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    In den letzten Tagen von Kairo

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Als Tamer El Said 2009 begann seine Heimatstadt Kairo zu filmen, wusste er noch nicht in welche Richtung sich sein Film entwickeln würde. Er wollte die Stadt porträtieren, ihre Seele einfangen, erklärte er beim Q&A auf der Viennale. Man habe zu jener Zeit bereits gewusst, dass etwas im Land passieren würde, dass es nicht ewig so weitergehen könne.

    Zum Schluss ist nun ein semi-autobiographischer Spielfilm herausgekommen. Zwischen seinem Protagonisten Khalid und ihm gibt es viele Parallelen. Beide sind Filmemacher. Beide haben Vater und Schwester verloren. Die Wohnung, in der Khalid im Film wohnt, gehört im wirklichen Leben Said. Das Wichtigste aber ist, beide stehen im Zwiespalt zu ihrer Heimat Kairo. Eine Stadt, die sie lieben, aber von der sie sich verraten fühlen. Auch Khalid will die Stadt filmisch einfangen. Seit Ewigkeiten arbeitet er an seinem Film, dreht neues Footage, interviewt die Menschen in seinem Umfeld, sichtet wiederholt sein Material. Nur seine Stimme kann er darin nicht finden. „Wir drehen uns im Kreis. Ich verschwende hier meine Zeit“, erklärt sein Cutter irgendwann genervt. Doch solange Khalid auf seine Fragen keine Antwort findet, wird auch sein Film nicht vervollständigt werden.

    Said präsentiert ein Kaleidoskop einer Stadt, die es bald so nicht mehr geben wird. Junge Einwohner, Kinder, alte Frauen, Verkäufer, eine breite Palette an Einwohnern drängt sich in seinen Bildern durch die Straßen von Downtown. Immer wieder sieht man die gleichen Gesichter. Menschen, die ihrem Alltag nachgehen, während die Zeit und das Ende des alten Ägyptens voranschreitet. Unterstützt wird Khalid bei seinem Projekt von seinen Freunden Bassem, Hassan und Tarek. Alle drei kommen aus Städten, in denen seit Jahrzehnten Krieg herrscht. Tarek ist aus Baghdad geflohen und wohnt in Berlin. Er und sein Landsmann Hassan streiten, ob dieser ihm folgen soll oder nicht. Tarek meint, Baghdad sei nicht mehr die Stadt, die sie war. Hassan erwidert Städte verändern sich, die Stadt sei ein Gefühl dem er sich nicht entziehen kann. Loslassen von ihren Sorgen können sie nur ansatzweise in Kairo. Die Stadt ist für sie nicht verlogen. Sie zeigt ganz offen ihre Probleme, vermittelt aber als eine der letzten Bastionen im arabischen Raum noch die herbeigesehnte Ruhe vor dem Sturm.

    Das Gefühl der Anspannung unter den Bürgern wird geschickt mit den Einspielungen von Radionachrichten kontrastiert. Immer wieder ist ein Nachrichtensprecher zu hören, der von Mubaraks Staatsbesuchen im Ausland berichtet und seinem Festhalten an Menschenrechten. Es wirkt bizarr, wenn Khalid nur wenige Minuten später mitansehen muss, wie das Militär Zivilisten halbtot prügelt. Said kommentiert und urteilt nicht, er lässt Khalids Mimik für sich sprechen. „Die Stadt hat mich betrogen“ meint er zu seinen Freunden. Die Zerstörung und die Unruhen nimmt alle vier mit, die Verbundenheit und Liebe zur Heimat erstarkt aber genau aus dieser Verzweiflung. Khalid kann Kairo nicht retten, aber er kann seine persönliche Version davon letztendlich filmisch festhalten.
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    (Susanne Gottlieb)
    31.10.2016
    23:40 Uhr
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