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  • Bewertung

    Wer will schon normal sein?

    Exklusiv für Uncut
    Jakob M. Erwa hat sich für seinen dritten Spielfilm vorgenommen Andreas Steinhöfels gleichnamigen Roman zu verfilmen. Lange hat es gedauert, aber die Mühen waren es letztendlich wert. Die Verfilmung kann sich jedenfalls sehen lassen und hat selbst den Autor des Romans überzeugt.

    Erzählt wird die Geschichte des Teenagers Phil, der aus einem Sommercamp zurückkehrt in ein Zuhause, das sich während des Sommers verändert hat. Ein Sturm hat gewütet und vieles zerstört. Doch auch die Stimmung zwischen seiner Schwester und seiner Mutter scheint auf einem Tiefpunkt, aber niemand will ihm sagen, wieso. Als er sich in den schönen neuen Mitschüler Nicholas verliebt, kann er zumindest für kurze Zeit das Drama zuhause vergessen. Doch auch die erste Liebe hält nicht alles, was sie verspricht.

    In erster Linie versteht sich der Film als Coming-of-Age-Drama und ist als solches sehr berührend. Traurigkeit, Unsicherheit, Verwirrung und ein Funken Hoffnung treffen im Protagonisten Phil zusammen und der Film bringt all das wunderbar rüber, lässt den Zuschauer an Phils Emotionen teilhaben und mit ihm leiden. Und es auch noch genießen!

    Allerdings ist der Film stilistisch nicht immer ganz stimmig. Manchmal machte es auf mich den Eindruck, dass Erwa überwältigt war vom Filmbudget - es ist immerhin seine bisher größte Produktion - und es dazu genutzt hat, ein bisschen mit Stilmitteln herumzuexperimentieren, die sich aber nicht durch den ganzen Film ziehen und manchmal zu ungeschickt mit der sonst eher melancholischen Stimmung im Film brechen.

    Eines dieser Stilmittel - aber auch das interessanteste - ist Erwas Inszenierung des „gay gaze“. Das ganze ist angelehnt, an den stark kritisierten „male gaze“, bei dem Frauen im Film immer durch die Augen des männlichen Protagonisten vorgestellt werden. Auch Nicholas wird uns durch Phils Augen gezeigt. Dieser fängt nämlich fast an zu sabbern, als sein schöner Mitschüler zum ersten Mal den Klassenraum betritt. Der male/gay gaze ist allerdings schon so überstrapaziert, dass er nur noch ein langweiliges Klischee ist. Allerdings hebt sich die Szene so dermaßen vom Rest des Films ab, durch Slow Motion und ein rot gefärbtes Bild, dass es durchaus den Eindruck macht, dass sich Erwa selbst über diese Filmpraktik lustig macht und nicht unreflektiert in seinen Film einbaut.

    Obwohl „Die Mitte der Welt“ als überwiegend deutsche Produktion daherkommt, leugnet der gebürtige Grazer Regisseur Jakob M. Erwa seine Wurzeln nicht. Für die Portion österreichischen Charme sorgt Nina Proll in einer kleinen Nebenrolle, die für Phils Probleme ein offenes Ohr hat, wenn es seine Familie gerade nicht tut. Mit ihrem „Heast Bua“ erheitert sie nicht nur Phil, sondern auch das Publikum. Auch im Abspann zeigt sich Erwas österreichischer Stolz als unsere Jugendhymne „The Sun“ von Naked Lunch ertönt.

    Unter dem Strich ein schöner Film über Themen, die nicht nur für Teenager wichtig sind: Liebe, Familie und die Suche nach der eigenen Mitte der Welt.
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    (Marina Ortner)
    24.11.2016
    01:18 Uhr
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