Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2025
Ein arabischer Schriftsteller im Exil, der seinen Lebenssinn verloren hat, reist auf eine Hallig in der Nordsee, um dort Suizid zu begehen. Die Begegnung mit einer älteren Gastwirtin hilft ihm aus seiner Lethargie. Das ist „Yunan“.
Die Auswirkungen des „Arabischen Frühlings“ Anfang der 2010er Jahre, während der reihenweise autoritäre Regime in Nordafrika und im Nahen Osten gestürzt wurden, sind noch heute in Europa spürbar. Besonders der über 13 Jahre andauernde Bürgerkrieg in Syrien, der erst im vergangenen Dezember mit dem Sturz des Diktators Bashar al-Assad endlich sein vorläufiges Ende fand, hat die Migrationssituation in Europa lange Zeit stark geprägt. Für die aus ihrem Heimatland geflohenen Menschen ist der Alltag in ihrem Exil oftmals sehr belastend, sei es durch die Entwurzelung aus ihrer gewohnten Umgebung, des Verlusts der Nationalität oder Traumata durch Krieg und Verfolgung.
Munir (Georges Khabbaz) ist Schriftsteller und lebt in Hamburg. Er leidet seit einiger Zeit an hartnäckigen Magenschmerzen, für die er vom Arzt keinen eindeutigen Befund bekommt. Er führt eine eher halbherzige Beziehung mit Sarah (Laura Sophia Landauer). Seine Mutter (Nidal Al Achkar) wiederum hat Demenz im fortgeschrittenen Stadium und erkennt ihren Sohn nicht mehr. Das alles nagt schwer an ihm, und so beschließt er kurzerhand, eine Fähre zu nehmen, auf eine Hallig – eine tieferliegende, ungeschützte Insel – zu fahren, um dort seinem trost- und orientierungslosen Leben ein unrühmliches Ende zu setzen. Unangemeldet taucht er bei der Pension von Valeska (Hanna Schygulla) auf, die ihn zunächst in einem Gästehaus etwas weiter entfernt einquartiert. Sie stellt ihm auch das klapprige Fahrrad ihres verstorbenen Mannes zur Verfügung. Ihr Sohn Karl (Tom Wlaschiha) ist zwar wenig begeistert von dem Gast, lernt ihn aber bei einer spielerischen Rangelei unter Männern schätzen. Als die Hallig von Wetterkapriolen heimgesucht und überschwemmt wird, wachsen der wortkarge Munir und die Inselbewohner zusammen.
„Yunan“ ist ein leises, fast schon meditatives Drama vom jungen Autor und Regisseur Ameer Fakher Eldin, Sohn syrischer Eltern, der auf den Golanhöhen geboren wurde. Sein Protagonist Munir ist ein Mann weniger Worte, und wird von Georges Khabbaz mit einer hohen Intensität verkörpert. Khabbaz spielt Munir mit einer starken Ausdrucksfähigkeit. Immer wieder rezitiert er aus dem Off die Geschichte eines Hirtenpaares, die ihm seine demente Mutter immer so gern erzählt hat, während Sibel Kekilli und Ali Suliman die entsprechenden Szenen spielen. Die mittlerweile 81-jährige deutsche Schauspiellegende Hanna Schygulla gibt dem Film eine emotionale Wärme und beweist einmal mehr ihre schauspielerische Bandbreite in einer langen und erfolgreichen Karriere, die sie zuletzt auch nach Hollywood geführt hat („Poor Things“). Apropos deutsche Hollywood-Exporte: als Valeskas etwas ruppiger Sohn spielt Tom Wlaschiha mit, der wie Sibel Kekilli dem Ensemble von „Game of Thrones“ angehörte.
Vor wunderschönen Kulissen gedreht und mit schön-schwermütiger Musik unterlegt, ist „Yunan“ eine stimmungsvolle zweistündige Meditation, in der sich die beiden Hauptfiguren zwar über weite Teile wenig zu sagen haben, aber durch gegenseitige Wertschätzung und dem Trotzen der zerstörerischen Gezeiten viel neue Lebensenergie schöpfen. Ähnlichkeiten mit Nora Fingscheidts „The Outrun“ über eine langsam aus der Alkoholsucht herausfindende Biologiestudentin (Saoirse Ronan) aus dem Vorjahr tun sich hier auf, nur ist Eldins Film geradlinig und weitaus behutsamer erzählt.
Ein guter, wenn auch kein überragender Filmbeitrag zum Thema Traumabewältigung und Suizidgedanken mit zwei sympathischen Hauptfiguren, vielen schönen Bildern und einem hoffnungsvollen Ende, das gerade in Zeiten wie diesen umso wichtiger ist.