Filmkritik zu Mr. Long

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Ein Killer mit Seele

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2017
    Regisseur Sabu hat einen sehr eigenen Sinn für Humor. Das zeigt sich an der Handlung seines neuesten Films. Ein Auftragskiller, den es in die Provinz verschlägt, wo er zum Ersatz-Vater und Nudelsuppenkoch wird. Eine vielschichtige Figur, die nicht nur dem Genre-Klischee des kaltblütigen Mörders entspricht. Sabu erzählt die Geschichte in ästhetisch inszenierten Bildern, die Optik ist im sehr wichtig. Er habe viele Szenen vorher als Bilder aufgemalt und dann mit der Kamera als solches umgesetzt, erklärte er bei der Pressekonferenz.

    Der Film funktioniert in erster Linie über seine Hauptfigur Long und dessen befremdlich wirkende Ausdruckslosigkeit. Seine Hände und sein Körper werden zu blitzschnellen tödlichen Waffen, was Sabu bereits in der Anfangsszene klarmacht, als Long eben mal innerhalb von zwei Minuten eine Gruppe Kleinkrimineller umlegt. Sein Gesicht verrät hingegen keine Form von Emotion oder Gedanken. Long bleibt stumm, erst als er in Japan auf Jun trifft, hört man ihn zum ersten Mal sprechen. Sabu spielt nicht nur mit der Fremdheit seines Charakters, Long ist der Fremde. Als Taiwanese ist er der sprachlich Unvermögende im ländlichen Japan. Viel des Humors spielt sich auf der Ebene der Kommunikationslosigkeit ab. Die freundlichen Japaner reden auf Long ein und über Long hinweg. Er kann sich aufgrund des Fremdsprachendefizits nicht ausdrücken oder dem Gespräch beisteuern. „Du bist cool, du sagst nie was“, sagt Halb-Taiwanese Jun zu ihm. Die Wertschätzung, die Long für seine Umwelt empfindet, taucht erst langsam durch Gesten und Blicke auf, nicht durch verbale Kommunikation.

    Die Schwäche des Films ist seine Verwurzelung in zwei verschiedenen Genres, die nicht wirklich zu verschmelzen vermögen. Zu Beginn ist der Film ein knallharter Gangsterfilm mit eiskalten Kriminellen, Machenschaften in Restaurantküchen, Messerkämpfen und Entführungsopfern in Autokofferräumen. Die Handlung schlägt genau an jenem Punkt in ein Selbstfindungsdrama um, als Sabu in der zweiten Hälfte des Films entscheidet, die Mutter Lily zu einer weiteren Hauptfigur zu erheben. War sie bisher nur als zugedröhnte Nebenfigur zu sehen, zeigt Sabu in einer sehr ausladenden Rückblende ihren Weg von einem Escortgirl zu einer Drogensüchtigen mit Sohn. Die Szene schlägt sich mit Erzählrhythmus und Fokus des Films, sie wirkt zwanghaft eingeführt und sticht aus dem sonstigen Handlungsverlauf heraus. Sabu selber erklärte, dass ihm dieser Flashback sehr wichtig war. Dennoch wäre es sinnvoller gewesen, Lily früher und anders einzuführen.

    Trotz des sich in mehrere Richtungen entwickelnden Fokus der Geschichte schafft es Sabu, sich tiefgehend mit seinen Charakteren auseinanderzusetzen und Interesse daran zu entfachen, was ihnen die Gesellschaft angetan hat und wie ihre Eigenschaften sie dazu wappnen, damit umzugehen. Wer einen solide gemachten Gangsterfilm will, muss jedoch woanders suchen.
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    (Susanne Gottlieb)
    06.03.2017
    23:13 Uhr
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