Forum zu Barry Lyndon

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93.3% Bewertung
  • Bewertung

    Eine längst vergessene Perle

    1975 schuf Stanley Kubrick, der große Kinorevolutionär, eine weitere Perle und befasste sich diesmal mit dem Aufstieg und dem Fall eines irischen Adeligen zu Zeiten des 18.Jahrhunderts. In "Barry Lyndon" entführt uns Kubrick in die Gedankenwelt des Protagonisten. Neben "Taxi Driver" und "A Clockwork Orange" ist dies einer der intensivsten Charakterstudien, die ich je miterleben durfte. Jede Gefühlsperiode, die Redmond Barry durchlebt, wird stets mit einem anderen musikalischen Werk untermalt. Durch die fehlende künstliche Beleuchtung, die in diesem Fall durch natürliches Kerzenlicht ersetzt wurde, wird "Barry Lyndon" eine unheimliche Authentizität verliehen. Selten gab es einen Film der so authentisch und zugleich so poetisch ist. Man verliert sich förmlich in jedem Detail, sei es auf ästhetisch oder narrativer Ebene. Jedes Objekt innerhalb eines Shots wurde mit einer unheimlichen Sorgfalt plaziert, das zeugt von Kubricks visueller Sensibilität. Der Zoom-in zu Anfang, und der Zoom-out zu Ende des Films rundet ihn wundervoll ab. Hier distanziert sich Stanley Kubrick vom Rezipienten, dies tut er in allen seinen Filmen. "Barry Lyndon" stellt die großen Fragen der Existenz.

    Noch nie in meinem Leben baute ich zu einem Film eine so starke Bindung auf. Es ist wahrlich die vielschichtigste Odyssee die ich je durchleben durfte. Bei "Barry Lyndon" handelt es sich um meinen persönlichen Lieblingsfilm von Stanley Kubrick. Das ist Kino in Reinform, und es erfreut mich, dass dieses vergessene Kunstwerk
    wiederentdeckt wird. Man könnte einen Roman über dieses Werk verfassen, man käme ihm nicht näher. Denn "Barry Lyndon" ist und bleibt ein Mysterium.
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    16.11.2016
    19:35 Uhr
  • Bewertung

    Aufstieg und Fall

    Dieser Klasssiker ist Stanley Kubricks ästhetisch anspruchsvollster Film. Er schwelgt geradezu in optischen Leckerbissen wie Parks, Seenlandschaften, Brücken und Naturgärten, Putten und Statuen. Die überaus opulente Ausstattung und die verschwenderischen Kostüme schaffen ein in sich stimmiges Zeitbild des Rokkoko mit Atmo und einem sogar teils spannenden Plot, wie es die Romanvorlage von Thackery nicht besser hinbekommen hätte. Duelle werden zelebriert und eine Sitzbadewanne zu einem Universum. Die schönsten Schlösser der Zeit von innen und außen beleuchtet. Und alles stets mit viel Kerzenlicht und Weichzeichner.
    Die Erzählweise ist episch breit angelegt – man hat viel Zeit – in dieser abenteuerlichen Geschichte, die vom kometenhaften Aufstieg (1. Teil) und vom tiefen Fall (2. Teil) des irischen Adligen Redmond Barry handelt. Ryan O’Neal spielt den Helden mit einer Mischung aus unbefangenem Draufgängertum und standhafter Ahnungslosigkeit. Dabei sind die ersten Lehrstunden in Sachen Liebe bei Cousine Nora (Gay Hamilton) noch recht neckisch. Am Höhepunkt seiner Karriere mit Ehefrau Lady Lyndon (Marisa Berensen) muss er sich vieler Feinde wehren: Stiefsohn Lord Bullingdon (Leon Vitali), der Hofgeistliche seiner Frau (Murry Melvin) und eine große Anzahl Gläubiger. Zwei deutsche Darsteller dürfen hier kurz glänzen: Hardy Krüger als preußischer Offizier und Diana Körner als warmherziges Lieschen.
    Wie die Romanvorlage greifen Kapitelüberschiften der Handlung vor, und erzielen so einen Verfremdungseffekt. Historisch korrekt erleben wir in diversen Schlachten den Vorderlader und bei der Aufrechterhaltung der Disziplin den berühmt berüchtigten Spießrutenlauf. Am Ende ist wieder alles im Lot. Barry muss heftigst Lehrgeld zahlen und ist mit Mutter wieder in Irland. Grandioses Kino, schön wie der sterbende Schwan und dabei durchaus prall, wenn auch etwas angestaubt.
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    25.04.2016
    17:46 Uhr