Exklusiv für Uncut von den Filmfestspielen in Venedig
Ein harter Brocken im Wrestling-Ring, Muckimann für Testosteron-beladenes Haudraufkino und nun auch Charakterschauspieler? Dwayne Johnson, vormals „The Rock“, wäre wohl einer der letzten Namen, den man mit anspruchsvollen Hollywood-Dramen assoziieren würde. Doch jetzt soll sie folgen, die Neuerfindung des Muskelprotzes, der durch den digitalen Dschungel der „Jumanji“-Filme wütete, und sich in den „Fast and Furious“-Filmen (wie auch im echten Leben) ein Ego-Duell mit Frisurenvetter Vin Diesel lieferte. Wohlgemerkt nach Jahren des selbstverursachten Markenschadens – der Versuch, mit „Black Adam“ zum DC-Helden zu avancieren, und die exzessive Marketingkampagne dahinter, irritierten mehr, als sie Erfolg zeigten. Insofern darf hinterfragt werden, ob Johnsons plötzliches Verlangen nach Prestigekino überhaupt mehr sei, als nur ein Hilfeschrei zur kalkulierten Ehrenrettung. So zweifelhaft die Beweggründe seien mögen, das Experiment ist geglückt. In „The Smashing Machine“ präsentiert sich der Fels, der sich sonst von nichts und niemandem aus der Fassung bringen lässt, von seiner vulnerablen Seite. Und überzeugt.
Ein Bruder macht solo und steigt in den Ring
Das Sportdrama ist in vielerlei Hinsicht eine Premiere. Für seinen Hauptdarsteller der Versuch, sich als ernstzunehmender Schauspieler zu etablieren, für seinen Regisseur die erste Arbeit ohne familiäre Rückendeckung. Benny Safdie hat bislang nur in Co-Regie mit Bruder Josh gedreht, für atemlos durchgetaktete Panikattacken wie „Good Time“ (2017) und „Uncut Gems“ (2019) verdientes Vorschusslob geerntet. Mit seinem Solodebüt – sein Bruder Josh macht es ihm im Dezember mit dem Tischtennisfilm „Marty Supreme“ gleich – entfernt sich der Filmemacher und Schauspieler (u.a: Wasserstoffbombenerfinder Edward Teller in „Oppenheimer“) vom überschäumenden Stresskessel seines bisherigen Schaffens. „The Smashing Machine“ begeistert mit einer Zartheit, die in vorangegangen Safdie-Thrillern rar gesät war. In fast dokumentarischer Präzision fängt der Film die Essenz eines Mannes ein, der sein Leben und seinen Körper einem besonderen Faszinosum verschrieben hat. Mark Kerr (Johnson) gilt als westliche Größe des MMA-Sports – der „Mixed Martial Arts“. Im Ring war er ein Biest, jemand, der als zweifacher Meister des UFC – dem „Ultimate Fighting Championship“ – seine Kontrahenten mit martialischer Körperkraft plättete. Den Schmerz, den dieser lange ohne kohärentes Regelwerk verbundene Sport mit sich brachte, fraß er unbemerkt in seine harte Schale hinein. Bis diese nach ersten Verlusten Ermüdungserscheinungen zeigte. Dann folgte die Flucht in die Medikamentensucht. Und die ganz privaten Krisen mit Ehefrau Dawn (Emily Blunt).
Von der hohen Kunst des Scheiterns
In chronologischer Reihenfolge pendelt das Drama zwischen den Hochs und Tiefs im professionellen wie privaten Dasein des Wrestlers. Manch einer würde meinen, dass sich Safdie zu akribisch an Klischees des Kampfsport-Genres abarbeitet. Doch den gewohnt überdramatisierten Bogen – vom Aufstieg und Fall und dem sich Wiederaufraffen in Folge der Niederlagen – gibt die reale Geschichte Mark Kerrs gar nicht her. Dafür ist die Fallhöhe zu niedrig. „The Smashing Machine“ ist vielmehr, wie sein Hauptdarsteller auch in der Pressekonferenz in Venedig postulierte, eine Geschichte über Liebe. Und zwar in zweifacher Richtung. Zum einen ist es die Beobachtung einer innigen Beziehung, die durch einen explosiven Mix aus Sucht und Kontrollsucht auf die Probe gestellt wird. Die andere, nicht minder toxisch geprägte Liebe: die zu einem Sport, der körperlich alles abverlangt. Der als Charakterdrama verkaufte Film ist weniger Studie eines Einzelnen, als der sehr rohe Erklärungsversuch, warum diese schweißgebadeten Männer sich diesen Hahnenkämpfen hingeben. „Zu gewinnen ist das beste Gefühl, das es gibt“, sagt Kerr in einer der eingehenden Szenen. Seine Siegesstrecke inszeniert Safdie als Momente der puren Euphorie. Was aber, wenn die Strähne des Erfolgs endet? Wenn man sich plötzlich mit der ersten Niederlage konfrontiert sieht? Safdies Film wirft einen genauen Blick auf einen Männerkult, dem eingetrichtert wird, das Gewinnen das einzig Wahre sei, und alleinig am Gedanken des Scheiterns wie ein Kartenhaus zusammenbricht. Dass man diesen Effekt anhand einer Figur wie Mark Kerr vorführt, macht den Film umso interessanter. Kerr entspricht nicht den klassischen Macho-Archetypen des Sports, ist für seine ruhige, eloquente Art eher ein Ausreißer. Diese gibt Dwayne Johnson in ungewohnter Zurückhaltung wieder, seine Darbietung lebt mehr von subtilen Mimiken, als großer Theatralik. Der innere Unfrieden dringt nur langsam nach außen. Hat dieser die Oberfläche erreicht - ein aufgeladenes Streitgespräch zwischen Kerr und seiner Gattin ist dramaturgischer Höhepunkt – scheinen auch die großen Gesten organisch und nicht aufgesetzt. Man mag es kaum glauben, aber Johnson spielt in besagter Szene seine Szenenpartnerin Blunt, der eine etwas undankbare Rolle gegeben wurde, fast an die Wand. Die großen Kämpfe spielen sich ansonsten aber im Ring ab. Dem hat sich Benny Safdie mit einer Distanz angenähert, welche die Abstumpfung und Gleichgültigkeit seines Protagonisten treffend einfängt. Am stärksten ist der Film aber in seinen weichen Momenten. Wenn sich zwei harte Kerle, Kerr und sein Ringpartner Mark Coleman (gespielt vom echten MMA-Kämpfer Ryan Bader), in den Armen liegen. Wenn ein Besuch am Jahrmarkt - die ansehnlich satten Farben kommen hier besonders zu Geltung – für ein paar Augenblicke den Anschein der Normalität vorgaukelt. „The Smashing Machine“ – im Übrigen eine Verfilmung der Dokumentation des gleichnamigen Titels - ist ein Film, der von mancher Seite als unzureichende psychologische Studie seiner Hauptfigur abgestempelt werden wird. Das möchte das Drama aber primär gar nicht sein. Mit intimen, nüchtern dargelegten Beobachtungen des UFC – dabei zeitgleich Liebesbrief und Mahnmal – sticht der Film aus der Masse melodramatischer Sportlergeschichten heraus. Und gibt seinem vielbelächelten Hauptdarsteller die Chance, sich als Charakterdarsteller zu beweisen. Hoffentlich nicht die letzte.