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    Früher war alles besser

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2013
    Regieurgestein Ken Loach beschäftigte sich in seiner bereits mehrere Jahrzehnte andauernden Karriere immer wieder mit sozialen Themen und Porträts des britischen Proletariats. Und auch in seinem Dokumentarfilm „The Spirit of '45“ geht es um die schwierige Situation Englands und seinen Einwohnern nach dem zweiten Weltkrieg und die sozialen Errungenschaften der liberalen Bewegung. Der Film ist dabei recht klassisch konzipiert, da er sich lediglich aus Zeitzeugeninterviews und Archivbildern zusammen setzt. Ohne Zweifel war dieser Stil, dessen Grundlage es ist, dass Menschen persönliche Geschichten aus ihrem Leben erzählen, jedoch mit extrem viel Recherchearbeit verbunden. Jedoch lernt jeder aufmerksame Geschichtestudent bereits recht früh im Studium, dass Oral History (also die Befragung von Zeitzeugen) über weite Strecken recht nützlich sein kann. Jedoch gibt es auch zahlreiche Probleme und Tücken, die man dabei beachten muss: So neigen Zeitzeugen dazu, die eigene Vergangenheit schön zu reden und sich selbst in positiven Licht erscheinen zu lassen. Und diesen Eindruck hat man teilweise auch in „The Spirit of '45“. Für Loach dürfte dies allerdings trotzdem kein Problem dargestellt haben, da er offensichtlich darauf abzielte eine Lobeshymne auf die Errungenschaften der Arbeiterbewegungen und der Labour-Party nach Ende des zweiten Weltkriegs anzustimmen. Der Film eröffnet also erstmals mit der Not und dem Leid der Menschen nach Kriegsende. Kurz darauf folgt allerdings - vor allem durch Verstaatlichungen - der große Aufschwung, was als ausschließlicher Verdienst dieser Bewegungen gewertet wird. Und schließlich folgt dann auch noch der Tiefe Fall gegen Ende der 70er, als Margaret Thatcher an die Macht kommt. Somit verwendet Loach seinen Film weniger, um ein objektives Porträt der Nachkriegsgesellschaft zu zeichnet, sondern instrumentalisiert ihn und begeht einen Frontalangriff auf Thatcher und ihre konservative Politik. Und wie es sich für eine solche recht einfach konzipierte Systemkritik gehört, kommen auch Verhältnismäßig wenig Stimmen mit gegenteiliger Meinung zu Wort.

    „The Spirit of '45“ ist ohne Zweifel sehr lehrreich und interessant anzusehen. Und auch die vielen persönlichen Erfahrungsberichte und das aufgestöberte Filmmaterial kann man als schöne historische Quelle werten. Jedoch ist die Geschichte solch einer gesellschaftlichen Entwicklung viel komplexer, als Loach sie darstellt. Denn auch wenn die Labour-Party sicherlich großes geleistet hat, macht Loach es sich etwas zu einfach, den gesamten wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung (der sich parallel auch in vielen anderen europäischen Ländern vollzog) an Verstaatlichung von Unternehmen festzumachen. Und somit sollte man sich beim Ansehen dieses patriotischen Films voller Nation-building-Mythen, im Klaren sein, dass die von Loach porträtierten Ansätze und instrumentalisierten Bilder nur ein kleiner Ausschnitt des großen Ganzen sind und vom Regisseur sehr wertend eingesetzt wurden.
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    11.02.2013
    23:57 Uhr