Exklusiv für Uncut
„Amrum“ von Hark Bohm ist eine Coming-of-Age-Geschichte aus der Sicht seines Alter Egos des Jungen Nanning auf ebendieser Insel in der Nordsee rund um das Ende des Zweiten Weltkriegs. Nanning ist Sohn eines Nationalsozialisten, der sich abwesend im Krieg befindet. Er lebt mit seinen Geschwistern, der schwangeren Mutter und deren Schwester in einem malerischen Haus am Meer. Langsam erst wird die NS-Ideologie spürbar in dieser Geschichte.
Gewaltig sind die Bilder der Landschaft; die Welt wird durch Nannings Augen betrachtet und erlebt, dem zahlreiche Abenteuer widerfahren. Nanning will dazu gehören, bleibt aber doch ein Außenseiter. Die Geschichte ist intelligent erzählt und schnell ist man in ihren Sog gezogen. Es scheint, als ob die Mutter nach der Geburt ihres vierten Kinds in eine postnatale Depression fällt, aber es ist Hitlers Tod, der sie dazu veranlasst. Sie isst nichts mehr und ihr einziges Begehren nach einem Weißbrot mit Honig wird zum Angelpunkt der Geschichte. Der kleine Nanning hat die Rolle des „Mann im Haus“ über und versucht mit allen Mitteln Nahrungsmittel herbeizuschaffen in den prekären, mangelhaften Zeiten zu Kriegsende. Welch ein Aufwand, Getreide für Weizenmehl zu ergattern und seinem Bäcker-Onkel halsbrecherisch durchs Watt bei steigender Flut zu bringen. Ebenso von seinem nationalsozialistischen Parteimitglieds-Onkel Zucker und Butter zu erbitten, wobei er zu letztem erst nach Kriegsende und nach dessen Selbstmord gelangt. Eine Hindernisjagd um das Honigbrot, die „erfolgreich“ beendet wird und doch tragisch scheitert, wie es das Schicksal will.
Interessant und spannend sind im Film auch die Frauenfiguren dieser Zeit: die der Nazi-Ideologie anhängende Mutter versus ihrer gegen Kriegsende widerständige Schwester, die gemeinsam mit den Kindern unter dem gleichen Dach leben. Sowie das junge Mädchen, das mit einer Gruppe Kinder geflüchtet ist und in etwa gleich alt ist wie Henning. Zarte Bande entstehen unbemerkt zwischen ihnen bzw. sind besonders durch eine bedrohliche Meer-Szene um Leben und Tod dramaturgisch aufgeladen. Die Verabschiedung beider durch einen langen Blick setzt dem Film ein ergreifendes Ende.
Eine große Empfehlung für dieses Meisterwerk, das die eigene Betroffenheit der deutschen und österreichischen Vergangenheit spürbar macht.