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    Literarische Reflektion im Quadrat

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2016
    Zwei Personen sind vier Charaktere. Ein Kammerspiel der Beziehung und Reflektion, Auswirkung der Auseinandersetzung. Hoch poetisch, philosophisch und auch amüsant. Die mal mehr, mal weniger verliebten Briefe zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan werden Aufnahme für Aufnahme vom Wiener Burgtheater-Schauspieler Laurence Rupp und der steirischen Musikerin Anja Plaschg eingesprochen. Die Improvisationen, die abseits der Aufnahme, in den Gängen und Treppen des Wiener Funkhauses entstehen sorgen unbefangen für die nötige Prise Zucker, auch als Ausgleich zur schweren Kost der Briefe. Das wichtige daran ist, dass so die Sprache zum Atmen kommt. Es wird die Reaktion der beiden Sprecher auf die Briefe gezeigt, und das hilft dem Publikum, damit umzugehen. Auch die Reaktionen von Anja und Laurence auf einander erzeugen einen roten Faden, eine Eigendynamik.

    Das Verhältnis der beiden Schriftsteller, die die Briefe schrieben, begann Ende der vierziger Jahre - eine schwierige Zeit für den Juden Paul Celan, der gerade aus Bukarest nach Wien flüchtete und kurze Zeit später nach Paris übersiedelte. Der Hintergrund dieser Zeit trägt zur Dramatik und Intensität der Geschichte bei. Geschrieben wird aus weiter Entfernung, es wird erinnert, was da mal war zwischen den beiden, und Erwartungen werden aufgebaut, Sehnsüchte ausgelöst, Beteuerungen der Liebe ausgesprochen.

    Auch die musikalische Ader, eine der Gemeinsamkeiten, die Anja Plaschg mit Ingeborg Bachmann teilt, spielt eine Rolle. Im Funkhaus findet eine Konzertprobe statt und die beiden Sprecher sind die heimlichen Zuhörer. Der Aufbau der Musik wird diskutiert und über das eigene Musikmachen in einer entstehenden Basis des Vertrauens erzählt. Wer Anja Plaschg als die Musikerin Soap & Skin kennt, erhofft sich bestimmt auch musikalische Beiträge ihrerseits, was tatsächlich, sparsam aber gezielt, vorkommt.

    Das Funkhaus als Drehort stellt sich als eine fruchtbare Kapsel heraus. Der innere Raum der dort entsteht lässt einen mit den Charakteren vertraut werden. Er lenkt den Fokus hauptsächlich auf die Inhalte und Worte, was diesen mehr Bedeutung zukommen lässt. Im Publikumsgespräch kam auch heraus, das dieses Radiostudio schon seit 1938 existiert, und auch die alten Wandgemälde, die schöne Zwischenbilder unter den Texten erzeugen, schon darin waren. Die Regisseurin Ruth Beckermann hat entschieden, dem Raum nur wenige Requisiten zuzufügen, und ihn in seiner Schlichtheit dastehen zu lassen.

    „Für die Wahrheit der Welt hat nur Verstand, wer ihn verliert.“, realisiert Laurence.
    „An der Grenze zum Verstand verlieren find ich’s am schönsten!“ entgegnet Anja. Solch tiefsinnige Gedanken der beiden inspirieren einen selbst zum philosophieren und gemeinsam mit den Kostproben der bemerkenswerten Poesie von Celan und Bachmann wird dieser Film zu einem Literaturfilm wie man seiner Art selten begegnet.
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    (Luzia Johow)
    12.03.2016
    20:47 Uhr

Die Geträumten

Österreich 2016
Regie: Ruth Beckermann
AT-Start: 16.12.2016