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    Spannender Box-Kampf der Kulturen

    Kurdwin Ayub scheint sich für die Titel ihrer Filme am Himmel zu orientieren. Nach „Sonne“ ist jetzt „Mond“ auf der heimischen Leinwand. Thematisch bleibt sie dem Blick auf verschiedene Kulturen treu.

    Ungewöhnliches Boxtraining in Jordanien
    Die ehemalige Mixed-Martial-Arts-Kämpferin Sarah erhält ein lukratives Jobangebot. Sie soll die drei Teenie-Töchter einer reichen Familie trainieren. Allerdings in Jordanien, nicht in Ö. Sie nimmt an, ohne zu wissen, worauf sie sich einlässt. Die Mädchen scheinen nett, kommen aber nicht immer zum Training, weil sie sich angeblich unwohl fühlen. Und auch sonst geschehen merkwürdige Dinge, vor allem im oberen Stockwerk, das Sarah nicht betreten darf. Sie kommt den Mädchen trotzdem näher, möchte ihnen zu mehr Freiheit verhelfen. Ein gefährlicher Kampf.

    Boxen und ein ganz anderer Kampf
    Ayub beginnt ihren Film mit körperlichen Szenen im Ring, etabliert die Kampf-Atmosphäre. Sarah (Florentina Holzinger) unterliegt in diesem MMA-Fight ihrer Gegnerin, was das Ende ihrer Profi-Karriere bedeutet. Mehr schlecht als recht findet sie Kund*innen zum privaten Training, lebt erst einmal in ihrer kleinen Wohnung ohne große Zukunftspläne. Das Angebot, drei verwöhnte Teenager in Jordanien zu trainieren, scheint ihre Rettung zu sein. Nicht nur finanziell, denn sie hat wieder eine Aufgabe. Vielleicht stürzt sie sich deshalb so hinein, kommt den drei Mädchen näher, will mehr über ihre Situation herausfinden. Und sie zu Kämpferinnen trainieren, aber auch selbst eine für Freiheit zu werden, zumindest aus der westlichen Sicht.

    Kulturschock auf allen Ebenen
    Engagiert wird Sarah vom Bruder der Mädchen, dem Sohn des Hauses. Dieser spricht ganz passabel Englisch, wirkt recht höflich und präsentiert sich als guter Gastgeber. Für die Trainerin ist ein Zimmer im Luxushotel mit Gym und Mega-Pool organisiert, zur Arbeitsstätte holt sie ein Chauffeur. Wo das Haus der Familie genau liegt? Die Fahrt hin ist lang, konkrete Auskunft gibt es keine. Das Anwesen ist riesig, Bedienstete kümmern sich um alles, geshoppt wird in der Mall mit Luxusmarken wie Tod’s. Die Welt der fremden Reichen ist perfekt inszeniert und in Bildern eingefangen, die die Unterschiede hervorheben, zum Staunen bringen. Genau folgt man dem Blick der Protagonistin. Ebenso wird Sarahs Fremdenstatus im Land und in der Familie, für die sie arbeitet, ständig untermauert; Ayiub gelingt hier eine feine, genau beobachtete Herausarbeitung. Obwohl sie anwesend ist, wird nicht durchgehend Englisch gesprochen, sie wird durch die Sprache ausgeschlossen. Im Hotel sind neben dem Personal nur einige wenige Gäste, ebenso fremd im Land. Die Telefonate mit der Heimat sind schwierig. Sarah ist herausgerissen aus ihrer gewohnten sozialen Umgebung. Die Mädchen werden ihre wichtigsten Bezugspersonen.

    Ein Vorbild?
    Ebenso wird Sarah eine wichtige Bezugsperson für die Mädchen, so unterschiedlich sie auch sind. Und weit weg von der westlichen Kultur. Wobei es auch Soap-artige Fernsehformate gibt, die gespannt verfolgt werden. Als starke Frau wird die Kämpferin von den Geschwistern gebeten, sie mehr Selbstverteidigung zu lehren. Und Nour vertraut sich Sarah schließlich in einem erschreckenden Video an.

    „Alles okay“
    Das Training muss wegen Schmerzen abgebrochen werden, eine aufgeplatzte Lippe und ein blaues Auge oder die Hilfeschreie aus einem der Zimmer im oberen Stockwerk, das die Fremde nicht betreten darf. Eine Art Westflügel wie bei „Die Schöne und das Biest“, wobei hier noch weniger klar ist, wer das Biest ist. Jedes kleine, aber beunruhigende Zeichen wird vom Bruder und den Hausangestellten mit einem „Alles okay“ abgetan. Die Mädchen werden als Drama-Queens hingestellt, die sich Späße mit der Trainerin erlauben. Ayub spielt mit den verschiedenen Perspektiven. Wem soll Sarah, die sich in der fremden Kultur, in der reichen Familie, nicht auskennt, glauben? Kann sie ihrer Wahrnehmung vertrauen? Oder ist es die westliche Perspektive, die Verbrechen sieht, nur weil Dinge anders sind?

    Knackig, körperlich, aber trotzdem lose
    Ayubs „Mond“ funktioniert als Porträt einer Kämpferin gut, Holzinger bringt die notwendige Körperlichkeit für ihre Rolle ein. Ihre Performance fesselt, definitiv eine Anerkennung wert. Die Hauptdarstellerin trägt somit den Film, was Vor- und Nachteile hat. Ihre Geschichte wird genau erzählt, während andere Teile oft eher als Bausteine zum Publikumsschock daherkommen. Ja, viele dieser Bilder bleiben hängen, in Summe sind sie aber eine Aneinanderreihung beziehungsweise lose Sammlung an, aus oberflächlicher, westlicher Sicht, Misshandlungen. Vieles bleibt unerklärt, was Spannung erzeugt, geheimnisvoll wirkt. Ob man ganz genau hinschauen darf, was die Logik betrifft? Vermutlich nicht. Muss man nicht zwingend, wenn man recht gut unterhalten wird …
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    15.11.2024
    15:08 Uhr
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    Audienz im goldenen Käfig

    In Kurdwin Ayubs Vorgängerfilm Sonne ging es noch darum, wie sehr es schicklich ist, als junge Muslimin auf Social Media jugendlicher Lebensfreude Ausdruck zu verleihen – ganz ohne Hijab und anderweitiger kulturell bedingter Verhüllungen. Ein leichtfüßiger, offener Versuch, auf experimentellem Wege ein Problem anzusprechen – dem es aber allerdings an Biss fehlt. Nach dem strahlenden Zentralgestirn rückt aber nun der Erdtrabant in den Vordergrund – er ist titelgebend für den Mittelteil einer geplanten Trilogie, und dieser lässt Performancekünstlerin Florentina Holzinger in ihrer ersten Filmrolle zu Luna werden, zu einer um einen zentralen Missstand kreisenden Satelliten, der sich anfangs nicht imstande sieht, das Geschehen auf diesem fremden Planeten zu beeinflussen, nicht mal, was die Gezeiten betrifft. Dieses fremde und doch so vertraute Gestirn ist ein goldener Käfig für drei weibliche Geschwister im Teenageralter, die auf Anweisen ihres größeren Bruders hin zur körperlichen Ertüchtigung angehalten werden. Holzinger gibt in Ayubs Film eine erfahrene Martial Arts-Sportlerin, deren Bestzeiten allerdings vorbei zu sein scheinen. Nach einer Niederlage im Wettkampf verdingt sie sich als Trainerin, bis sie die Anfrage eines steinreichen Jordaniers erhält, der Protagonistin Sarah gerne für einen Monat nach Amman einlädt, um seinen Schwestern beizubringen, wie man kämpft, in Form bleibt und vor allem eins: Disziplin erlernt.

    Es mag der Luxus und der Prunk noch so sehr schillern – Holzingers Charakter Sarah ist nicht jemand, der sich davon blenden lässt. Ihr geerdetes Welt- und Werteempfinden kollidiert schon bald mit dem obskuren Regelwerk eines elitären, patriarchalen Haushalts, in welchem die jungen Frauen nichts zu sagen haben. Ihre von den Männern verordnete Gefangenschaft lässt sich zwar aushalten, doch Freiheiten gibt es kaum welche – wenn, dann nur Langeweile und übersättigter Luxus in kalten Räumen. Sarah wird zur Beobachterin eines dysfunktionalen Familienlebens, das nur so tut, als wäre es liberal genug, um westliche Besucher nicht vor den Kopf zu stoßen. Eine der Mädchen zieht die selbstbewusste Trainerin ins Vertrauen – in der Hoffnung, dass diese etwas ändern könnte an einem Status Quo, der so scheint, als könnte niemand ihn ändern.

    Kurdwin Ayub beherrscht ihr Handwerk so souverän, als wäre sie schon lange Zeit im Filmbiz unterwegs, dabei ist Mond erst ihr zweiter Langfilm. Ein Naturtalent, könnte man meinen, vor allem auch deshalb, weil Ayub ein komplexes Thema verfolgt, das mit nur einem Film längst nicht auserzählt ist, wofür es zahlreiche Blickwinkel braucht, die zur Sprache gebracht und in Bilder gepackt werden müssen. Sowohl Konzept als auch das Skript und die Regie sind von ihr, gefördert und auf positive Weise beeinflusst durch alte Hasen auf ihrem Gebiet wie zum Beispiel Ulrich Seidl. Das Schöne daran: Ayub kopiert den Lehrmeister nicht, sondern macht ihr eigenes Ding. Sie kopiert auch nicht Regiekollegin Veronika Franz, die bei ihren Filmen ausführende Funktionen übernimmt. Ayub ist eine Quer- und Alleindenkerin, eine originäre Künstlerin, die in Mond, noch viel mehr als in Sonne, ihren eigenen Rhythmus gefunden hat. Und der ist streng, straff und dicht. Obwohl Mond per se kein Thriller ist, fühlt er sich an wie einer. Das liegt an den effizient verfassten Passagen des Drehbuchs, und an der Fähigkeit, Wesentliches vom Überflüssigen zu unterscheiden. Was bleibt, ist in Mond das Wesentliche. Ayubs Szenen erlauben viel Beobachtung und ruhende Momente, in denen Konflikte wachsen, die sich allesamt relevant anfühlen. Nichts ist nur so daherinszeniert, dahergesagt oder lediglich ausprobiert. Das authentische, ungekünstelte Spiel Holzingers unterstreicht diese Direktheit, dieses Hindurchgreifen zwischen die Gitterstäbe eines goldenen Käfigs. Dahinter die unterdrückte Weiblichkeit durch eine längst obsolete, fatale Männerkultur. Zivilcourage wird dabei nicht zum plakativen Heldenmut, sondern zur ambivalenten Notwendigkeit, zum Pflichtgefühl aufgrund zu verteidigender Werte.

    Mond ist ein hochspannendes, faszinierendes Stück Konfliktkino, trotz oder gerade wegen seiner passiv-aggressiven Zurückhaltung. Raum für Persönliches und Raum für dezenten Suspense formulieren diesen Film zu einem prägnanten, klaren Statement. Und das nur mit wenigen, aber präzise gesetzten Kniffen.


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    11.11.2024
    17:25 Uhr
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    Mond

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Die Geschichte des neuen Films von Kurdwin Ayub zieht Zusehende in ihren Bann. Die anfängliche Harmlosigkeit kippt in der zweiten Hälfte in einen dunklen Horror bezüglich der weiblichen Protagonistinnen: wohlgemerkt für insbesondere jene, die in Amman in Jordanien leben. Dort trainiert die österreichische Mixed-Martial-Arts-Kämpferin Sarah (Florentina Holzinger) die drei Schwestern eines reichen Mannes (Abdul) des jordanischen Geldadels in einer riesigen Villa. Die Eltern sind während des ganzen Films abwesend. Der englischsprechende Abdul wirkt zu Beginn freundlich und wird als Sympathieträger dargestellt, bald muss Sarah jedoch einen Geheimhaltungs-Vereinbarung unterschreiben.

    In Wien war Sarah in Geldnöten, weil sie bei Wettkämpfen zu oft verloren hatte. Darum nahm sie dieses Angebot an und findet sich nach ihrer Ankunft in Jordanien in einer komplett anderen, versteckten und kontrollierten Welt wieder, die durch Reichtum und autoritäre, patriarchale Strukturen einer Diktatur gekennzeichnet ist. Diese entwickelt die sich im Lauf des Films zunehmend undurchschaubarer und beklemmender, ähnlich einem Gefängnis.

    Die drei Schwestern zeigen sich beim Training wenig motiviert und verbringen ihre Zeit bevorzugt vor dem Fernseher bei Soaps und Telenovelas. Die einzige Möglichkeit eines Ortswechsels stellen für sie Shopping Malls dar, in dem Sarahs Mobiltelefon ausgeborgt wird. Sarahs Telefon ermöglicht die Verbindung zur Außenwelt, die für Sarah selbstverständlich ist, nicht aber für die Schwestern. In Folge erhält sie darauf alarmierende Videobotschaften über deren Leben und die Existenz einer vierten Schwester.

    Zusehend unheimlich entwickeln sich die Umstände im Haus, die so weit reichen, dass Sarah zum Beispiel nicht das Obergeschoß betreten darf. Abends in ihrer Freizeit versucht Sarah dem Korsett im Haus in eine Cocktailbar zu entfliehen, wo sie von männlicher Seite schnell in die Schranken gewiesen wird. Einmal kann sie in Freiheit einen geheimen Techno-Club finden, wo das Wummern des Basses und ihr wildes Tanzen kurz Erleichterung verschaffen.

    ***** SPOILER ***
    **
    Den Wendepunkt der Ereignisse bringt eine fast unrealistische Szene, in der die vierte Schwester aus ihrem Versteck ausbricht und sich anzündet, wobei Sarah nur sprachlos zusieht. Der Filmteil in Jordanien endet mit einem Fluchtversuch Sarahs mit den Schwestern, als diese vorgeben zum Gebet zu gehen und so ihren Security kurz abschütteln können. Der Fluchtversuch endet mit der Fahrt aus der Tiefgarage, wo die Frauen von den securities auch schon wieder abgefangen werden.

    Nach einem Szenenwechsel findet sich Sarah wieder zurück in Wien, denn sie kann als westliche Frau gehen wohin sie will.
    **

    *** *** *** *****
    Schwer zu interpretieren war nach dieser Gewalt-Geschichte in patriarchalen Systemen ihr Karaoke-Gesang von Rhiannas „S&M“. Zum Abspann dann hätte der Soundtrack passender jedenfalls nicht sein können! Harter Electro-Sound!
    31.10.2024
    19:21 Uhr