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    Für ihn gab es eben nur den FC Bayern - das war sein Leben

    Exklusiv für Uncut
    Eine Zeitreise zu den jüdischen Wurzeln des FC Bayern München mit dem Film „Landauer - Der Präsident“

    Fußball. Geschichte. Religion. In dieser Hinsicht bildet die Machtergreifung der Nazis ein Tiefstpunkt und selbst in der Historie des erfolgreichsten deutschen Vereins findet sich der dunkle Fleck deutscher Vernichtungspolitik. Heutzutage bemühen sich sowohl Verein als auch Fanszene des FC Bayern München um Wahrung der jüdischen Wurzeln, die überdeutlich in einer Person gipfeln. Kurt Landauer war es in den 1930er-Jahren, der die Grundlagen für die heutige Strahlkraft des FC Bayern legte, danach aber für lange Zeit in Vergessenheit geriet – bis eine Ultra-Gruppierung und ein Fernsehfilm ihm ein ehrenhaftes und verdientes Vermächtnis schenkten.

    1884 wurde Landauer als Sohn jüdischer Kaufleute geboren und wurde mehrmals Bayern-Präsident. Bedeutsam ist zunächst die Amtszeit von 1919-1933. In dieser Zeit entwickelt sich der FC Bayern unter Landauers Führung zu einer sportlichen Größe. Infolge der Machtübernahme 1933 drängte man Landauer als bayerischen Juden aus dem Präsidentenamt. 1938 verschleppt ihn die Gestapo im Zuge der Novemberpogrome ins KZ Dachau, lässt ihn aufgrund seiner Einsätze im Ersten Weltkrieg kurze Zeit später frei. Er überlebt den Holocaust im Genfer Exil – im Gegensatz zu vier seiner sechs Geschwister. Das Nazi-Regime ermordet Paul, Franz, Leo und Gabriele Landauer. Kurt hingegen kommt zurück ins Land seines größten Traumas.

    Genau hier setzt der deutsche Fernsehfilm „Landauer – Der Präsident“ an, der in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum feiert und im Oktober 2014 in der ARD lief. Von Deutschland aus möchte Landauer für immer in die USA migrieren, doch das Schicksal lässt ihn wanken. Alte Vereinskameraden, die sich vor Kriegsbeginn gegen die Arisierung stemmten, entfachten sein Feuer. Er selbst nimmt den demokratischen Neuaufbau einer neuen Zeit wahr. Zudem wiederentdeckt er die langjährige Haushälterin, Maria, die ihn später heiratet. Und so nimmt er abermals den wichtigsten Posten beim FC Bayern ein, leitet, führt, macht, wird zwischen 1947 und 1951 letztmals und nochmals Vereinspräsident. Vor allem ist er einer der wenigen, die zurückkehren, zurück in ihre Heimat, ungeachtet der schmerzhaften Erlebnisse. In der von Misstrauen und Desillusion geprägten Nachkriegszeit fällt der Aufbruch schwer, viele Antisemiten haben nichts von ihren Ressentiments verloren, der Verein ist gespalten. Landauer schafft es trotz aller Widrigkeiten, gestaltet das bis heute berühmt-berüchtigte Trainingszentrum an der Säbener Straße und formt schnell eine neue, kompetitive Mannschaft.

    Der wohl nur der Anhängerschaft des linearen Fernsehens bekannte Regisseur Hans Steinbichler (u.a. „Polizeiruf 110“) inszeniert ein zeitgeschichtliches Filmdokument, das in erster Linie die Schwierigkeiten im Nachkriegsdeutschland verhandelt. Prinzipiell eine deutlich weniger erforschte und medial verarbeitete Phase deutscher Geschichte als die Kriegsjahre bis 1945 oder die Wirtschaftswunderjahre ab 1950 („Das Wunder von Bern“). Es herrschen Korruption und existentielle Hungersnöte. Beklemmend sind die Trickaufnahmen, wenn Kurt Landauer durch das zerstörte München spaziert. Schwarz-weiße Archivbilder und nachgedrehte Szenen interagieren miteinander, nur die teils zu wacklige, pseudo-dokumentarische Kamera stört gelegentlich. Im Fokus stehen die politischen Grabenkämpfe in einer Welt voller Misstrauen, Pöbeleien gegen Heimkehrer und jüdische Mitbürgerinnen, naturgemäß in TV-Filmen jeweils vereinfacht und plakativ dargestellt. Auch die Filmmusik fällt etwas zu pathetisch aus. Übertrumpft werden die charmanten Leistungen des mit bayrischem Dialekt gespickten Schauspielcasts durch die Hauptfigur. Josef Bierbichler, deutscher Theater- und Filmschauspieler (u.a. Michael Hanekes „Das weiße Band“), porträtiert Landauer reserviert mit ruhigem Understatement, obgleich das Drehbuch viel tiefer in die vom Trauma des NS-Opfers geprägte Psyche hätte eintauchen können. Trotz hausgemachter Schwächen in Dramaturgie, Figurenzeichnung und historischer Präzision findet der Fernsehstreifen eine zufriedenstellende Antwort auf die im zerbombten Deutschland plausible Frage: „Wer braucht denn heutzutage noch Fußball?“ Letztlich gewinnt die verbindendende Funktion jeden Sports: Gräben werden überwunden und zusammen mit dem städtischen Erzfeind 1860 gelingt der Stadionneubau. Wobei auch hier die Klarstellung: dieser Wiederaufbau hat so nicht stattgefunden, das Stadion an der Grünwalder Straße war schon seit 1945 wieder im Spielbetrieb. Ob diese Reibung zwischen künstlerischer Freiheit und historischer Genauigkeit dem Gesamtwerk beschädigt, muss das Publikum selbst entscheiden. Gleiches gilt für das Prädikat „sehenswert“, das nur in Verbindung mit eigener Recherche steht. Für sich allein überzeugt der Film nur mäßig, seine Existenz ist dennoch ungemein wichtig.

    Soweit die filmische Aufarbeitung. Doch was geschah zwischen dem letzten Jahr der Präsidentschaft 1951 und der Auseinandersetzung in diesem Jahrtausend? Das Vergessen. Sein Wirken, sein Schaffen, seine Rolle waren verschwunden. Seine Geschichte weder aufgearbeitet noch offengelegt, was ob seiner Verdienste unglaublich scheint. Schließlich war es die Ultra-Gruppe „Schickeria“, die Kurt Landauer der Welt in Erinnerung rief, die sich mit ihm, seiner Herkunft und seiner Bedeutung für die FC-Bayern-Geschichte beschäftigten. Die 2002 gegründete Ultragruppe veranstaltete nicht nur eine Gedenkfeier zum 125-jährigen Geburtstags des Präsidenten. Sie gründete eine gleichnamige Stiftung, setzte sich ein für die Benennung Landauers als Ehrenpräsident sowie für den „Kurt-Landauer-Weg“ am neuen Stadion und trommelt bis heute Interessierte zum Kurt-Landauer-Turnier zusammen. Das Vermächtnis Landauers wird auf Händen getragen. Für ihr Engagement wurde Schickeria im Jahr der Film-Veröffentlichung mit dem Julius-Hirsch-Preis ausgezeichnet, mit die DFB-Kulturstiftung besondere Aktivität gegen Diskriminierung würdigt.

    Weshalb dieses besondere Interesse an Kurt Landauer? Erstens: die untrennbar mit dem FC Bayern verbundene jüdische Vergangenheit. Ohne das Fundament würde es den Verein wahrscheinlich nicht in der heutigen Form geben. Nur mit Landauer und der zügigen Entnazifizierung konnte der Verein die Kriegsnachwehen rasch überwinden und seine Vorreiterrolle im deutschen Fußball einnehmen. Bemerkenswert auch der Widerstand gegen die antisemitische Vereinnahmung; der „Juden-Club“ FC Bayern wurde im Nazi-Regime stets skeptisch beäugt. Das sollten sich auch die Stammtische der Republik in Erinnerung rufen, wenn wieder einmal Narrative des FC Hollywood, Dirndl-Folklore oder tagesaktuelle Irrelevanzen die Gespräche bestimmen. Genau diese Wurzeln werden einen FC Bayern für immer von modischen Erscheinungen aus Hoffenheim, Salzburg oder Leipzig unterscheiden. Die Auseinandersetzung mit den Ereignissen vergangener Tage setzt eine Lehre in Gang, die fußballhistorisch die Auswüchse neoliberaler Strukturen besser verstehen lässt.

    Der zweite Grund für die Relevanz Kurt Landauers ist unsere Verantwortung, unsere Pflicht, sowohl Privileg als auch Gebot, sich mit den NS-Vorgängen zu beschäftigen, um es nie wieder geschehen zu lassen. Diskriminierung bis hin zu strukturierter Verfolgung und systemischem Mord hat es allzu sehr gegeben. Aktuell lodert die Welt wieder an kriegerischen Feuerstellen, Antisemitismus reüssiert ungebrochen und erfährt eine ungeahnte Ritualität auch in europäischen Breitengraden. Sobald Persönlichkeiten beim Namen genannt werden, sobald die abstrakte Masse der von den Nazis getöteten Menschen ein Gesicht bekommt, helfen Empathie und Mitgefühl dem Verstehen. Aus dieser Erkenntnis erwächst die Ablehnung gegen jede Form faschistoider, fremdenfeindlicher Regierungen oder Gedanken.

    Wie war nun der Mensch Kurt Landauer? Einige beschreiben ihn als ideenreich, tolerant, diplomatisch und energisch. Leider bleibt der Fernsehfilm vieles schuldig und zeigt weder Humor noch tiefe, persönliche Einblicke. Trotzdem ringt die ganze Geschichte unheimlichen Respekt ab: Obwohl zahlreiche seiner Familienmitglieder von den Nazis umgebracht wurden, kehrte Landauer aus der Emigration zurück und baute den FC Bayern wieder auf. Landauer, der 1961 verstarb, hat Fußball- und Zeitgeschichte geschrieben. Wir können uns glücklich schätzen, denn Kurt Landauer ist kein vergrabenes Fossil, sondern lebendige Erinnerung.
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    09.09.2024
    14:35 Uhr