Bilder: The Walt Disney Company Fotos: The Walt Disney Company
  • Bewertung

    Langwieriges Action-Spektakel mit zu vielen Charakteren

    Exklusiv für Uncut
    Jeder kennt das Gefühl. Man zahlt 10 Euro beim „All You Can Eat“-Buffet und ist überwältigt von der Auswahl an Speisen. Alle Lieblingsgerichte sind dabei und man kommt nicht drumherum sich alles auf einmal auf den Teller zu häufen. Nur dass man dann nach drei Stunden merkt, dass es alles zu viel war und die Kombination ein ungutes Gefühl im Magen hinterlässt. Und nun muss man sich das Ganze in filmischer Form vorstellen. Dann bekommt man „Avengers: Infinty War“.

    Es sollte laut Disney das „ambitionierteste Cross-Over Projekt aller Zeiten“ werden. Wie in einem Nadelöhr war seit einem Jahrzehnt jeder Film, jede Handlung im MCU auf dieses Großereignis zugelaufen. Filme wurden nicht mehr zu eigenständigen narrativen Akten, der rote Faden spannte sich quer durch die Handlungsbögen, was oft der dramaturgischen Drei-Akt-Struktur und der Kunst, Zuschauer in die Welt einzuführen, keinen Gefallen tat. Unnötig für die Bosse, immerhin ist die Idee ja, dass sich jeder Zuschauer in den letzten Jahren alle Marvel-Filme angeschaut hat und daher auskennt. Das MCU ist somit wohl die teuerste Fortsetzungsserie aller Zeiten, die statt im Fernsehen auf der Leinwand zu sehen ist. Marvel ist sich dieser Timeline bewusst, scheint doch am Anfang im Logo noch groß die Zahl „10“ auf. Zum Jubiläum ist dies auch der erste Marvel Film, der den Anspruch, einigermaßen in sich geschlossen zu sein, zu Beginn auch komplett über Board wirft und nicht einmal versucht sein eigenes Ding zu sein.

    Der Film eröffnet als Fortsetzung der Post-Creditszene von „Thor: Ragnarok“. Thanos und Konsorten haben das Flüchtlingsschiff der Asgard geentert. An Board macht Thanos den Überlebenden, unter anderem Avenger Thor (Chris Hemsworth), klar, dass er die Infinity Steine auf seinem Stulphandschuh, dem „gauntlet“, vereinen will. Mit ihnen wäre er das mächtigste Wesen in der Galaxis und könnte sie nach seinen Vorstellungen formen. In diesen paar Minuten, bevor überhaupt der Titel auf dem Bildschirm aufblendet, machen die Regisseure Anthony und Joe Russo bereits klar, hier wird in alter „X-Men 3“-Manier mit dem über die Jahre gewachsenen Repertoire an Charakteren aufgeräumt werden. Bruce Banner (Mark Ruffalo) kann schließlich zur Erde entkommen, wo er die irdischen Hauptcharaktere (Doctor Strange, Iron Man, Spiderman, War Machine, Captain America, Black Widow, Falcon, Scarlett Witch, Vision, Winter Soldier und Black Panther) warnt. Thor stolpert über die Guardians of the Galaxy (Star Lord, Gamora, Drax, Rocket, Groot, Manthis). Und alle müssen sie im staccatoartigen Szenenwechsel ihren Beitrag leisten um diese kleine Horkrux-Jagd von Thanos zu stoppen. Das Tempo lässt sich so beschreiben, als wären die Russos an der Seitenlinie gestanden und hätten Kärtchen mit den Worten „Hier sind deine zehn Minuten, und hier sind deine zehn Minuten“ ausgeteilt. In dieser Kritik sind noch nicht einmal alle Figuren aus dem MCU erwähnt, die auch sonst noch im Laufe des Films vorkommen, teils auch als Spoiler-Gründen. Andere hingegen werden aus unerklärlichen Gründen mit keinem Wort erwähnt.

    Diese Ambition, alle Figuren in einen Film zu packen, schadet der Erzählstruktur. Nicht nur, weil es quasi schon mal eine Stunde dauert bis alle Schlüsselfiguren im Film eingeführt sind. Der Film hat einfach keine Zeit bei einer Idee zu verweilen, er hetzt von Schauplatz zu Schauplatz, von Superheld zu Superheld. Fast kommen ungute Erinnerungen an dem in letzten Jahr gefloppten „Justice League“ auf. Aus dem Herunterrattern von Szenen ergibt sich dann das sich wiederholende Muster „Thanos kommt auf einem Planeten/Schiff an, eine Gruppe von Helden stellt sich ihm entgegen, Kampfszene, Thanos überwältigt sie, Thanos entkommt mit Stein“. Dafür, dass hier auch fleißig Frühjahrsputz mit Figuren betrieben wird, sind die Tode, die sich über den Lauf des Filmes ereignen, und bei denen man wohl bis zum zweiten Film warten muss ob sie echt sind oder nicht, selten wirklich effektiv in Szene gesetzt. Weil wenn es darum jemanden sterben zu lassen oder einen der Steine auszuhändigen, entscheiden sich die Helden lieber für Variante zwei.

    Wofür diesmal auch fast keine Zeit bleibt ist der typische Marvel-Humor als organischer Bestandteil eines jeden Films. Zwar werden immer wieder Sprüche gerissen, aber sie wirken nicht als Teil eines größeren Ganzen, sondern wie nachträglich mit einem roten Marker eingefügt. Szenen wie Star Lords Minderwertigkeitskomplex gegenüber Thors Maskulinität provozieren höchstens ein müdes Lächeln und es ist schade, dass ausgerechnet die alten recycelten Witze aus den anderen Filmen am besten funktionieren. Ebenso bricht der Film leider mit vielen Elementen, die in seinen Vorgängern etabliert wurden und einem spezifischen Zweck dienten, nur um seine eigene Agenda durchzudrücken. Die Augenklappe Thors, die im Ragnarok noch so sinnbildlich dafür war, dass der Prinz sein Erbe antritt und den Vater spiegelt, wird fallengelassen und Rocket schenkt Thor ein künstliches Auge.

    Bleibt der Bösewicht selbst. Marvel hat einen Ruf dafür, nicht sonderlich gut in der Umsetzung ihrer Bösewichte zu sein. Thanos war der Badass, auf den die Fans seit Jahren warteten. Wird er diesem Anspruch gerecht? Fakt ist, er will nicht einfach nur fies sein, sondern sieht sein Tun als etwas Gutes. Nicht ungleich Loki oder Zemo will Thanos etwas schaffen, ein besseres Universum. Leider bedeutet das bei ihm auch Massengenozid an der galaktischen Bevölkerung. Er steht damit in einer Tradition von Bösewichten wie „Watchmen“-Möchtegerngott Ozymandias und George R.R. Martins Haviland Tuf aus „Planetenwanderer“. Der Zweck heiligt die Mittel.

    Zusammenfassend lässt sich sagen, „Avengers: Infinity War“ ist zwar ein filmisches Chaos, kann aber stellenweise durchaus unterhalten. Es sind in erster Linie die zwischenmenschlichen Szenen, die dem Film erden. Iron Man und Spiderman sind noch immer das beste Mentor-Schüler Gespann des MCUs, Scarlett Witch und Vision die wohl interessanteste Romanze seit langem und auch Thor harmoniert unterwartet gut mit Rocket und Groot. Ebenfalls sehenswert ist die Beziehung zwischen Gamora und ihrem verhassten Vater Thanos. Das nützt dem Film aber wenig, denn Szenen wie diese sind zu selten und zu kurz. Marvel sollte sich nach dem zweiten Avengers-Teil 2019 statt auf überambitionierte Crossovers wieder auf Charakterfilme konzentrieren. Im Endeffekt sind schließlich Filme wie „Black Panther“ befriedigender als ein gehetzter Staffellauf des Marvel-Klassentreffens.
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    (Susanne Gottlieb)
    25.04.2018
    13:40 Uhr
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