Exklusiv für Uncut
Leonardo DiCaprio muss in Paul Thomas Andersons actiongeladener Polit-Thriller-Sternstunde als verpeilter Ex-Revoluzzer seine Tochter aus den Klauen von Sean Penn befreien.
Die Weltpolitik ist ziemlich am Arsch. Das mag jetzt polemisch und allzu pessimistisch klingen, gibt aber eigentlich ganz gut das derzeit vorherrschende Sentiment wieder. Kein Tag vergeht ohne eine neue Eskalation in einem der vielen Krisenherde – sei es etwa in Russland, Israel, Afghanistan, oder ganz besonders schlimm, in den USA. Seit der Wiederwahl Donald Trumps als Präsident klaffen die ideologischen Gräben immer weiter auseinander und die Furcht vor einem zweiten amerikanischen Bürgerkrieg oder gar einem dritten Weltkrieg wird mit jedem Tag größer. Durch den erneuten Aufschwung des umstrittenen Rechtspopulisten sind auch seine radikalen Anhänger mit ihren fremdenfeindlichen Agenden wieder auf dem Vormarsch. Es reicht ein ordentlicher Funke, um das Pulverfass ein für allemal zum Überlaufen zu bringen. Vor diesem Hintergrund bringt Paul Thomas Anderson jetzt seinen nunmehr zehnten Spielfilm, „One Battle After Another“, in die Kinos.
Und mit seiner bislang aufwendigsten und teuersten Produktion wagt er sich erstmals in Mainstream-Gefilde vor. Aber man muss gar nicht befürchten, dass Anderson für seinen potenziellen ersten Blockbuster seine Seele am Studiogelände von Warner Bros. Pictures abgegeben hat. Denn auch hier haben wir es wieder mit einem typischen PTA-Werk zu tun, nur mit mehr Budget, mehr Action und mehr Ambition. Ein wenig erinnert das fertige Produkt an die Coen-Brüder zu ihren besten Zeiten, als hätten sie ihren „Dude“ Jeffrey Lebowski in die düster-karge Welt von „No Country for Old Men“ transportiert. So in etwa fühlt es sich hier an, nur dass sich Anderson nicht auf den hoffnungslos-pessimistischen Nihilismus eines Cormac McCarthy beruft, sondern auf seinen Lieblingsautor Thomas Pynchon. Vor elf Jahren wagte er sich mit „Inherent Vice“ schon einmal an eine Verfilmung eines Pynchon-Romans heran und ließ Joaquin Phoenix als ständig bekifften Amateur-Detektiv Doc Sportello in ein abgefahren schwarzhumoriges, wenn auch kompliziertes Unterwelt-Komplott stolpern. Das andere Werk Pynchons, das Anderson schon lange für eine filmische Umsetzung ins Auge gefasst hatte, ist „Vineland“ (1990). Aber anstatt wie zuvor den Roman vorlagengetreu zu adaptieren, nutzt er hier „Vineland“ lediglich als Inspiration und Sprungbrett, und lässt damit seinem Film „One Battle After Another“ genügend Raum, als eigenständiges Kunstwerk angesehen zu werden, dessen Verbindung zum Roman zwar intakt bleibt, aber mit genügend eigenen Ideen Andersons erweitert wird.
Sein „Dude“ in dieser Geschichte ist Pat „Ghetto Pat“ Calhoun (Leonardo DiCaprio), Sprengstoffexperte der Revolutionären-Bewegung „French 75“. Er und seine Mitstreiter, darunter seine enorm sexhungrige und aggressive Freundin Perfidia Beverly Hills (Teyana Taylor), befreien eines Nachts über 200 illegale Immigranten aus einem Anhaltezentrum, das von Captain Steven J. Lockjaw (Sean Penn) überwacht wird. Es entsteht eine eigenartige Anziehung zwischen Lockjaw und Perfidia, und der gedemütigte Rassist nimmt unerbittlich die Verfolgung der „French 75“ auf. Kurz nach der Geburt von Pats und Perfidias Tochter wird sie bei einem versuchten Terrorangriff geschnappt und er muss mit dem Baby über Umwege in Baktan Cross untertauchen, wo er unter dem Tarnnamen Bob Ferguson 16 Jahre eine ruhige Kugel schieben darf. Dann nämlich, Tochter Willa (Chase Infiniti) geht jetzt auf die High School, kehrt der zum Colonel beförderte Lockjaw zurück, weil er unbedingt in den exklusiven „Christmas Adventurer’s Club“ aufgenommen werden will, eine White Supremacist-Vereinigung. Weil Lockjaw aber glaubt, dass Willa seine Tochter ist, und diese Verbindung seinen Ruf und seine Ambitionen ruinieren würden, trachtet er ihr nach dem Leben. Bob, inzwischen paranoid und völlig von der Welt abgekapselt, sucht Hilfe bei seinen alten Kameraden der „French 75“ sowie Willas Karatelehrer Sergio St. Carlos (Benicio del Toro), um sie wiederzubekommen.
Wenn es nach seinen bisherigen neun Filmen noch Zweifel gegeben hat, dass Paul Thomas Anderson einer der außergewöhnlichsten und begnadetsten Geschichtenerzähler des Gegenwartskinos ist, dann zerstreut er sie hier ein für alle Mal. „One Battle After Another“ ist ein weiteres Meisterwerk eines Auteurs in völliger Kontrolle über sein Handwerk. Man merkt ihm und seinem Kameramann Michael Bauman aber noch eine gewisse Unerfahrenheit bei manchen Actionszenen an, in denen sich die Kamera zu hektisch, zu verwackelt und zu unfokussiert bewegt, was Zuschauer, die besonders empfindlich auf starke Wackeleinstellungen reagieren, zeitweise herausfordern dürfte. Das trübt leider ein wenig den ansonsten starken Gesamteindruck des Films. Die finale Verfolgungsjagd ist dafür jedoch meisterhaft inszeniert und gefilmt und eine der besten seit langer Zeit. Überhaupt ist der Film über die gesamten 161 Minuten kompakt und souverän inszeniert und hat nur wenig Leerlauf, auch wenn manche Szenen durchaus noch etwas Straffung vertragen hätten. Aber Anderson hält die Spannung von Anfang an aufrecht und zieht sie im letzten Drittel noch einmal so richtig an. Auch schafft er es, aktuelle politische Brennpunkte aufzugreifen, ohne mit dem Holzhammer draufzuhauen.
Das ist auch ein Verdienst seines einmal mehr handverlesenen Ensembles an Schauspielern: Leonardo DiCaprio gibt hier eine weitere Kostprobe seines komödiantischen Talents ab, das er seit „The Wolf of Wall Street“ vermehrt demonstrieren darf, ohne aber auf seine gewohnte emotionale Intensität verzichten zu müssen. Hier harmoniert er besonders gut mit Benicio del Toro, deren humoristischer Rapport glatt aus einer Stoner-Komödie übernommen sein könnte. Den emotionalen Anker des Films, und das in ihrer erst dritten Schauspielrolle nach der Fernsehserie „Aus Mangel an Beweisen“ und einem Musikvideo von Tyler The Creator, bildet unterdessen Chase Infiniti als DiCaprios Filmtochter Willa, die sich nicht in die Opferrolle zwängen lässt und neben ihren renommierten Kollegen besteht. Das eigentliche Highlight des Films ist aber Sean Penn, der hier seine beste Performance seit seinem zweiten Oscar-Gewinn für „Milk“ vor 17 Jahren abliefert. Von seiner ersten Szene – mit Ständer (!) – bis zum Ende strahlt er eine gewohnt starke und bedrohliche Präsenz aus, ohne auch nur einmal wie sein Gegenspieler DiCaprio aus der Haut fahren zu müssen. Nur schade, dass Penn und DiCaprio nicht mehr Gelegenheit bekommen haben, einander gegenüberzustehen. So stiehlt Penn ihm fast die Show.
„One Battle After Another“ hat in jedem Fall das Zeug, ein moderner Kulthit zu werden, und rechtfertigt einmal mehr Warner Bros.‘ mutige Strategie, mehr auf originelle Stoffe von Autorenfilmern denn auf mehr Blockbuster-Massenware zu setzen. Nach Ryan Coogler („Sinners“) und Zach Cregger („Weapons“) erweist nun Paul Thomas Anderson dem Studio, aber auch den Zuschauern, einen guten Dienst. An Filme wie diesen werden wir uns in vielen Jahren noch mit viel Ehrfurcht erinnern.