Filmkritik zu Captain Marvel

Bilder: The Walt Disney Company Fotos: The Walt Disney Company
  • Bewertung

    Durchwachsener Einstand für Carol Danvers

    Exklusiv für Uncut
    Elf Jahre hat es gedauert, aber nun ist es da, das erste Soloabenteuer einer weiblichen Superheldin von Marvel. Mit „Captain Marvel“ lassen die Regisseure Anna Boden und Ryan Fleck („Half-Nelson“, „Mississippi Grind“) aber nicht nur eine Frau, sondern wie es aussieht auch den stärksten aller Avengers auf die Zuschauer los. Eigentlich eine gute Sache, aber trotz Emanzipierung und toller Frauenrollen ist der Film leider nur bedingt eine runde Sache geworden.

    Der Film setzt, untypisch für eine Origin Story, nicht am Beginn ein, sondern irgendwo in der Mitte. Die Heldin (Brie Larson) hat bereits ihre Kräfte, die Fähigkeit Energiestrahlen so produzieren und absorbieren, aber keine Erinnerung mehr wer sie war und woher sie kommt. Genannt wird sie gemeinhin nur Vers, ihr Ziel ist gemeinsam mit ihrem Mentor Yon-Rogg (Jude Law) und der Kree Militäreinheit „Starforce“ auf Missionen gegen die Skrull, eine Rasse von Gestaltenwandlern, geschickt zu werden. Als ihr der spirituelle Anführer der Kree, die Supreme Intelligence (Annette Bening) endlich den Zuschlag erteilt, geht die Mission jedoch schief und Vers wird von den Skrull entführt.

    An diesem Punkt hat der Film vielleicht gerade mal die Ausgangssituation für den weiteren Verlauf dargelegt, als Zuschauer ist man aber bereits überfordert. Weil „Captain Marvel“ ist nicht einfach nur ein Film über diese Lichtbälle schießende Frau, er ist das schnell noch vor „Avengers: Endgame“ eingequetschte Bindeglied zwischen den überlebenden Mitgliedern der Rächertruppe und ihrem neuesten Zugang. Wer sich nicht sicher war wer oder was die Kree sind, wie sie zum Rest der Galaxie stehen und was sich sonst noch so im MCU-Universum tut, der ist hier in den ersten 15 Minuten gut bedient. Wer einen Film schauen will, ohne den Notizblock oder rote Fäden zu zücken, der wird über den Erguss an Infos etwas verstimmt sein.

    Dabei ist die Ironie der Sache, dass auch Vers auf der Suche nach Informationen ist. Erste Hinweise auf ihre Vergangenheit bieten sich, als die Skrull rund um Talos (Ben Mendelsohn) in ihren verdrängten Erinnerungen wühlen um nach einer Dr. Wendy Lawson (ebenfalls Bening) zu suchen, die Vers anscheinend in einem anderen Leben gekannt hat. Doch bevor sie ihr Ziel erreichen erwacht die verwirrte Soldatin und kann sich befreien. Mit einem Escape Pod landen sie und eine Gruppe Skrull auf dem nächstgelegenen Planeten C-53, auch bekannt als Erde.

    Hier schwingt der Film von galaktischem Abenteuer auf eine lustige Retroschiene mit Fisch auf dem Trockenen Charakter um. Ähnlich wie beim ersten Thor Film kommt Vers nicht nur alles fremd vor, diesmal sind es auch noch die 90er. So landet sie beileibe nicht irgendwo, sondern kracht durch das Dach eines Blockbuster-Videoverleihs. Klassisch 90er geht es nicht. Aber hier hört der Film noch nicht auf. Süffisant, aber teilweise doch etwas aufgelegt geht er die volle Bandbreite an Klischees durch. Altavista Suchmaschinen, Plastikgewehre mit Schaumstoffgeschossen, Spielautomaten, Pager, Flanellshirts und Baseballcaps machen das große Comback, während aus den Boxen No Doubt und Salt’N’Pepa dröhnen.

    Vers bleibt in ihrer Mission, herauszufinden was sie mit diesem Planeten verbindet und wo die restlichen Skrull sich verstecken nicht allein. Zu ihr gesellt sich ein noch beide Augen besitzender Agent Nick Fury (Samuel L. Jackson, verschwunden hinter einer konstanten De-Aging CGI Maske), der sie irgendwo in der amerikanischen Wüste zu den Überresten des Projekt Pegasus führt, an dem die mysteriöse Dr. Lawson gearbeitet hat. Hier dreht sich endlich ein Schlüssel in Vers Kopf um. Auf einem alten Foto entdeckt sie sich selbst. Carol Danvers war ihr Name, US Air Force Pilotin. Und an was immer Lawson gearbeitet hat, die Skrull wollen es in die Finger bekommen.

    Auch hier ist die Erinnerungsklauberei noch nicht vorbei. Sie zieht sich weiter bis nach Louisiana, wo Carol auf ihre alte Freundin Maria Rambeau (Lashana Lynch) und deren Tochter trifft und wo sie so langsam die eine oder andere Wahrheit über die Leben ins rechte Licht rückt. Das ist zwar löblich, aber es nimmt dem Film sämtliche Energie, wenn sich die Heldin aufgrund einer sich ewig ziehenden Amnesie nicht weiterentwickeln kann. Danvers schwankt zwischen der eiskalten Kree Kämpferin und der perplexen Erdenbürgerin, der eine Eingebung nach der anderen nachgeworfen werden muss, bis der Film schließlich fast vorbei ist. Wenn dich daher in Sachen Leinwandpräsenz sogar eine orange Katze namens Goose im Air Force Hangar („Top Gun“ lässt grüßen) übertrumpft, stimmt etwas nicht mit dem Skript.

    Der gelegentliche Fanservice peppt den Film zwar auf, die wiederkehrenden Figuren werden jedoch etwas spärlich eingesetzt und die Auflösung manch kleinerer Mysterien aus vorangegangenen Filmen wirkt nicht immer so beeindruckend wie erhofft. Worin der Film jedoch Geschick zeigt ist seine an bewussten Stellen eingesetzte feministische Dogmatik und die gelegentlichen Seitenhiebe auf weibliche Erfahrungen. Sie solle doch mal lächeln, ruft ihr ein raubeiniger Biker entgegen. Danvers antwortet indem sie ihm das Bike stiehlt.

    Der letzte Akt, der sich durchaus sehen lassen kann, macht zwar vieles wett, aber so richtig kann Captain Marvel in ihrem ersten Abenteuer nicht überzeugen. Um wirklich „einer von den Jungs zu sein“, die seit Jahrzehnten ihren Anteil an mittelmäßig bis schlechten Superheldenfilmen überlebt haben, muss sie sich auch nicht hervorheben. Trotzdem wäre es ihr zu wünschen gewesen.
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    (Susanne Gottlieb)
    07.03.2019
    06:38 Uhr
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