Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2025
Die menschliche Psyche ist oft unergründlich. Hat die Sonne gerade noch so grell geschienen, ziehen mir nichts, dir nichts dunkle Gewitterwolken auf. Die Emotionen spielen wie verrückt. „Der Unfall von der ganzen Welt“, wie ihn die Hauptfigur dieses Films zu Beginn nennt, überrollt einen wie eine Dampfwalze. Entsteht im Hirn ein schwarzes Loch, dann wird zum Besuch beim Psychodoktor geraten. Ein paar Gespräche hier, eine Menge Tabletten da und ratzfatz scheint der Geist wieder wie neu. Das alte normale Selbst. Vielleicht aber auch nur eine Illusion von diesem. Dass sich Normalität nicht so einfach vorgaukeln lässt, wird für die 25-jährige Pia (Luisa-Céline Gaffron) noch zur Zerreißprobe. Nach einem kurzen Aufenthalt in der Psychiatrie will die junge Frau mit wilder Lockenmähne wieder Herrin ihres Alltags werden, wieder leben, lieben und leiden dürfen, wie es Menschen halt so tun. Doch wie kehrt man in eine normierte Welt zurück, die man eigentlich schon hinter sich gelassen hatte? Eine Welt, die für einen selbst stehengeblieben ist, während sie sich für andere weitergedreht hat? Fragen über Fragen, die der Regisseur Florian Pochlatko in ein filmisches Mandala verdichtet hat, das so zersplittert, explosiv und irrlichternd ist wie die Psyche seiner Protagonistin. „How to Be Normal and the Oddness of the Other World“ nennt sich das ambitionierte Langfilmdebüt des gebürtigen Grazers und möchte sich titelgerecht den ganz großen Fragen stellen. Erstaunlich aufrichtig und frei von Eitelkeiten, muss man sagen.
Ein unangepasster Schwall an Reizen und Eindrücken
Alles beginnt dort, wo es endet: in der psychiatrischen Klinik. In einem aufgenommenen Verhör spricht ein Mann mittleren Alters von seiner leidenschaftlichen, innigen Beziehung – mit Pop-Innovatorin Björk. Ein humorvoller Einstieg mit düsteren Untertönen, die bald an die Oberfläche dringen sollten. Denn: die Gebrechlichkeit mentaler Gesundheit ist ganz und gar nicht komisch. In einer Welt, in der zunehmend über „mental health“ schwadroniert wird, stößt man da manchmal auch auf Unverständnis – gerade beim älteren Schlag. All jene, die ihre eigenen Probleme das liebe Leben lang selbst bewältigt hätten. Ganz ohne ärztliche Hilfe. Die junge Generation sei ja einfach nicht mehr belastbar. Wie es der Zufall so will, stimmt aber auch im Leben von Pias Eltern gerade einiges nicht. Dem Druckereibetrieb von Papa Klaus (Cornelius Obonya) sollen die Tore geschlossen werden. Mama Elfi (Elke Winkens) versucht nicht die Fassung zu verlieren, während sie in der Synchronkabine irrsinnige Texte für Fernsehdokus einspricht. Doch auch der Verstand der vermeintlich starken Eltern zeigt allmählich Risse. Derweil sucht Pia Wegbegleiter*innen ihres früheren Ichs heim: Freundinnen, verflossene Liebschaften. Die Erkenntnis, dass nichts mehr so ist, wie es früher war, will man nicht akzeptieren. Man flüchtet sich in die Sucht, in Hirngespinste: Alkohol, Medikamente, ein britischer Lover namens Ed, geheime Verfolger wie aus einem Hollywoodfilm. In was für einem beeindruckend pulsierenden Schnittstakkato Pochlatko diesen ungefilterten Rausch der Gedanken und Emotionen festhält, lässt einen nicht los. Der hyperaktive Bilderreigen brennt sich intensiv wie ein Laser in die Netzhaut ein. Exzess und Überstimulation pur. Von diesem Schwall an Eindrücken und Reizen bleibt am Ende tatsächlich auch mehr übrig als nur stilistische Überfrachtung. „How to Be Normal and the Odness of the Other World“ ist vor allem nämlich eines: empathisch. Empathisch seiner Hauptfigur gegenüber, empathisch auch den Figuren gegenüber, die sich nicht eingestehen wollen, dass mit ihnen ebenfalls etwas nicht stimmen könnte. Man jongliert mit der Definierung des Normalitätsbegriffs, legt den Finger in die offene Wunde eines anhaltenden Generationenkonflikts, schaut dann am Ende aber sehr wohl optimistisch in die Zukunft. Wird dem Chaos mit Menschlichkeit begegnet, erscheint dieses auf einmal sehr viel kleiner. Das trifft auf die Figuren zu, wie auch auf den Film, der sich um sie herum abspielt. Und dieser ist genau so imperfekt und ungestüm wie seine brillant verkörperte Hauptfigur. Höchstwahrscheinlich auch deshalb so mitreißend.