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24 Bewertungen
84% Bewertung
  • Bewertung

    Linklater + Macht der Vergängnis = Emotional Punch

    Mason, Alter: 6 bis 18. Ein Film wie eine Zeitkapsel. Ein Film, der Vergänglichkeit bewusst macht. Wie von Richard Linklater gewohnt, nicht mit poetischer „Verweile doch, du bist so schön“-Kunstattitüde, nicht mit Tragödien und Spannungsbögen, sondern als Abfolge von größtenteils gewöhnlichen Momenten. Dutzende alltägliche Szenen, Slices of Life, die im Ganzen eine Kindheit und Adoleszenz ergeben. Was heute noch neu und modern ist, ist morgen schon von gestern, Vergangenheit.

    Am Ende ist Mason ein junger Erwachsener, fährt aufs College, ein neuer Abschnitt beginnt, in dem er ungekannte Freiheiten leben wird. Ein leiser, schlaksiger junger Mann, doch mit einer gewissen selbstbewussten Präsenz, keiner, den man einfach beiseite schieben kann. Wie wurde er, was er ist? Haben ihn die Menschen um ihn geformt oder ist nur sein Keim zu dem gewachsen, was er immer schon werden musste? Seine Mutter, die immer wieder genug damit zu tun hatte, sich und ihren zwei Kindern eine sichere Basis zu schaffen? Sein Vater, der immer mehr versprach, als er hielt? Seine große Schwester, von der meist mehr Geschwisterrivalitäts-Störfeuer als Unterstützung kam? Die „parade of drunken assholes“, die sich als Stiefväter versuchen durften?

    Und wie steht es mit einem selber? Unweigerlich lässt man seine eigenen Jahre 2002 bis 2013 Revue passieren. Vielleicht geht es einem wie der Mutter, die am Ende ihrem Leben nachtrauert: „I just thought there would be more.“ „Hero“ von Family of the Year tut sein Übriges, um den letzten Abschnitt von „Boyhood“ in ein melancholisches Licht zu tauchen. Leben, das ist schon etwas. Man sollte es auch wieder einmal probieren.
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    23.02.2015
    19:58 Uhr
  • Vielsagend...

    ... und nichtssagenden zugleich.
    Mason, ein amerikanischer 6-Jähriger, lebt mit seiner Mutter und seiner Schwester Samantha in einem Ort in Texas; sein Vater lebt getrennt von Ihnen. Dies ist der Startpunkt einer Reise, bei der die Zuschauer das Aufwachsen und "Coming-Of-Age" von Mason verfolgen, von neuen Männern im Leben seiner Mutter, über Umzüge und neue Freunde, der ersten Dose Bier und der ersten Zigarette, der ersten Großen Liebe und schlussendlich dem ersten Tag am College. Ein durchschnittliches Leben eines Jungen in Amerika, mit Höhen und Tiefen.

    Ein äußerst gewagtes Projekt, bei dem man erst am Ende wusste, ob es fruchten würde. Kinder, die bereit sind 12 Jahre lang mitzumachen (Linklakers Tochter, die die Schwester spielte, bat ihren Vater darum, im Film sterben zu dürfen), eine Arbeit mit Kindern, die zu Teenagern wurden und die "awkward years" durchlebten, das alles erfordert so viel Enthusiasmus und Liebe für die Arbeit, dass der Film rein aus diesem Blickwinkel betrachtet umwerfend ist.

    Ein anderer Aspekt, der sich aber ganz natürlich entwickelt, ist die Adaptierung der Geschichte an die Schauspieler. Um authentisch zu bleiben, muss natürlich Mason mit dem Schauspieler korrelierend erwachsen werden, ansonsten scheitert so ein Projekt an der Gaubwürdigkeit. Es verleit dem Film Tiefe, andererseits ist es bequem, das Skript schreibt sich ein bisschen von selbst.

    Viele der Dinge, die Mason durchlebt, berühren den Zuseher - vielleicht hat man sich in der selben Situation schon einmal wiedergefunden. Vieles ist für uns als Europäer sehr amerikanisch, es entspricht nicht unserem Lebensstil/standard.

    Über jede einzelne Szene kann philosophiert und diskutiert werden, aber ich persönlich finde, dass viele Klischees ausgespielt werden. Es soll so viel wie möglich an durchschnittlichen Dingen passieren, so dass der Film nicht nur anspruchsvolles Reality-TV wird, sondern spannend wird und beobachtet werden kann, wie es Mason prägt. Hier bewegt man sich auf einem schmalen Grad, ist es Reality-TV, nur von der anderen Seite, eine Sozialstudie oder ein hochanspruchsvoller Kunstfilm?

    Die Schauspieler überzeugen, meiner Meinung nach vor allem Patricia Arquette als Mutter. Ellar Coltrane als Mason und Lorelei Linklater als Samantha merkt man Anfangs eine gewisse Unsicherheit an, was aber durchaus verständlich ist, je erwachsener die beiden werden, umso glaubhafter und überzeugender wird ihre Darstellung. Auch Ethan Hawke als Vater begeistert in seiner Rolle.

    Ein Film, der zum diskutieren und interpretieren einlädt, meiner Meinung nach fällt er etwas zu lange aus. Einerseits erfrischt der fehlende Spannungsbogen, andererseits ist man etwas enttäuscht, wenn man auf einen Höhepunkt gewartet hat.
    Ich habe Schwierigkeiten dem Film eine Bewertung zu geben, da ich einerseits sehr angetan bin vom Konzept, andererseits enttäuscht über das unausgeschöpfte Potential, das der Film noch geboten hätte.
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    07.02.2015
    00:41 Uhr
  • Bewertung

    Zeitreise

    Boyhood ist in meinen Augen der zweischneidigste Film den ich seit Langem gesehen habe. Auf der einen Seite ist die Arbeit von Richard Linklater einfach nur gewaltig und gibt dem Zuseher ein interessantes Gefühl, bei etwas direkt dabei sein zu können. Die Idee das Leben des kleinen Mason mehrere Jahre zu "begleiten" ist genial und sehr gut umgesetzt. Die Story Abschnitte, die Mason erlebt sind schlüssig und spiegeln das Leben und die Probleme eines Kindes auf dem Weg zu einem jungen Mannes wieder. Die einzelnen Lebensabschnitte werden, speziell in den jüngeren Jahren, durch passende Lieder der damaligen Hitparade, oder durch Gadgets wie einen alten Apple Rechner oder einen Gameboy SP untermalt. Sofern man nicht gerade von der Geschichte bewegt ist, kann man durchaus kurz in persönlichen Erinnerungen schwelgen.
    So sehr mich dies alles gefreut hat, hat der Film bedauerlicherweise auch Tiefpunkte. Als sehr großes Manko in meine Augen, ist das pure auswinden von amerikanischen Stereotypen durch den gesamten Film. An manchen Stellen hat mich der Film eher an eine schlechte US-Serie erinnert, bei der man alle Zielgruppen abdecken möchte, als an einen Oscar nominierten Film. Auch aufgefallen ist das sichtliche Sponsoring von Apple. Sobald ein Handy, PC oder MP3 Player im Bild war, hatte er den angebissenen Apfel darauf. Dies hat in meinen Augen ein bisschen das Bild zerstört, da z.B. die ländlichen Großeltern wohl eher nicht Apple Jünger sind.
    Alles in allem nimmt Boyhood einen auf eine unterhaltsame Zeitreise und erinnert einen zeitweise an die eigen Kindheit und Jugendtage. Der Film ist mit 3 Stunden lange, aber nicht langweilig. Dass man sich den Film ansehen muss möchte ich jetzt nicht behaupten, aber man sollte. Man sollte wirklich.
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    07.02.2015
    00:23 Uhr
  • Bewertung

    Ein Film wie eine Zeitreise nach vorne

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2014
    Richard Linklater hat mit seinen Filmen bereits mehrmals die Berlinale besucht und sich als Regisseur im In- und Ausland bereits einen Namen gemacht. Sein neuestes Projekt „Boyhood“ besticht jedoch nicht nur durch hervorragend geschriebene Dialoge und einen tollen Cast, sondern auch durch sein bisher noch nie da gewesenes Konzept. Über den Zeitraum von 12 Jahren hat er einmal pro Jahr mit denselben Schauspielern gedreht und dabei jeweils eine gerade aktuelle Situation im Leben der Kinder bzw. Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen eingefangen. Als Zuschauer können wir daher nicht nur höchst authentische und natürliche Stimmungsbilder des Lebens Jugendlicher in den USA erleben, sondern werden auch zu Zeugen der Veränderungen, die ein Mensch im Rahmen seiner Entwicklung äußerlich und innerlich macht. Besonders für jene unter uns, die selber Eltern sind und vielleicht noch kleine Kinder haben wird dieser Film zu einer berührenden, bewegenden, aufwühlenden und äußerst faszinierenden Zeitreise in die Zukunft. Was wird aus den Kleinen werden? Welche Ausbildung werden sie machen? Welche Welt werden sie vorfinden, wenn sie selber Erwachsene sind? Viele dieser Fragen lassen sich aus der Lebensgeschichte der Figuren im Film ablesen und die Botschaft an alle Eltern im Publikum ist eine beruhigende und beklemmende zugleich: nicht alles, was wir momentan schlimm und besorgniserregend finden, ist es auch, aber jedes Versprechen, das wir unseren Kindern geben und jedes Verhalten, das wir selber vorleben, hat einen großen Einfluss auf ihr weiteres Leben, sei es im Positiven oder im Negativen.

    Trotz seiner Laufzeit von 164 Minuten vermittelt Linklaters Film in keiner Minute das Gefühl, so lange zu dauern, so mitreißend und glaubwürdig hat er ihn inszeniert. Es ist unglaublich, wie nahtlos sich die einzelnen Lebensjahre im Film ineinander fügen – teilweise sogar mitten in einer Szene: Mason geht als 14jähriger aus dem Zimmer und kommt als 15jähriger wieder herein. Nur ein Jahr ist vergangen und so viel hat sich verändert und dennoch fühlt sich die ganze Szene wie aus einem Guss an.
    Mit sehr gefühlvollem und wohldosiertem Musikeinsatz verstärkt Linklater so manche Lebensabschnitte, macht davon aber erstaunlich selten Gebrauch, was den authentischen Eindruck des Filmes noch weiter verstärkt.

    Immer wieder wurde bei Filmen von Meisterwerken gesprochen aber auf nur sehr wenige trifft diese Bezeichnung wirklich zu. Wer bisher noch nicht Zeuge eines solchen Filmereignisses geworden ist, hat hiermit endgültig die Gelegenheit dazu. Linklaters Film erweitert die Möglichkeiten der Filmkunst auf eine ganz besondere, wertvolle und zugleich gefühlvolle Weise und wird mit Gewissheit mindestens einen der Preise dieser Berlinale bekommen.
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    14.02.2014
    11:40 Uhr