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    Als er voranging...

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Jonas Mekas ist mittlerweile 93 Jahre alt. Ohne ihn wäre die avantgardistische und experimentelle Film- und Videokunst noch eine größere Fußnote der Filmgeschichte als sie es sowieso ist. Er war einer der Gründer der in New York ansässigen Anthology Film Archives, die sich der Bewahrung, Erforschung und Vorführung dieser Filmgattung widmen. Unter den weiteren Gründern der Archives war übrigens Peter Kubelka, der zusammen mit Peter Konlechner ein paar Jahre davor das Österreichische Filmmuseum gründete. Wie Kubelka war Mekas auch bis vor Kurzem aktiver Filmemacher, obwohl mit einem viel größeren Oeuvre als der österreichische Avantgardist. Seine meistens auf 8mm und 16mm gebannten visuellen Tagebücher, Familienfilme und Bestandsaufnahmen haben mitunter nicht nur poetische Inhalte, sondern auch derartige Titel, z. B. „As I was moving ahead occasionally I saw brief glimpses of beauty“ (2000). Irgendwann dazwischen gab Mekas auch eine einflussreiche Filmzeitschrift („Film Culture“) heraus, schrieb selbst Filmkritiken, begann Gedichte zu veröffentlichen und eröffnete in seinem Heimatland ein Kunstzentrum.

    Der schottische Künstler und Turner-Preisträger Douglas Gordon hat mit „I had nowhere to go“ einen ganz besonderen Dokumentarfilm über Jonas Mekas gedreht. Eigentlich ist es ein Anti-Film, weil er auf eine wichtige Komponente des Audio-Visuellen fast gänzlich verzichtet. Von den 1,5 Stunden bekommen wir nur flüchtige Alltagsaugenblicke zu sehen, die sich an die Ästhetik von Mekas anlehnen: ein Schimpanse im Zoo, eine Kochszene, Wandern durch den Schnee, Spielen eines Akkordeons, grüne Blätter eines Baums, ein sterbendes Reh, der vom Alter gezeichnete Protagonist. Alles andere ist pures Schwarz, dass sich lediglich dreimal in andere Farben umwandelt, nämlich in die der Französischen Revolution. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sind dann auch die Themen, die hauptsächlich die Erzählung prägen, die somit fast nur akustisch erlebbar ist. Die erwähnten visuellen Brüche geschehen nicht immer synchron zum Gesprochenen, dass zusätzlich nur noch von Toneffekten – Essensgeräuschen, Bomben- und Kugelhagel – ergänzt wird. In nicht chronologischer, tagebuchartiger Form werden der Zweite Weltkrieg, Arbeits- und Flüchtlingslager in Deutschland, die Ankunft in den USA sowie erste Eindrücke der neuen Heimat aus der Sicht des Litauers Mekas beschrieben. Und inmitten der Krisen und Konflikte auch die schicksalshaften Momente, in denen er zum ersten Mal eine Foto- bzw. Videokamera in seinen Händen hielt.

    „I had nowhere to go“ ist durch seine strikte Form sicherlich ein anstrengender Film für die Zuschauer. Etwa in dem gleichen Sinn wie instrumentelle Musik anstrengend sein kann, wenn sich der Zuhörer nicht darauf einlässt bzw. wenn er nicht in der Lage ist, die akustisch empfangenen Informationen in eigene Emotionen und/oder Bilder umzuwandeln. Schließlich wird jeder Film erst durch die subjektive Erfahrung des Zuschauers vollendet. In diesem Fall muss man halt 80% selbst ergänzen, wenn man die Geschichte „genießen“ will.
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    (Miha Veingerl)
    27.10.2016
    14:16 Uhr
    Meine Top-Filme:

I Had Nowhere to Go

Deutschland 2016
Regie: Douglas Gordon
Darsteller: Jonas Mekas