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    Gangstershowdown der Eitelkeiten

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2017
    „Ich habe ‚Der Pate ‘ gesehen. Ich will so sein wie ihr“, sagt ein eingeschüchterter Xiao Zhang zu Thin Skin, dem Auftragskiller der über ihm kniet. Der feine Unterschied: „Der Pate“ ist ein Werk über Familienfehden, Drogen und Blutsühne. Liu Jian lässt seine Möchtegern-Gangster mit einem Augenzwinkern um andere Bereiche des Lebens kämpfen: Schönheits-OPs, eine Reise in das sagenumworbene Shangri-La oder ein Business-Startup. Immerhin macht das heutzutage jeder. Der Clou, um das alles möglich zu machen: der MacGuffin des Films, eine Tasche mit einer Million Yuan.

    Gestohlen hat die Tasche Xiao Zhang, der seiner Freundin mit dem Geld helfen will, eine verpfuschte Schönheits-OP in Seoul wieder geradezubiegen. Schönheitsideale sind wichtig. Die animierte Welt Jians ist vollgestopft mit Eckpfeilern des Kapitalismus und der modernen Popkultur. Überall entlang der Straßen hängen Sex- und Pornoplakate. Think Skin hat ein Rocky-Poster in seiner Fleischerei hängen. Im Internetcafé hängen zahlreiche amerikanische Filmplakate. Wenn die Figuren von Shangri-La träumen, verwandelt sich das Bild in eine Symbiose aus Pop Art und Karaoke-Dramaturgie, in dem die Figuren glücklich durch den freien Raum hüpfen. Fast ironisch mutet da im Gegenzug ein Blick auf das Geld an, dessen rotes Mao-Gesicht einen starken Kontrast zur Realität bietet. Ein Tüpfelchen Kommunismus im längst marktgetriebenen China.

    Die Macht des Geldes drückt sich auch durch die Interpretation von Freiheit aus. Hier geht es nicht um Meinungsfreiheit oder politische Unabhängigkeit, vielmehr ist es die finanzielle Freiheit, die für die Menschen entscheidend ist. Die Figuren reden über die Bauernmarktfreiheit, die Supermarktfreiheit und die Online-Shopping-Freiheit. Nur jener Mensch, der komplett ohne Einschränkung seine Einkäufe online tätigen kann, ist wahrlich frei. Die materiellen Konsumgüter, die sich die Figuren leisten wollen, reflektieren die Ziele und Wünsche der Gesellschaft, was für Jian eine problematische Entwicklung darstellt. Es gebe derzeit noch nicht sehr viele Beauty-Kliniken in China, sagte er bei der Pressekonferenz, aber die Straßen seien voll mit Werbungen dafür und Koreas Straßen nur so gepflastert mit ihnen.

    Jian beschäftigt sich klugerweise nicht nur mit dem Konsumzwang der Gesellschaft. Er steckt seine Handlung auch in ein zeitliches Korsett, indem er im Radio Donald Trump plärren lässt oder die Figuren den Brexit kommentieren. Die Handlung wird so zeitlich verankert, Trumps stimmliches Cameo dient zusätzlich als absurdes Element in einer kuriosen Geschichte.

    Jian hat somit nicht nur einen intelligenten, reflexiven Film über die Bevölkerung in China gemacht, er bietet dem Zuschauer auch gute Unterhaltung und gezielt eingesetzte Anknüpfungspunkte an die reale Welt. Ein Film, in dem die Zeit viel zu schnell vergeht und in dem man von der ersten bis zur letzten Minute gut unterhalten wird.
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    (Susanne Gottlieb)
    04.03.2017
    22:05 Uhr
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