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    Oma bringt's

    Es ist nicht nur ein brasilianisches Phänomen, dass Mütter weit weg in der Stadt arbeiten müssen und ihre Kinder von Verwandten aufgezogen werden. Dies hat Regisseurin Anna Muylaert thematisiert und eindrucksvoll mit Laiendarstellern umgesetzt.
    Hier ist es Val (Regina Casé), die in Sao Paolo bei Barbara und Carlos arbeitet. Ihre Tochter Jessica (Camila Mardila) kommt in die Hauptstadt, um sich für einen Studienplatz für Architektur zu bewerben.
    Val hat ihrerseits Fabinho (Michel Joelsas) den Sohn ihrer Arbeitgeber wie einen Sohn großgezogen. Der will auch Architekt werden. Abgesehen vom vorhersehbaren Ende diese Handlungsstranges sind die feinen Klassenunterschiede bemerkenswert.
    Jessica wird durchs Haus geführt, das auch ein Gästezimmer hat, doch sie muss neben Mama auf dem Boden auf einer Matratze schlafen. Carlos macht Jessica den Hof. Als sie ablehnt, lacht er los ‘Ein Scherz!‘ (Vielleicht ein Schelm, der Böses dabei denkt?!) Barbara reagiert immer stinkiger, baut sogar einen Unfall. Als Jessica mit Fabinho und einem Freund im Pool rumplantscht, nimmt das Barbara zum Anlass, das Wasser abzulassen. Sie hatte angeblich eine Ratte im Pool gesehen. Der ist aber nur für die Herrschaft da. (Apartheit lässt grüßen). Da kann später aber Val knietief drin herumstolzieren, wenn sie mit Jessica telefoniert, die die Aufnahmeprüfung bestanden hat und ihr mitteilen, sie sei im Pool. Fabinho fällt natürlich durch.
    Ein Streitgespräch zwischen Mutter und Tochter bringt Klarheit. Val hat ein Foto von einem Baby in Jessicas Sachen gefunden. Die Oma in ihr meldet sich zu Wort. Val und Jessica trinken einen Versöhnungs-Kaffee, aus dem Service, das Val ihrer Herrschaft mal geschenkt hatte, die es aber nicht wollten. Drum hat sie es mit der Kündigung mitgehen lassen. Warmherzig und doch präzise.
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    10.10.2018
    12:23 Uhr
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    Leichtfüßiges Sehvergnügen

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2015
    Val ist Haushälterin in der Villa einer wohlhabenden Familie in Sao Paolo. Sie macht ihren Job ausgezeichnet und ist für den 17-jährigen Fabinho wie eine zweite Mutter. Oder besser gesagt seine Lieblingsmutter. Denn zur leiblichen - ihreszeichen Fashionikone - findet er nicht so wirklich einen Draht. Auch, wenn Val beinahe zur Familie gehört, herrschen Strenge Regeln für das Zusammenleben zwischen Dienstgebern und Angestellten. Val weiß einfach, was sich gehört. Die sozialen Klassen werden filmisch gekonnt über Raumbilder definiert. So macht es einen Unterschied, auf welcher Seite der Küche man sich aufhält. Der Pool ist sowieso tabu.

    Doch natürlich braucht es auch einen Stein des Anstoßes, der die festgefahrenen Verhältnisse durcheinander bringt. In diesem Fall ist das Vals Tochter Jéssica, die sie selbst seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hat. Ihr Ziel: Die Aufnahmeprüfung an der überaus renommierten FAU-Universität, um dort Architektur zu studieren. Natürlich versteht es sich von selbst, dass die Tochter der beliebten Haushälterin einige Tage bei der Familie leben darf. Doch Jéssica zieht nicht nur bloß ein, sie crasht wie ein Orkan in die biedere Villa. Ihre Anwesenheit macht die Hausherrin schnell überflüssig, was natürlich Konfliktpotential in sich birgt. Innerfamiliäre Konflikte sind vorprogrammiert. Dass Jéssica den Tisch der Familie benutzt und noch dazu in den für Angestellte verbotenen Pool springt sind Provokationen sondergleichen. „Man weiß von Geburt an, was man darf und was man nicht“, hält ihr Val daraufhin vor. Denn für Dienstboten gehört sich das nicht. Doch Jessica ist anders: Sie scheint von Geburt an zu wissen, dass es keine natürliche Zweiklassengesellschaft gibt. „Sie hat ein Selbstbewusstsein, als wäre sie der Präsident“, sagt man über sie. Ein ständiger Mutter-Tochter-Konflikt schwingt dabei ebenso mit, wie eine Neuverhandlung der vorherrschenden Klassengesellschaft Brasiliens.

    Regisseurin Anna Muylaert schafft es, ein eine schöne Geschichte von Menschlichkeit und sozialer Ungerechtigkeit zu erzählen, ohne jemals anzuklagen oder mit gehobenen Zeigefinger zu agieren. Die Bildsprache ist dynamisch und voller Situationskomik. Die Liebenswerten Charaktere – allen voran die exzellent von Regina Casé gespielte Val – wachsen schnell ans Herz. Das sympatische Mienenspiel Vals sorgt für einige Schmunzler und viele Lacher. Ihr Charakter erinnert an die famose Gloria aus dem gleichnamigen chilenischen Film, die wie Val die Lust am Leben wiederfindet. Die ernsten Themen im Hintergrund geraten trotz der leichtfüßigen Inszenierung niemals in Vergessenheit. Klischees werden gekonnt ausgespart. Und wenn die endlich glücklich gewordene Val in der letzten Szene schelmisch lächelnd an ihrem Kaffee nippt, wird schlagartig klar, dass man soeben einen wunderschönen Film gesehen hat, indem die zahlreichen Probleme der Protagonisten, es zu keiner Zeit geschafft haben, das Sehvergnügen zu mindern.
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    15.02.2015
    02:49 Uhr