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  • Bewertung

    Unsterbliche Liebe als Konstante im Zeitencocktail

    Exklusiv für Uncut aus Cannes 2015
    Nicht nur der Titel nimmt Anleihen an Shakespears berühmtester Liebesgeschichte, die ganze Tragödie tut es. Die Liebenden kommen hier jedoch nicht aus verfeindeten Häusern, sondern sind unter ein und demselben Dach aufgewachsen. Sie sind Geschwister. Seit Kindertagen unzertrennlich, schworen sie sich bereits in jungen Jahren ewige Liebe. Der Schwur sollte in Erfüllung gehen. „Unsere Liebe ist ein Fluch“, bemerkt Marguerite einmal. Sie sollte recht behalten. Was im Mittelpunkt steht ist der Kampf mit Dämonen. Mit eigenen und mit jenen des Umfelds. Denn natürlich ist – im ausgehenden 16. Jahrhundert wie heute – Inzest in den Augen von Kirche und Gesellschaft ein Verbrechen. Die adeligen Eltern und der Priester erkennen die ungewöhnliche Liebe schon früh, versuchen die beiden zu trennen. Ohne Erfolg. Als sie nach Jahren wieder aufeinander treffen fühlen sich die beiden Magnete mehr denn je voneinander angezogen. Um so weiter sie sich trennen, um so heftiger ist der Zusammenprall. Auseinander driften und Gewissenskonflikte bestimmen die erste Hälfte des Films, der Zusammenprall die Zweite. Was die Gesellschaft nicht unter Kontrolle bekommt, muss vernichtet werden. Den Liebenden bleibt nur die Flucht. Das Feingefühl der Erzählung ist beachtenswert. Die Kamera streichelt Körper und Natur ebenso, wie die Liebenden es tun. Über ein Urteil ist die Erzählung erhaben. Die Geschichte wäre Kitsch, würden die Liebenden nicht verwandt sein. Das Drehbuch wurde bereits in den 1970ern für Francois Truffaut geschrieben, dieser wollte den Film allerdings nicht machen. Valérie Donzelli griff nun die Tragödie wieder auf.

    Angesiedelt ist das Ganze in einem Zeitencocktail. Erzählt wird die um 1600 spielende Geschichte in einem Waisenhaus der Gegenwart, optisch würde man sie in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts einordnen. Die Konstruiertheit der Handlung wird immer wieder ins Gedächtnis gerückt. Es läuft so ab, wie es sich die Kinder vorstellen, was auch heißt, dass auch schon mal ein Helikopter auftauchen kann. Liebe ist zeitlos, kann man als dahinter stehende Botschaft vernehmen. Liebe ist größer als der Mensch. Sie ist vorbestimmt, das Individuum kann sich nicht dagegen wehren. Da ist auch die Kirche machtlos. Auch kunsthistorische Diskurse sind zu finden: Fotografie löst die Malerei ab. Während der junge Julien seine Schwester in Kindertagen noch zeichnete, fotografiert er sie nun. Im Film erstarren die Figuren manchmal. Es ist ein malerisches Innehalten in Momenten großer Aufregung. Auch, wenn mehr oder weniger gelungene künstlerische Elemente wie diese des Öfteren von Schwächen in Charakterentwicklung und der teils recht seichten Story abzulenken versuchen, sind sie letztendlich dem Filmgenuss doch förderlich und sorgen für die Abwesenheit von Langeweile.
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    (Patrick Zwerger)
    20.05.2015
    16:19 Uhr
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