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    Der Feind im fremden Bett

    Nie, wirklich niemals, ist das Objekt genau dort, wo man es vermutet. Weder unter dem einen noch unter dem anderen Hütchen. Das liegt wohl daran, dass einige von denen, die mit namentlichem Spiel draufgängerische Passanten um ihr Kleingeld erleichtern, Trickbetrüger sind. Da lassen sich die Rochaden noch so genau beobachten – letztlich blickt man ins Leere.

    Es gibt Filme, die ähnlich konstruiert sind. Die nicht wollen, dass ihr Publikum viel zu früh ahnt, welche Taktik hier ihre Anwendung findet. Die es darauf ankommen lassen, dass unkonventionelle Erzählweisen nicht immer willkommen sind. Doch diejenigen, die gerne erfrischend Neues erleben und sich mit einem Lächeln an der Nase herumführen lassen wollen, haben mit Strange Darling eine gute Partie – vorausgesetzt, der Versuch, aus der Gewohnheit auszuscheren, wirkt letztlich nicht allzu gewollt. So ein Zerstückeln des Erzählflusses braucht schließlich Geschmeidigkeit, muss sich anbieten und nicht so wirken, als hätte man erst viel zu spät entschieden, ein konventionelles B-Movie mit besonderem Twist zwangszubeglücken. Das merkt auch das Publikum. Bei Strange Darling merkt es das nicht. Denn der Thriller fuhrwerkt mit seinen sechs Kapiteln ebenso herum wie eingangs erwähnter Hütchenspieler. Dabei starten wir gleich mal mit Kapitel Nummer Drei. Und nein, vorne fehlt nichts, hinten fehlt nichts – dieses Puzzleteil wirft uns sogleich mit Anlauf hinein ins Geschehen. Wir sehen eine Blondine, die, blutverschmiert und gehetzt, mit einem roten Sportwagen über die Landstraße brettert. Hintendrein das Böse: ein grimmiger, toxisch-männlicher Killer, Sexualstraftäter, Psychopath – keiner weiß, was dieser Mann sonst noch alles in sich vereint. Er wirkt wie ein Rednex, wie ein diabolischer Hinterwäldler aus Beim Sterben ist jeder der Erste. Er hat es beinhart auf die junge Frau abgesehen, er will sie nicht entkommen lassen, sie ist schließlich seine Beute.

    So viel kann sich das Publikum schon denken: Wenn Kapitel Drei den Thriller startet, ist nicht alles so, wie es scheint. Regisseur JT Mollner gibt nur so viel preis, damit es reicht, um bewährte Rollenbilder zu etablieren. Der stereotype böse Mann, die hilflose Blondine, es könnte ein gediegener, generischer Reißer sein, hätte Mollner nicht noch anderes im Sinn. Und da stecke ich aber als Filmblogger und Reviewer in einem Dilemma, denn Strange Darling ist ein Machwerk jener Sorte, über das man so wenig wie möglich schreiben und erzählen sollte. Don’t worry, ich werde das auch nicht tun, denn so lässt sich dieser Beitrag hier sowohl vor als auch nach dem Film bedenkenlos lesen. Was ich erwähnen kann: Der Kick an der Sache liegt im ausgeklügelten Hinauszögern an Informationen, im Zurückhalten wichtiger Wendungen und auch der Geduld, dieses Zögern durchzuhalten. Vielleicht lässt sich Strange Darling ein bisschen mit dem Roadmovie-Albtraum Hitcher – Der Highwaykiller vergleichen. Vielleicht auch nicht. Zumindest aber kam er mir in den Sinn. Und natürlich kommt einem auch Tarantino in den Sinn, denn dieser Mann zählt zu den großen Avantgardisten – was dieser an Stilideen nicht schon alles auf den Weg gebracht hat, damit andere diese variieren können, nimmt zumindest die Hälfte neuzeitlicher Filmchroniken ein. Bei Pulp Fiction pfiff dieser auf chronologische Akuratesse und etablierte das nonlineare Erzählen bei einer weitgehend durchgehenden Handlung, wenngleich das Episodenhafte noch viel stärker in den Vordergrund tritt als bei Strange Darling, bei welchem die Kontinuität einen Filmdreh wie aus einem Guss voraussetzt. Mollner setzt dabei fünf scharfe Schnitte, wirbelt diese aber nicht willkürlich durcheinander, sondern wohlüberlegt. Im Kopf ordnen sich die Fragmente sowieso in die richtige Reihenfolge, das macht das Hirn ganz von allein. Diese Fähigkeit nutzt Mollner auf irrwitzige Weise. Durch diese Methode konterkariert er die Wahrnehmung von Opfer sowie Täter, von Macht und Ohnmacht, Schwäche und Stärke. Angereichert mit perfiden, aber passgenauen Gewaltspitzen und einer Hauptdarstellerin in Höchstform, entwickelt sich Strange Darling zu einem pfiffigen Meta-Thriller, der sich Zeit lässt und dem die Laune am Spiel mit den Konventionen in jeder Szene anzumerken ist.

    Man könnte das nonlineare Experiment sogar noch weiterführen. Nach Harald Zettler vom Online-Filmmagazin uncut.at könnten sich die Kapitel eines Films, wenn man es denn hinbekommt, jedes Mal neu ordnen. Was da herauskäme, wäre erfahrenswert. Jedenfalls ein sich ständig veränderndes Erzählen. Strange Darling macht schon mal den Anfang.


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    05.10.2024
    10:48 Uhr
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    Jäger oder Gejagter?

    Exklusiv für Uncut vom Slash Filmfestival
    Ein weiteres Highlight im Programm des diesjährigen Slash Filmfestivals und Mitstreiter um den begehrten Hauptpreis, der goldenen Urne, ist der Actionthriller „Strange Darling“ von JT Mollner (Outlaws and Angels). Für sein Zweitwerk verpflichtete er Scream King Kyle Gallner (Jennifer's Body, Scream, Smile) und Willa Fitzgerald (Reacher, The Fall of the House of Usher) als Hauptdarsteller, die einander gegenseitig in einem gefährlichen Katz- und Mausspiel voller unerwarteter Wendungen nach dem Leben trachten.

    In sechs nicht chronologisch gezeigten Kapiteln folgen wir den beiden namenlosen Protagonisten der Geschichte, die sich nach einer durchzechten Nacht gemeinsam in einem Motel vergnügen wollen. Was zuerst wie der Anfang einer wilden Affäre wirkt, wird für die beide Betroffene schnell zum bitterbösen Albtraum.

    Bereits zu Beginn des Films ist klar, dass sich „Strange Darling“ keineswegs an klassischen narrativen Strukturen orientiert. Zuerst werden Willa Fitzgerald und Kyle Gallner lediglich als „The Woman“ und „The Demon“ vorgestellt, danach wird das Publikum völlig ahnungs- und kontextlos in das vierte Kapitel geworfen. Dass hier die Geschehnisse völlig anders scheinen können und Zuseher:innen zunächst auf eine völlig falsche Fährte gelockt werden, ist selbstverständlich bewusst gewählt. Die non-lineare Erzählweise hält somit gekonnt den Spannungsbogen bis zum Schluss gespannt und eröffnet in jedem neuen Kapitel erstaunliche Überraschungen.

    Gedreht wurde auf 35mm-Film von niemand geringerem als Giovanni Ribisi, dem man eigentlich als Darsteller aus Filmen wie „Saving Private Ryan“ oder „Avatar“ kennt, und der für JT Mollners Actionthriller zum allerersten Mal hinter der Kamera stand.

    Gallner und Fitzgerald finden sichtlich Gefallen am zunehmenden Wahnsinn, den ihre Charaktere verströmen, die spürbare Chemie zwischen den beiden, lässt die äußerst körperlichen Performances der Darsteller noch authentischer wirken.

    Was der Film schlussendlich mit nebenbei aufgeworfenen Thematiken wie Consent, Genderrollen und sexueller Gewalt aussagen möchte, wird bewusst ausgespart; diese Interpretationsarbeit wird großzügig den Zuseher:innen selbst überlassen.

    Expect the unexpected!
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    24.09.2024
    18:44 Uhr