Filmkritik zu Raum

Bilder: Universal Pictures International Fotos: Universal Pictures International
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    Fenster zur Welt

    Exklusiv für Uncut
    Filme über Entführungsfälle gibt es viele, dokumentarische und fiktive. Das Thema reizt den Voyeur, aus sicherer Distanz den Ausgang des Katz-und-Maus-Spiels gebannt mitzuverfolgen. Und im Fall der Verfilmung realer Ereignisse, darüber zu fantasieren, wie sie sich „wirklich“ zugetragen haben könnten. Als hierzulande die unfassbaren Gräueltaten von Wolfgang Priklopil und Josef Fritzl bekannt wurden und die erschütternden Kellerschicksale zutage kamen, bot sich reichlich Stoff für Geschichten. Die „3096 Tage“ dauernde Gefangenschaft von Natascha Kampusch etwa wurde mit ihrem Einverständnis im gleichnamigen Film visuell beklemmend, wenn auch spekulativ nacherzählt. Als Vorlage dafür diente Kampuschs Autobiografie.

    Das zutiefst bewegende Drama „Raum“ des irischen Regisseurs Lenny Abrahamson, der sich schon mit Tragikomödien wie „Frank“ oder „Garage“ im Independentbereich einen Namen machte, nutzt ebenfalls eine literarische Quelle. Seine Landsfrau, die Schriftstellerin Emma Donoghues, ließ sich für ihren 2010 veröffentlichten, klaustrophobischen Roman lose vom Kriminalfall Fritzl inspirieren und entwickelte in weiterer Folge auch das Drehbuch. Abrahamson erhielt für „Raum“ insgesamt vier Oscar-Nominierungen, in den wichtigen Kategorien „Bester Film“, „Beste Regie“, „Bestes adaptiertes Drehbuch“ und „Beste Hauptdarstellerin“, wobei letztlich Brie Larson für ihre intensive, emotionale Schauspielleistung mit dem Goldjungen ausgezeichnet wurde.

    In einem schäbigen Zimmer, auf beengend wenigen Quadratmetern, hausen „Ma“ (Brie Larson) und ihr fünfjähriger Sohn Jack (Jacob Tremblay). Joy, so ihr Name, ist als Teenager entführt und von ihrem Peiniger, den sie als Old Nick bezeichnet, regelmäßig missbraucht worden. Jack wurde in diesem Raum geboren und konnte ihn noch nie verlassen; alles was sich dort befindet, ist Teil seiner kleinen Realität, die kargen Alltagsgegenstände sind ihm stille Freunde. Ein anderes Leben kennt er bloß aus dem Fernsehen, jedoch hat Ma ihm eingeredet, dass diese Bilder alle erfunden seien. Jacks Mutter ist seine einzige Kontaktperson, dementsprechend eng ist ihre Beziehung. Nach sieben Jahren in Gefangenschaft gelingt den beiden die Flucht, doch auch im wahren Leben gibt es Barrieren: Jack hat Probleme, sich an die neue Welt zu gewöhnen und Joy trauert ihrer verlorenen Jugendzeit hinterher.

    Die Handlung des Films gliedert sich in zwei Teile – die Zeit in der Gefangenschaft und die Zeit in Freiheit. Faszinierend dabei ist, dass man die gesamte Geschichte, teilweise auch durch Jacks Voice-over, aus der Perspektive eines Fünfjährigen miterlebt. Jacob Tremblays große Leistung liegt in der Vermittlung von Jacks kindlicher Denkweise, die uns die Welt durch seine Augen sehen und verstehen lässt. Für Jack findet das wirkliche Leben nur im Raum statt, die Außenwelt, von welcher sich zumindest der Himmel durch ein winziges Dachfenster wahrnehmen lässt, ist irreal für ihn. Die ruhigen, lautlosen Szenen, in denen wir das Trauma des Eingesperrtseins ansatzweise zu erahnen vermögen, zählen zu den stärksten und gleichzeitig berührendsten Momenten des Films. Auch Brie Larsons Schauspiel geht unter die Haut: ihre Anpassung an die Umstände und ihre Bemühungen, dem Sohn die Fassade der Normalität in alltäglichen Ritualen vorzuspielen. Liebende Eltern tun alles, um ihre Kinder zu schützen; so ist es auch bei Joy, die Jack jedes Mal im Schrank versteckt, wenn sich Besuch von Old Nick ankündigt. Das sensible Mutter-Sohn-Porträt bildet das Herzstück des Dramas und veranschaulicht, dass man Menschen zwar ihrer Freiheit berauben kann, aber nicht der Hoffnung und der Liebe.
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    (Tasara Weis)
    25.03.2016
    22:18 Uhr
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