Filmkritik zu Die Spur

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  • Bewertung

    Düsterer Thriller in den polnischen Wäldern

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2017
    „Tiere behandelt man nicht wie Menschen. Sie sind dem Menschen unterlegen“, erklärt der örtliche Pfarrer der pensionierten Brückenbauerin Duszejko, als er ihren Tierfriedhof im Garten entdeckt. Diese ist sich sicher, dass Gott alle Geschöpfe gleichwertig liebe. „Tiere haben keine Seele“, legt er auf ihre Widersprüche nach und drückt dem Film mit diesen Gedanken seinen thematischen Stempel auf. Welche Rechte haben Tiere? Wer spricht für die Schwächeren? Ist es gerechtfertigt Menschen auch dafür umzubringen, wenn sie Tiere verletzten? Der Film bietet dafür keine Gebrauchsanweisung, stößt aber neue Denkrichtungen und -impulse an, mit denen der Zuseher sich im Laufe des Films auseinandersetzen muss.

    Der Film basiert auf dem Buch „Der Gesang der Fledermäuse“ von Olga Tokarczuk. Das Buch ist Tierschützerroman, Krimi und scharfe Zivilisationskritik in einem. Regisseurin Agnieszka Holland tobt sich mit ihrer Adaptierung ebenfalls in einem Konglomerat an Genres aus. Spannung erzeugt sie nach dem klassischen Lehrbuch der Suspense. Unheilvolles Warten, gebannte Blicke, irgendwas muss ja gleich passieren. Bei jeder Leiche stehen in unmittelbarer Nähe tierische Waldbewohner, die das Geschehen ruhigen Blickes beobachten. Holland lässt Minuten verstreichen, bis sich Duszejko und ihre Gefährten den entstellten Leichen nähern. Jedes Opfer wird durch seine verachtende Haltung gegenüber Tieren schon früh vom Zuschauer ausgesondert und dessen Tod den restlichen Film über antizipiert.

    Suspense entsteht in diesem Film nicht nur über die Handlung. Holland weiß die filmischen Stilelemente so zu nutzen, dass auch Spannung über Kameraführung, Schnitt und Musik entsteht. Besonders hervorzuheben ist der Soundtrack von Antoni Komasa-Łazarkiewicz. Die Hektik, die Bedrohung, die Antizipation weiß er auf eine Art hervorzuheben, wie es in wenigen Filmen auf der Berlinale zu sehen war. Trommeln und Percussion und Pizzicato an den Streichern erzeugen eine innere Aufwühlung, die von den Charakteren Besitz ergreift, während die Kamera von Haus zu Haus, von Stadtteil zu Stadtteil oder durch die dunklen Winkel des Waldes hetzt. Ein anschwellendes Staccato erzeugt Spannung, es ist klar hier wird gleich etwas passieren. Je öfter Duszejko Gewalt an Tieren miterleben muss, desto bizarrer wird ihre Wahrnehmung. Eine Danksagung in der Kirche an die Jagdbeute nimmt fast schon psychedelische Ausmaße an. Spätestens hier wird der Zuschauer zum ersten Mal in Versuchung geführt zu glauben, dass die freundliche Pensionistin nicht ganz unschuldig an den Morden ist.

    Der Film ist nicht nur ein reiner Mensch versus Tier Showdown. Auch im sozialen Umfeld von Duszejko finden Entwicklungen statt. Da wäre einerseits die junge Dobra Nowina, der sie helfen will die Vormundschaft für ihren jüngeren Bruder zu erhalten. Ihr Nachbar Matoga, mit dem sie eine tiefe Freundschaft entwickelt. Der Tscheche Boros, der ihr die Augen für den Lebensraum und die Bedürfnisse der Insekten, nicht nur der Säugetier-Waldbewohner öffnet, sowie der junge Dyzio, der an epileptischen Anfällen leidet, Dobra Nowina liebt und dem sie hilft William Blake zu übersetzen.

    Das Gedicht „The Mental Traveler“ nimmt eine symbolische Rolle in der Handlung ein. Schon Olga Tokarczuk nutzte den englischen Mystiker in ihrer Romanvorlage, um scharfe Zivilisationskritik zu üben. „The Mental Traveler“ ist ein Gedicht, das sich mit geistigen Phänomenen auseinandersetzt. Jede großartige Idee oder intellektuelle Bewegung durchlauft gemäß Blake die fünf Zyklen der Geburt, der Umsetzung, des Triumphs, der Dekadenz und der graduellen Transformierung in etwas Neues. Das deckt sich mit den Ansichten Duszejkos wenn sie sagt, „Jede Idee ist einmal Status quo. Aber dann ändern sich die Dinge“. Im Fall von „Pokot“ vielleicht ein bisschen zu sehr. Das Ende ist unverzeihlich idealistisch und nimmt viel vom Schwung des Films weg. Kann man als Zuschauer aber darüber hinwegsehen, erwartet einen ein hervorragender, spannend inszenierter Öko-Thriller.
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    (Susanne Gottlieb)
    22.02.2017
    20:20 Uhr
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