ursprünglich für die Bühne konzipiert worden. Einige der ästhetisch interessantesten Momente verbergen sich überraschenderweise im Abspann. Hier erweist sich nämlich die immer noch gegenwärtige Relevanz des Schaffenswerk von Marx und Engels. Anhand von Bild- und Videomaterial von Krieg und Unterdrückung, sowie bekannten Revolutionären, wie Nelson Mandela und Martin Luther King wird gezeigt, wie dessen Theorien noch heutzutage von den einen verschmäht, und von den anderen in der Hoffnung auf Veränderung weitergeführt werden. Untermalt wurde dies passenderweise von Bob Dylan’s „Like A Rolling Stone“.

    Trotz der theaterhaften Herangehensweise, weiß das Drehbuch dennoch zumindest in den meisten Momenten zu überzeugen. Man bemühte sich sämtliche wichtige Punkte aus dem Leben Marx‘, sowie dessen bedeutsame Ideen für jedermann verständlich rüberzubringen und dabei nicht zu viel dazuzudichten.

    Es lässt sich somit sagen, dass Regisseur Raoul Peck mit einer für Historiendramen weniger konventionellen Erzählstruktur und einer nicht dermaßen theaterhaften Inszenierung, dem Film sicher einen Gefallen getan hätte. Dennoch erfüllt „Der junge Karl Marx“ auf alle Fälle seinen Bildungsauftrag und ist allein durch das atemberaubende Porträt von August Diehl in der Titelrolle einen Blick wert.
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    (Christian Pogatetz)
    28.02.2017
    20:18 Uhr