Bilder: EuroVideo Fotos: EuroVideo
  • Bewertung

    Ein Film der groovt wie ein Song

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2016
    Eine Mischung aus Roy Anderson-Farben, Jim Jarmusch-Musik und Lars-von-Trier-Charakteren in Urbanem Brachland erzeugt Weltuntergangsstimmung. Ich saß im Kino und wippte mit dem Körper, die Bilder bejubeln wollend wie ein abenteuerliches Spiel, mitgroovend im Takt der Schnitte.

    Die Bilder allein machen schon sehr viel aus: Kalt und entsättigt symbolisieren sie den Tod. Dazu trägt auch die karge französische Landschaft bei, die Regisseur Bouli Lanners (wir kennen ihn als Schauspieler und auch hier spielte er mit) ursprünglich zum Film inspiriert hat. Ein weiter grauer Himmel und Horizonte laden ins Paradies der traurigen Wanderer. Oberflächen wie Dächer oder Wände spielen eine große Rolle. Nass oder trocken, sowohl rau als auch glatt, tragen sie eine Patina aus Dreck und Flechten. Nah dran sind wir aber, wenn es um die zarten und gröberen Gefühle der Protagonisten geht, sodass wir sie hilflos in unser Herz schließen müssen. Darin eines der liebsten Liebespaare meiner Berlinale: Esther, geistig schwach, und ihr Beschützer Willy ziehen, auf der Flucht und auch auf der Suche voller Angst von Ort zu Ort. Doch die Angst wird gelindert durch die gegenseitige Liebe, und die Kälte durch die Wärme, die sie sich geben. Diese menschlichen Gefühle werden in tollen Nahaufnahmen eingefangen. Auf ihrem Weg treffen die beiden Unterstützer und Widersacher ganz spezieller Sorten, verwickeln sich unabsichtlich in kriminelle Machenschaften und verlieren sich, was zur verzweifelten Suche wird.

    Ähnlich verzweifelt wie die Figur der Bess aus Triers „Breaking the Waves“, schreit auch Esther, geistig behindert, sobald sie die kleinste Bewegung vernimmt. Ohne ihren Willy scheint sie nicht zu funktionieren. Eine Rolle, die bestimmt erst durch die fantastische Aurore Broutin ihr ganzes Potenzial entfaltet hat.

    Viele einzigartige Charaktere haben in Sideplots miteinander zu tun bis sich schließlich alles fokussiert und alle an einem Strang ziehen. Vielleicht auch mit Hilfe des rätselhaften Fremden, der sich Jesus nennt. Religiöse Metaphern geben dem Ganzen tatsächlich eine feine Ironie, wenn ähnlich der drei Könige ein Geschenk für ein Kind gesucht wird, und eine Hand gelöchert wird. Gelacht wurde außerdem bei den wunderbar komischen Situationen und Tragödien, in die die Hauptcharaktere immer wieder geraten.

    Mit diesem „chef-d’oeuvre” bestätigte sich mir encore une fois, dass das charmante Frankreich eines meiner Lieblingskinoländer ist.
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    (Luzia Johow)
    23.02.2016
    15:35 Uhr