Filmkritik zu Clash

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    Ein Querschnitt Ägyptens nach dem Arabischen Frühling

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Der Arabische Frühling sollte die Welt verändern. In vielen Ländern Nordafrikas und dem Nahen Osten hat er jedoch mehr Probleme als Lösungen geschaffen. Durch das Abdanken jahrzehntelanger Herrscher entstand ein Machtvakuum. Jene, die es versuchten zu stopfen, entsprachen nicht immer den politischen Vorstellungen anderer Gruppierungen. Es kam zu erneuten Kämpfen. In Ägypten, dem Land das durch seine Proteste am Tahir Platz bekannt wurde, wählte die Bevölkerung Mohammed Mursi zu ihrem Präsidenten, einen Muslimbruder. Das Militär stürzte ihn. Der Film „Eshtebak“ von Mohamed Diab setzt dort ein, wo die verfeindeten Lager nach dem Putsch in den Straßen aufeinandertreffen. Es ist ein ehrliches und aufwühlendes Porträt der modernen ägyptischen Gesellschaft.

    Diab versucht erst gar nicht ein alles umfassendes Bild der Zustände Ägyptens im Jahr 2013 zu schaffen. Er zieht eine Stichprobe der Bevölkerung, Muslimbrüder, Militäranhänger, Progressive, Konservative sowie Journalisten, und pfercht sie in einen Polizeiarrestwagen zusammen, um dort ein Kammerspiel des Misstrauens und der Aggressionen zu entfachen. Die Umwelt sieht der Zuschauer ebenso wie die Hauptcharaktere nur durch die Fenster des Arrestwagens. Die Kämpfe in den Straßen, das Gegröle, die Lachgasbomben, alles wirkt von außen bedrohlich auf die Gefangenen. Einmal sind es die Muslimbrüder, ein anderes Mal die Militäranhänger die angreifen. Gefahr droht von beiden Seiten für die Insassen. Viele glauben, nicht mehr lebend aus dem Wagen raus zu kommen.

    Die Kämpfe, die sich beide Seiten im Arrestwagen liefern, lassen wenig Luft zum Atmen. Auf einer klaustrophobisch kleinen Fläche prügeln die Männer auf sich ein. Die Shaky Cam vermittelt dem Zuschauer den Eindruck, mit diesen Figuren im Wagen zu sein, in dem nur mehr reine Gewalt herrscht. Der Film, der ein sehr geerdetes und realistisches Bild der Gefangenen zeichnet, bricht nur selten aus dieser Darstellung aus. Wenn im Nebenwagen Menschen sterben, übertönt ein junger Mann das mit Musik, die den gesamten diegetischen Raum einnimmt. Wenn die Insassen mit Wasser abgespritzt werden, haftet die Kamera in einer musikalisch unterlegten Zeitlupe auf deren schockierten Gesichtern.

    Diab lässt die Fronten nur langsam aufweichen. „Ich will nicht von Amerikanern gerettet werden,“ sagt ein älterer Mann, als der amerikanisch-ägyptische Journalist anbietet, das Konsulat anzurufen. „Ägypten bringt Pech“ meint dieser wiederum. Der Tahir-Platz ist für alle nur mehr eine nostalgische Erinnerung. Die Annäherung der Lager geschieht behutsam, ausgelöst durch reinen Zwang. Die Männer und Frauen erkennen, dass sie den Tag nur überleben werden, wenn sie zusammenarbeiten und sich umeinander kümmern. Einerseits versuchen sie den Angriffen von draußen standzuhalten, der Gleichgültigkeit ihrer Wärter, einem Militär, das zwischen Überforderung und Gleichgültigkeit wandelt, andererseits gibt es Verletzte, um die sie sich kümmern muss. Hilfe von außen wird es keine geben. Es entsteht sogar eine subtile Toleranz als sich abzuzeichnen beginnt, dass nicht nur Angehörige des muslimischen Glaubens sich im Wagen befinden.

    „Ich kann nicht erkennen wer wer ist“ ruft einer der jungen Männer, als sie auf einen der Proteste zufahren. Das gleiche kann der Zuschauer über die Gefangenen sagen. Auch nach 90 Minuten ist es oft noch schwer, die Lager auseinander zu halten. Ob der Regisseur diese Botschaft der Gemeinsamkeiten vermitteln wollte, bleibt jedoch fraglich. Diabs Inszenierung schafft es gekonnt, allzu offensichtliche Plädoyers an die Gesellschaft zu umschiffen. Er erhebt keinen moralischen Zeigefinger der darauf hinweisen will, dass alle an einem Strang ziehen sollen. Vielmehr ist es ein unkommentierter, unparteiischer Blick auf die Einwohner seines Landes. Diese Tatsache macht den Film erfrischend anders und um einiges spannender. Immerhin gibt es hier keine Guten oder Bösen, die am Ende gewinnen können.
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    (Susanne Gottlieb)
    27.10.2016
    09:21 Uhr
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