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    Pilgerfahrt im Niemandsland

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    „Kang Ripoche“ ist ein Film, den man in keine eindeutige Schublade stecken kann. Obwohl er eine fiktionale Geschichte erzählt, dient er nicht dem Ziel des Storytellings. Komplett mit Laiendarstellern, die ihre realen Namen verwenden, und im dokumentarischen Stil gedreht, ist er vielmehr eine Hommage an die Traditionen der Tibeter. Traditionen, die noch heute existieren, obwohl die Moderne bereits Einzug in den Alltag der Bergdörfer gehalten hat.

    Gedreht wurde der Film von dem chinesischen Regisseur Zhang Yang. Der Film, der seine Credits in tibetischer Sprache einblendet, wurde von der „State Administration of Press, Publication, Radio, Film and Television“ gefördert, was gegeben der politischen Situation ein außergewöhnliches Zugeständnis ist. Der politische Konflikt zwischen Tibet und China findet im Film keine Erwähnung.

    Yang konzentriert sich auf das exotisch wirkende Ritual des Kotau, eine Form der Pilgerreise, in der sich die Menschen alle paar Meter huldigend auf den Boden werfen. Eine ermüdende Praxis, deren körperliche Tribute auch immer wieder von den Charakteren adressiert werden. Die Huldigung selber wird mit keinem Wort angezweifelt. Sie ist ein elementarer Bestandteil der Kultur der Tibeter. Die Dorfbewohner, die gemeinsam zu der Pilgerfahrt aufgebrochen sind, verbringen viel ihrer Zeit mit Gedanken über Gott, mit Beten und der Überlegung, ob sie den Kotau demütig genug ausführen. Tradition wird hochgehalten, sie ist das Bindeglied der Generationen. Es wirkt fast absurd sich vor Augen zu führen, dass man als Zuschauer nicht durch ein Fenster direkt in das Leben dieser Menschen hineinstarrt, sondern ein Kamerateam vor Ort war um diese Pilgerreise zu inszenieren.

    Das Hochhalten der Tradition wird immer jäh durch die Präsenz der modernen Welt unterbrochen. Die Pilger wandern nicht querfeldein durch die Berge. Sie marschieren oder campen entlang moderner Autobahnen, auf denen immer wieder Autos oder Lastwagen an ihnen vorbei rasen. Die schwangere Frau muss die Gruppe kurzzeitig verlassen, um in einem modernen Krankenhaus ihr Kind zu bekommen. Das junge Mädchen ruft abends am Handy daheim an, um mit ihren Geschwistern zu reden. Als die Pilger bei einem alten Mann übernachten, wird die Veränderung der Gesellschaft angesprochen. „Die Jungen sind immer in Eile“ meint er zu Yang, dem Ältesten der Pilgergruppe.

    Neben dem faszinierenden Einblick in den Kotau bietet Yang auch zahlreiche Eindrücke der tibetischen Landschaft. Minutenlang verharrt die Kamera auf den Pilgern, wie sie die Straße entlang marschieren, während im Hintergrund die Landschaft den Zuschauer in Staunen versetzt. Schneebedeckte Berge, lange steinige Hänge, riesige Gebetsfahnen die im Wind wehen. Yang entführt in eine unbekannte Welt. Die Weitwinkel, die Tibets Optik so geschickt einfangen, lassen den Zuschauer erst verstehen, wie außergewöhnlich und fern ab allem was man kennt diese Pilgerreise eigentlich ist. Ein Fest für die Augen und Sinne.
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    (Susanne Gottlieb)
    07.11.2016
    23:20 Uhr
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