Filmkritik zu Goksung - The Wailing

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Übernatürlicher Horror als Polizeikrimi

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Der Verbindung zwischen Leben und Tod, Weltlichem und Übernatürlichem ist ein wiederkehrendes Motiv seit Beginn der Menschheit. „Seht meine Hände und meine Füße an: Ich bin es selbst. Fasst mich doch an und begreift: Kein Geist hat Fleisch und Knochen, wie ihr es bei mir seht“ steht schon bei Lukas im Evangelium. Es ist der Vers, mit dem Regisseur Na Hong-jin seinen Film „Goksung“ einläutet. Ganz so eindeutig wie in der Bibel ist die Differenzierung in seinem Mix aus Horror/Krimi/Drama aber nicht.

    Die Handlung spielt in der fiktiven südkoreanischen Stadt Goksung. Die örtliche Polizei, ein Haufen herzlicher aber doch simpler Provinzler, sieht sich mit einer mysteriösen Mordserie konfrontiert. Die Einwohner des Ortes entwickeln der Reihe nach seltsame Hautausschläge und ein damit einhergehendes aggressives Temperament, das schlussendlich immer in Mord an der eigenen Familie mündet. Im Zentrum der Ermittlungen steht der Dorfpolizist Jong-goo, ein gutmütiger Familienvater, der zu seinem Schrecken erkennen muss, dass diese Fälle überirdischer Natur sind. Mit seinen Nachforschungen zieht er jedoch den Zorn dunkler Mächte auf sich.

    Nachdem seine Tochter Hyo-jin ebenfalls der Wahnkrankheit zum Opfer fällt, bahnt sich eine Familientragödie an. Jong-goo gerät unter Druck, rechtzeitig die Quelle allen Übels zu finden. Ein Verdächtiger wäre der Japaner, mit dessen Ankunft in Goksung diese Wahnanfälle begannen. Genauso verdächtig ist die namenlose Frau in Weiß, die mehr über die Vorfälle weiß als sie eigentlich sollte. Die Entschlossenheit, dem Ganzen ein Ende zu bereiten, gepaart mit der Überforderung der Dorfbewohner, den bösen Geist in ihrer Mitte zu verstehen, verwertet Hong-jin entgegen ihrer seriösen Natur in absurd-humorvollen Szenen. Dadurch behaltet sich der Film einen Unterhaltungswert, der dem klassischen Horrorfilm untypisch ist. Ein besonderes Highlight ist der Kampf mehrerer Dorfbewohner gegen ein zombieartiges Wesen. Es fliegen Steine, Rechen und Fußtritte und zwischendurch wird die Frage aufgebracht, ob man diese ehemals menschliche Kreatur überhaupt angreifen darf.

    Ähnliches gelingt dem Regisseur mit der Kameraarbeit. In einer Szene befinden sich Jong-goo und seine Kollegen im beengten Huldigungsraum des Japaners, im nächsten Moment nehmen ausgedehnte Weitwinkelaufnahmen der südkoreanischen Berglandschaft den Bildschirm ein. Der Horror ist kein Kammerspiel, er umfasst einen ganzen Landstrich. Das satte Grün der Landschaft, inmitten derer die schäbigen Häuser der Bewohner wie graue Farbtupfer wirken, ist einerseits beeindruckend, andererseits auch erdrückend. Keiner weiß, was wirklich in den Wäldern vorgeht.

    Den Polizisten ist ziemlich bald klar, dass die Präsenz eines bösen Geistes für die Anfälle verantwortlich zu sein scheint. Hong-jin hat über seinen Film gemeint, er wolle dem Sinn der Existenz der Menschen nachgehen. Seine Charaktere werfen mehrfach die Frage nach dem Unterschied zwischen Mensch und Geist auf. Der Japaner scheint auf den ersten Blick ein Wesen aus Fleisch und Blut zu sein. Dennoch, „Nicht alles was sich bewegt ist am Leben.“ meint der Schamane, den Jong-goos Schwiegermutter zu Rate zieht.

    „Goksung“ ist ein Film der länger im Kopf hängen bleibt. Teils wegen der Handlung, die immer wieder neue Haken schlägt, teils wegen seiner tiefgründigen Charakterisierung der Figuren und ihrer Motive. Bei zweieinhalb Stunden Laufzeit fühlt man sich eher wie bei einem Serienmarathon als das Bedürfnis, zwischendurch auf die Uhr zu schauen. Der Zuschauer kann gar nicht anders als mit Jong-goos Familie mitzufiebern. Ein spannender Film wie nicht von dieser Welt.
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    (Susanne Gottlieb)
    26.10.2016
    10:43 Uhr
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