Filmkritik zu The Dinner

Bilder: Tobis Film Fotos: Tobis Film
  • Bewertung

    Lauwarme Kost als Familientragödie

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2017
    Das Abendessen, zu dem Paul, sein Bruder Stan und die Ehefrauen eines Abends zusammentreffen, steht unter keinem guten Stern. Das Verhältnis zwischen den Brüdern ist schwierig. Der an einer Psychose leidende Paul sieht in seinem Bruder, einem Kongressabgeordneten, all die Eigenschaften eines selbstverliebten Individualisten vereint und provoziert ihn und sein Umfeld immer wieder aufs Neue. Doch der brüderliche Konflikt ist an diesem Abend das geringere Problem. Der Grund, warum sich die beiden Ehepaare mitten in der heißen Wahlkampfphase für Stan zum Essen treffen ist, dass ihre Söhne ein Verbrechen begangen haben. Ein Verbrechen, das sie hinter Gitter bringen könnte, und das Leben aller Beteiligten für immer verändern würde. Die Frage ist nun, ob sich diese vier unterschiedlichen Personen auf eine gemeinsame Vorgehensweise einigen können.

    Eine interessante Ausgangssituation, die auf dem niederländischen Bestseller „The Dinner“ von Herman Koch basiert, und ein talentiertes Ensemble mit Richard Gere, Laura Linney, Steve Coogan und Rebecca Hall – eigentlich hätte hier nichts mehr schiefgehen dürfen. Leider tut es das doch. Bis auf die ersten 15 Minuten, die noch etwas Tempo und Wortwitz beweisen, ist der Film zu einem langwierigen und schwer bekömmlichen Durcheinander verkommen. Wer ein intensives Kammerspiel à la „Wer hat Angst vor Virginia Woolfe“ oder „Der Gott des Gemetzels“ erwartet hat, ist hier vollkommen falsch bedient.

    Der Film, der eigentlich einen so deskriptiven Titel wie „The Dinner“ besitzt, und in Blöcke namens Aperitif, Main Course, Cheese Course, Dessert und Digestif unterteilt ist, hat dramaturgisch nur wenig mit einem Abendessen zu tun. In einem endlosen Marathon an Rückblenden wird der Hintergrund der vier Protagonisten durchleuchtet. Man sieht Paul, der sich nach einem Nervenzusammenbruch seiner Krankheit stellen muss, Stans erste Frau, die eine neue Erfüllung in ihrem schwarzen Adoptivkind Beau findet, und die Söhne, die inmitten des psychischen Chaos ihrer Eltern heranwachsen. Leider schaffen es diese Rückblenden nicht, die Charaktere weiter zu vertiefen, geschweige denn sie sympathischer zu machen. Besonders Paul, der zu Beginn mit seinem Pessimismus noch für einige Lacher sorgte, wird im Laufe des Films immer unausstehlicher.

    Beobachtet man als Zuschauer die Gruppe schlussendlich doch einmal im Restaurant, wird die Intensivierung der Dramaturgie immer dadurch unterbrochen, dass dauernd jemand wütend vom Tisch wegläuft oder vor die Tür tritt. Die Tat der Söhne, die sich schon seit Beginn des Films durch weitere Flashbacks und Gespräche langsam entfaltet, steht die ganze Zeit als Elefant im Raum. Dieses unbefriedigende Warten auf den Showdown rendiert sich am Schluss auch kaum. Der Konflikt zwischen den unterschiedlichen Ansichten der Eltern, wie man mit den Söhnen verfahren soll, ist kurz gehalten. Der Showdown scheint gegen eine Stoppuhr anzukämpfen, als wäre Regisseur Oren Moverman die Zeit ausgegangen, daher müsse er so schnell wie möglich den Konflikt auflösen. Das ist schade, vor allem hinsichtlich der Tatsache, dass die involvierten Parteien sich überraschend entgegen ihrer Rückblenden-Charakterisierung verhalten. An diesem Punkt ist es als Zuschauer jedoch nur mehr interessant, ob die Teenager zur Polizei müssen oder nicht. Was mit den Eltern infolgedessen passiert, ist einem schon egal. Als Zuschauer wünscht man sich einfach, dass der Aperitif sich dem Ende neigt.
    susn_15a35adfde.jpg
    (Susanne Gottlieb)
    12.02.2017
    23:24 Uhr
    Meine Top-Filme: