Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2025
In dieser wunderbaren Tragikomödie mit Science-Fiction-Elementen wehrt sich eine renitente alte Frau dagegen, in eine Seniorenkolonie abgeschoben zu werden und macht sich auf ein großes Abenteuer auf.
Es sollte eigentlich eine feierliche Zeremonie werden, die das Publikum da zu Beginn des Films zu sehen bekommt. Mitarbeiter der brasilianischen Regierung bringen am Haus der gerade 77 Jahre alt gewordenen Teresa (Denise Weinberg) einen großen goldenen Lorbeerkranz an, um sie für die Verdienste an ihrem Land zu würdigen. Sie ist nicht begeistert, weiß doch nun jeder, wie alt sie ist. Schlimmer noch: sie wird zwangspensioniert und soll schon bald in die Kolonie für Pensionisten ziehen, damit sie ihrer Tochter nicht weiter zur Last fällt, und die jungen Menschen sich um ihre Arbeit und nicht um ihre Eltern kümmern. Das passt Teresa ganz und gar nicht, denn sie hat noch Träume, die sie verwirklichen möchte. Einmal eine richtige Flugreise etwa, egal wohin. Aber die bürokratischen Mühlen und peniblen Behörden wollen da nicht mitspielen. Erst mit dem abgehalfterten, alleinstehenden Bootskapitän Cadu (Rodrigo Santoro), dann mit dem glücklosen Bootsfahrer Ludemir (Adanilo) und schließlich der fahrenden Nonne Roberta (Miriam Socorrás) begibt sich Teresa auf eine letzte große Reise in die Freiheit und den zweiten Frühling.
Das Konzept, das „The Blue Trail“ von Gabriel Mascaro zugrunde liegt, ist eines, das uns alle irgendwann einmal betreffen wird. Was tun, wenn uns unsere Eltern, die uns wiederum aufopferungsvoll großgezogen haben und heranwachsen ließen, im Alter zur Last fallen? Ist es vertretbar, sie einfach in einem Heim unterzubringen, wo sie rund um die Uhr betreut und versorgt sind? Man vergisst dabei oft, dass ältere Menschen immer noch ihre Träume und Wünsche haben, die sie sich auf ihre alten Tage noch erfüllen wollen und für die sie während ihrer Arbeitsjahre vielleicht nicht die Zeit hatten. So etwa geht es Teresa, die nie etwas anderes getan hat als in einer Fabrik zu arbeiten.
„The Blue Trail“ entwirft, ähnlich wie es etwa Terry Gilliam in „Brazil“ einst tat, ein irres bürokratisches System, vor dem es scheinbar kein Entkommen geben kann. Systemfehler oder plötzliche Anpassungen treffen zivile Personen besonders hart. Mascaro hat für sein Konzept ein wirklich interessantes Sujet entwickelt, und lässt seine Hauptfigur gegen eine gut gemeinte, aber letztlich oppressive Ausbootung ankämpfen, die ihr die Selbstbestimmung im Alter nimmt. Dies ist jedoch immer realistisch gehalten und könnte so heutzutage praktisch überall zur Anwendung kommen.
Die Besetzung der Hauptfigur ist ein großer Coup: Denise Weinberg bringt einen ungekünstelten und messerscharfen Witz in die Rolle der Teresa und zieht das Publikum von Anfang an auf ihre Seite. Wie sie ihre zumeist deutlich jüngeren Kolleginnen und Kollegen an die Wand spielt, ist wirklich genüsslich anzusehen. Das andere schauspielerische Highlight von „The Blue Trail“ ist Rodrigo Santoro, das einzige Castmitglied, das international bekannt ist, etwa aus „Tatsächlich… Liebe“ (2003) oder „300“ (2006). Sein rauer, ungehobelter, aber im Kern doch herzensguter und einsamer Bootskapitän, der Teresa das Steuern beibringt, weckt Erinnerungen an Humphrey Bogart in „The African Queen“ (1951) oder aus jüngerer Vergangenheit Jared Harris‘ Captain Mike in David Finchers „Benjamin Button“(2008). Santoro ist nur kurz in einigen Szenen des Films zu sehen, es gelingt ihm aber in der kurzen Zeit, nachhaltig Eindruck zu machen und den Plot vorwärtszubewegen.
„The Blue Trail“ schickt sich an, ein echter Publikumsliebling zu werden, dank seines lakonischen Humors, einer starken und identifikatorischen Hauptfigur, einer ruhigen und feinfühligen Erzählung und nicht zuletzt einer klug ausgearbeiteten Sozialkritik. Am Ende entlässt Gabriel Mascaro sein Publikum mit einer hoffnungsvollen Einstellung und einem zu Herzen gehenden Appell: „Passt auf die alten Leute auf, aber lasst ihnen ihre Träume.“