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    elser – wer?

    13 minuten, und die welt wäre eine andere geworden – möglicherweise. hätte nicht aufziehender nebel den start des fliegers verhindert, dann hätte hitler nicht vorzeitig den münchner bürgerbräukeller verlassen, sondern wäre mitsamt seiner entourage am 8. november 1939 wohl in die luft geflogen. welche wendung die geschichte dann genommen hätte, darüber kann nur spekuliert werden – und ist nicht thema dieses films:

    oliver hirschbiegel (der untergang) erinnert an den verhinderten attentäter (johann) georg elser (christian friedel), den bauernbuben, schreiner, bastler, den lebensbejahenden liebhaber einer unglücklich verheirateten frau – und er zeigt die deutsche volksgemeinschaft, die pimpfe mit der schwarzbraunen haselnuss auf den lippen, die braunhemden mit stolzgeschwellter brust, die verführung: "jedem deutschen volksgenossen seinen volksempfänger", den glauben an fortschritt und die segnungen der technik – wie die augen glänzen beim wochenschaubericht über die neue panzergeneration: das ist deutsche qualitätsarbeit! die drohungen gegen außenstehende werden unverblümter, die ersten "volksverräter" abgeführt: fürs erste begnügen wir uns mit den kommunistischen parteimitgliedern, aber bald seid auch ihr sympathisanten dran...! die erste frau mit dem schild "ich bin im dorf das größte schwein, drum lass ich mich mit juden ein" wird auf dem marktplatz öffentlich gebrandmarkt: nichts, was nicht für jedermann sichtbar gewesen wäre – und doch scheint nur elser zu sehen, zu begreifen... und er muss auch tatenlos zusehen, wie seine heimliche geliebte von ihrem ehemann windelweich geprügelt wird: der ehemann dein herr – als ob wir in einer fortsetzung von hanekes weißem band säßen.

    auch die amtsträger unter den nazis sind nicht durchwegs tumbe psychopathen: die protokollführerin, die sich die folterschreie anhören muss, lässt sich ein zeichen der menschlichkeit entlocken, der reichspolizeikommissär nebe (burghart klaußner) verzweifelt an elsers redlichkeit und dem propagandistisch motivierten beharren des SS-folterspezialisten auf hintermänner im britischen geheimdienst: erste zweifel, die nebe jahre später zum unterstützer des stauffenberg-attentats machen werden.

    fazit: eine würdigung zum 75. todestag von johann georg elser, dem vergessenen, verleumdeten, totgeschwiegenen, der trotz eines beachtlichen biopics mit klaus-maria brandauer (1989) noch immer ein weithin unbekannter zu sein scheint – hirschbiegel ist ein wunderbarer, gut recherchierter und mit seinen darstellerleistungen überzeugender "heimat- und liebesfilm und ein politkrimi" gelungen, der durch den einsatz von farbe an unmittelbarkeit gewinnt: hier ist nichts eine "monströse entgleisung der geschichte", sondern ganz normaler alltag, und hier ist auch nichts abgehakt – die foltermethoden könnten dem handbuch für "enhanced interrogations" entnommen sein. (eine) geschichte, die uns angeht – ein würdiger kandidat für den auslands-oscar...

    meine wärmste empfehlung.

    PS: "du wirst sehen", soll nebe über elser gesagt haben, "den mann machen sie noch hinterher fertig: den schweigen sie tot [...], der mann wollte einfach nicht den krieg [...]. gerade deswegen werden deine feinen leute nichts von ihm wissen wollen, auch nicht hinterher [...]. sie haben übrigens ganz recht damit; sie handeln völlig instinktsicher. der passt nicht zu ihnen."

    wolfgang schäuble, innenminister (2008): "wir deutschen", sagte er, "haben uns mit dem widerstand schwergetan. [...] es fiel nicht leicht, anzuerkennen, dass es menschen gab, die ein klareres urteil und den mut hatten, sich dem hitler-regime zu widersetzen. das gilt schon für stauffenberg und seine mitverschwörer. das gilt aber noch viel mehr für elser, den schwäbischen handwerker, der viel früher ein klares urteil fasst und einfach handelt. [...] heute endlich erinnern wir uns mit dank an georg elser. er gehört zu denen, die es uns leichter machen, auf die geschichte unseres landes zurück- und hoffnungsvoll nach vorne zu blicken."
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    13.06.2015
    23:39 Uhr
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    Die Unfassbarkeit des Alleinganges

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2015
    Betrachtet man die Filmographie von Regisseur Oliver Hirschbiegel, dann fällt dabei auf, dass er sich nahezu ausschließlich mit der Aufarbeitung der deutschen Geschichte, speziell der Nazi-Zeit, befasste. Nur einmal gab es einen Ausflug abseits der dunklen Geschichte seiner eigenen Heimat, als er das filmische Portrait von Lady Diana drehte. Aber irgendwie hatte ja selbst dieser Film mit einem schmerzhaften Kapitel der Geschichte Englands zu tun, wenngleich auf einer völlig anders gelagerten Ebene.

    Jetzt ist er wieder zurückgekehrt und kann das machen, was er bis jetzt am besten gemacht hat: zeigen, dass es in den Reihen seiner eigenen Landleute auch solche gab, die bereits früh die schrecklichen Ausmaße dessen begriffen, was da über Deutschland und über ganz Europa hereingebrochen war. Aber nur wenige von ihnen hatten den Mut, etwas zu unternehmen, ihr eigenes Leben aufs Spiel zu setzen, bevor es ihnen als Widerständler vielleicht ohnehin genommen worden wäre. Die Geschichte von Georg Elser ist wohl eine von vielen, sie ist aber deshalb so dramatisch, weil sein Attentat nicht vereitelt wurde, sondern lediglich durch eine Laune des Zufalls seine Wirkung verfehlte: anders als sonst hielt sich Adolf Hitler nicht penibel an seinen Zeitplan, sondern verließ die Veranstaltung im Münchner Bürgerbräu 13 Minuten früher als geplant. Es war der Zufall, der ihm dazwischen pfuschte und es wird ein Gedankenexperiment bleiben, was danach wohl mit Europa geschehen wäre.

    Hirschbiegel lässt sich hier nicht auf dieses Experiment ein, sondern auf die Chronologie der Genese des Attentates und auf die Unfassbarkeit dieses Alleinganges, den die Gestapo bis zum Schluss nicht wahrhaben wollte. Ja, es war wirklich möglich, ohne Hintermänner im Alleingang etwas so Ausgeklügeltes vorzubereiten und durchzuführen. Elser führte den Machthabern vor, dass auch ein noch so ausgefeiltes Sicherheitssystem von einem einzelnen Menschen untergraben werden kann. Niemand ist unverwundbar und es gibt keine vollständige Sicherheit.

    In zahlreichen Rückblenden erzählt der Film die letzten Jahre Georg Elsers vor dem Attentat bis zu seiner Festnahme und Hinrichtung, nur 3 Wochen vor der Befreiung des KZ Dachau, in dem er inhaftiert worden war. Er kontrastiert dabei die Zeiten des Glücks im Leben Georg Elsers, das schon von Anfang an kein reines, unbeschwertes Glück gewesen ist, mit der Zeit der Bedrängnis und dem reifenden Entschluss, etwas zu unternehmen. Christian Friedel überzeugt in der Hauptrolle und macht mit seiner zurückhaltenden Entschlossenheit den Film zu einem glaubwürdigen Zeugnis des Kampfes eines Einzelnen gegen ein übermächtiges System.
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    13.02.2015
    09:03 Uhr