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    Brüder im Geiste

    Juvenile Zwillinge, die nach einer Gesichts-OP ihrer Mutter nicht mehr wissen, ob es sich dabei noch um dieselbe Person handelt – mit dieser Prämisse lassen sich ganz gut Ängste schüren. Die von Veronika Franz und Severin Fiala ersonnene Idee hat Biss und Potenzial, Alfred Hitchcock wäre erfreut darüber gewesen, hätte ihm jemand ein ähnliches Skript wie dieses auf den Tisch gelegt. Dieses Suspense-Kino hier kommt – oder kam, schließlich sind bereits zehn Jahre ins Land gezogen – aus heimischen Landen. Wie so oft in diesem Genre, sofern selbstproduziert, verortet sich der österreichische Horror im geheimnisvollen Waldviertel, da gibt es genug finstere Botanik, Einschicht und Isolation. Nirgendwo sonst kann es so gespenstisch werden, nirgendwo sonst ist selbst der Sommer immer einer, in dem die Wärme der Sonnenstrahlen nicht nur die Gemüter weckt, sondern auch ein bisschen den Wahnsinn. In dieser menschenleeren, doppeldeutigen Abgeschiedenheit müssen die quietschvergnügten Jungs Elias und Lukas ihre Ferien fristen, während sie auf die Rückkehr ihrer Mutter warten, die – keiner weiß, wie lange sie weg war – frisch von der Schönheits-OP daheim wieder aufschlägt. Dabei drängt sich gleich die erste Frage auf, die Ich seh ich seh nicht unbedingt einen Freifahrtschein in Sachen Plausibilität ausstellt: Kann es sein, dass die beiden – noch nicht mal Teenager – im wahrsten Sinne des Wortes mutterseelenallein selbst klarkommen mussten? Vernachlässigung der Aufsichtspflicht– ein Fall für das Jugendamt. Aber gut, ich gebe dem Streifen noch eine Chance, denn alles fühlt sich so an, als wäre es sehr wohl so gedacht gewesen, den Psychothriller in einer nüchternen, geradezu sperrigen Realität zu verankern, die zwar ordentlich mit Reduktion klarkommen muss, das Phantastische aber nur als Ausdruck eines Seelenzustandes streifen möchte.

    So ist Susanne Wuest mit ihren Gesichtsbandagen nicht sofort als Mama zu erkennen, und die Zwillinge hegen erste Zweifel, ist doch das Verhalten der scheinbar fremden Frau so anders, als es zuvor war, als Mama noch Mama war, und nicht dieser Eindringling, der vorgibt, vertraut zu sein. Der Verdacht einer Home Invasion steht im Raum, während Lukas bei Elias weiter Ängste schürt und Panik verbreitet. Er scheint auch das weniger geliebte Kind zu sein, womit Mama nicht hinterm Berg hält. Diese ungesunde Konstellation aus Misstrauen, Zweifel und häuslicher Gewalt lässt sehr bald den Haussegen ordentlich schief hängen, was zur Folge hat, dass Elias zu drastischen Mitteln greift, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.

    Der Einfluss eines Ulrich Seidl, welcher den Film auch produziert hat, ist unübersehbar. Wenig Score, nüchternes Setting, das Interieur des Hauses ist trotz flauschiger Teppiche kalt und unnahbar, die Bilder der berühmten Mama an der Wand, ist sie doch eine angesehene Fernsehmoderatorin, bewusst unscharf, was als wunderbare Symbolik dafür dient, die Identifikation geliebter Menschen zu verhindern. Sie dienen als Platzhalter für Doppelgänger und Falschspieler, und angesichts dieser erziehungsverpflichteten Übermacht denken die beiden Jungs aber gar nicht daran, sich zu unterwerfen. Und dann passiert das: In einem Thriller, in dem andauernd falsche Fährten gelegt werden und Vermutungen geschürt, bevor sie wieder verpuffen, macht Ich seh ich seh seine Exskalationsspirale von gewissen Umständen abhängig, die so, wie sie dargestellt werden, wohl kaum passieren hätten können. Die Unwahrscheinlichkeiten in der Handlung häufen sich, je näher wir dem wuchtigen Grande Finale kommen.

    Ein weiteres Problem sind die kaum stringent gezeichneten Charaktere. Zwischen übergriffig und devot mäandert die Rolle der Mutter durch den Film, ähnlich orientierungslos sind die beiden Jungdarsteller, die sich aufgrund einer dem Storytwist geschuldeten, sperrigen Inszenierung dem filmischen Konzept unterordnen müssen. Als Psychostudie versagt der Film auf ganzer Linie, als Horrorthriller mag er mit allerlei Genrezitaten aus dem Suspense-Sektor wiederum punkten. Doch das Grundproblem, das viele Horrorfilme aufweisen, und womit auch der Anspruch steht und fällt, als solcher ernstgenommen zu werden, ist die mangelnde Glaubwürdigkeit in Bezug dessen, wie sich Menschen normalerweise in Extremsituationen oder generell in Situationen, die den Horror begünstigen, tatsächlich verhalten würden. Die Mängel sind der Tribut, den Filmemacher dafür zollen müssen, um ihre filmische Wirkung zu garantieren. Der eine Anspruch bedingt aber den anderen, daher ist es gar nicht mal so leicht, guten Horror hinzubekommen, ähnlich wie bei einer guten Komödie. Nachvollziehbarkeit und eine gewisse inhärente Logik lassen, wenn man es gut macht, das Blut in den Andern gefrieren.

    Bei Ich seh ich seh sind letztlich die Kompromisse zu zahlreich, um zu überzeugen, wenngleich Dramatik und Idee dahinter eine beachtenswerte Leistung darstellen, die Veronika Franz und Severin Fiala als ein vielversprechendes Regieduo auszeichnen, das frischen Wind ins österreichische Genrekino gebracht hat. Man darf gespannt sein auf ihren Neuling Des Teufels Bad, der diesjährig bei der Berlinale 2024 den Silbernen Bären für Kameramann Martin Gschlacht abholen konnte.



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    16.03.2024
    15:07 Uhr
  • Bewertung

    Ich seh Ich seh

    Ein Film, der sein Netz zwischen Traum und Realität, zwischen Spiel und Ernst spannt.
    Mit dem hypnotisierenden Horrorrätsel “Ich seh Ich seh” öffnet das Regie-duo Veronika Franz und Severin Fiala die Tore zu einem Traumspiel sondergleichen.

    Das Setting wird durch eine Dreieckssituation, zwischen den zwei zehnjährigen, blonden Zwillingsbrüdern Elias und Lukas sowie deren Mutter bestimmt. Ein großes, modernes, abgeschiedenes Haus, das weit und breit von Wäldern und Maisfeldern umgeben ist, stellt den Schauplatz des Films dar und fungiert mit seiner eindrucksvollen Leere als eigenständiger “Mitspieler”, der die Figuren verbindet, zusammensperrt, trennt und isoliert.
    Die Geschichte beginnt, als Lukas und Elias vom Spielen nach Hause kommen, und sie auf ihre Mutter treffen, die gerade von einer Schönheitsoperation an ihrem Gesicht heimgekommen ist. Ihr Gesicht ist auf furchteinflößende Weise bandagiert, nur Augen und Mund sind frei. Das Wiedersehen verläuft herzlos und distanziert. Statt mütterlicher Liebe erscheint die für die Söhne nicht wiedererkennbare Mutter gefühlskalt, weshalb die zwei Buben zu zweifeln beginnen, ob dies nun wirklich ihre Mutter ist.
    Der Verdacht einer Lüge kreiert eine unsichtbare Grenze zwischen Phantasie und Realität und führt grausame Konsequenzen herbei.
    Wie in ‘Shutter Island’ wird das Publikum ausgetrickst und die Vertrauenswürdigkeit der Charaktere ständig in Frage gestellt.
    Das dem Horrorgenre entgegengesetzte langsame Tempo des Films und die bewusste Ausklammerung intensiver Farben erzeugen im Film eine aufgeladene Kraft, die auf das Publikum wirkt und dem Kinosaal nicht entkommt.
    Der im Film reduzierte, genau gesetzte verbale Dialog und die milde musikalische Untermalung als Filmsprache wirken auf die menschliche Psyche, gleichermaßen durch Szenen zärtlich, spielender Kinder wie rabiaten Folterhorror.
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    24.10.2022
    09:05 Uhr
  • Bewertung

    Goodnight, Mommy!

    Dieser von Ulrich Seidl produzierte Horrorfilm war wohl 2015 der österreichische Film, der die meiste internationale Aufmerksamkeit bekommen hat und könnte im Februar vielleicht sogar wieder mal einen Oscar nach Österreich holen.

    Der Film handelt von den Zwillingen Lukas und Elias, die ihrer Mutter nicht mehr vertrauen, als diese mit einbandagiertem Kopf zurück aus dem Krankenhaus kommt. Ihre einst liebevolle Mutter ist auf einmal launisch und gemein. Bald stellen sich die Zwillinge die Frage, ob diese Frau überhaupt ihre Mutter ist und finden schockierende Wege, um das zu erproben.

    Auf sehr subtile Weise wird dem Zuschauer hier das Fürchten gelehrt. Außerordentlich hell für einen Film des Horror-Genres und auffällig ästhetisch spielt der Film mit dem Zuschauer und seinen Nerven, stellt mehr als eine überraschende Wendung bereit und kommt ganz ohne traditionellen Bösewicht aus.

    Sehr gelungenes filmisches Werk, das nicht nur Fans des Genres beglückt, schön und schrecklich zu gleich und allemal sehenswert!
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    04.01.2016
    15:54 Uhr