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    Sexuelle Befreiung am Arbeitsplatz

    Alle sprechen von Künstlicher Intelligenz. Doch niemand, wirklich niemand, von Emotionaler Intelligenz. Betrachtet man das Weltgeschehen, schmilzt dieser Skill genauso zügig davon wie die vereiste Nordpolkappe, die bald nicht mehr existieren wird, weil 20 Grad zu warm. Von dieser Emotionalen Intelligenz spricht Romy, CEO eines Robotikunternehmens, die genau weiß, was für Vorteile Automatisierungen am Arbeitsplatz und überhaupt in der Logistikbranche mit sich bringen – die aber auch genau weiß, wie wichtig es gerade in Zeiten wie diesen ist, sich selbst nicht automatisieren zu lassen. Wer diktiert also wem die Zukunft? Der Fortschritt uns Menschen – oder umgekehrt?

    Derlei ungewöhnliche Gedanken spinnt Halina Rejin in ihren Film, der beim schnellen Hinsehen so wirkt, als wäre er die Neuauflage eines Streifens aus den Neunzigern mit Demi Moore und Michael Douglas, nämlich Enthüllung. Man könnte auch meinen, bei Babygirl an eine Business-Version von Fifty Shades auf Grey geraten zu sein. Nichts dergleichen ist der Fall. Reijn, die zuletzt mit dem One-Night-Horrorthriller Bodies Bodies Bodies für gewitzte, aber oberflächliche Unterhaltung sorgte, hat etwas ganz anderes im Sinn: Weniger eine Parabel um Macht und Ohnmacht, sondern ein genau beobachtetes Gesellschaftsdrama über Individualität, Bedürfnisse und Prioritäten. Über Werte, Konsens und Konsequenzen. Natürlich erotisch aufgeladen, natürlich spielt der Sex dabei die größte Rolle überhaupt. Klar, Sex ist wichtig in einer Beziehung, egal wie, egal was, Hauptsache einvernehmlich. Sex mag Motor, Kitt und Garant für eine langlebige Beziehung sein, mag entspannen, erforschen und näherbringen. Dumm nur, wenn der eine Partner nichts von den Bedürfnissen und Vorlieben des anderen weiß.

    In Babygirl ist die Menschheit im Begriff, ohne Rücksicht auf Verluste so schnell voranzuschreiten, dass sie sich beinahe selbst abschafft. Im Gegensatz zur technologischen Intelligenz kämpft die soziale nach wie vor mit Tabus, unter Kapazundern wie Trump, Musk und Co erfährt sie den Niedergang des Jahrhunderts. Nicole Kidman macht da nicht mit. Sie als integre, toughe Romy wittert, auch wenn sie es sich selbst nicht zugesteht, die sexuelle Befreiung und die eigene Akzeptanz in der geheimen Affäre mit einem weitaus jüngeren Praktikanten, der ausgeschlafen genug ist, um seinen Boss zu manipulieren und aus der Reserve zu locken. Du willst es doch auch, hört man ihn sagen. Und ja, sie will es. Es stellt sich die Frage: Wie lange kann dieses verbotene sexuelle Abenteuer denn geheim bleiben? Und überhaupt: Was ist mit der Moral in Zeiten wie diesen? Ist es überhaupt eine Frage derselben? Oder muss sie neu definiert werden?

    Es ist spannend, dabei zuzusehen, was Halina Reijn aus diesem ganzen relevanten Stoff letztlich macht: Allen voran schickt sie eine bereits für Jahrzehnte im Filmbiz kontinuierlich arbeitende Kidman auf die Bühne ihres Lebens. Zumindest scheint es so, als würde die bereits mit dem Oscar ausgezeichnete Allrounderin völlig neue Aspekte an ihrem schauspielerischen Tun entdeckt haben. Ihre Figur der Romy ist mutig, eloquent, gleichzeitig schamhaft, schüchtern, unsicher und verletzlich. In deren Kindheit dürfte Relevantes passiert sein, das womöglich nicht unwesentlich daran beteiligt ist, sie so agieren zu lassen, wie sie es in diesem Film tut. Reijn erachtet Details dabei aber nicht für wichtig. Einzig ausschlaggebend ist das Handeln im Jetzt – und hier zeigt sich Kidman von einer zerrissenen, sehnsüchtigen und selbstbewussten Seite, die wie KI alles in den Griff bekommen will. Nur: Das eine geht nicht ohne den menschlichen Faktor. Und der bleibt fehlerhaft, impulsiv, unüberlegt – wie Individuen eben sind. Diese Menschlichkeit, auf geradezu klassisch retrospektive Art, bringt Kidman in diesen Film ein, und überzeugt auf ganzer Länge. Dass die Academy sie dabei nicht berücksichtigt hat, ist ein fahrlässiger Fehler.

    Sie allein stemmt das Ensemble, das einen aufschlussreich intelligenten Film garantiert, nicht im Alleingang. Antonio Banderas ist so untypisch Antonio Banderas, dass man fast zweimal hinsehen muss, um den Weltstar auszumachen. Sein Schauspiel hat ebenfalls, wie Kidman, eine Menge an Facetten, die ihn trotz der knappen Spielszenen so greifbar werden lassen, als kenne man ihn persönlich. Harris Dickinson ist der experimentierfreudige Jungspund einer Zukunftsgesellschaft – dominant, egozentrisch, doch kein Christian Grey, sondern viel unberechenbarer. Babygirl wird zum schauspielerischen Genuss und setzt den Preis für die Erfüllung geheimer Wünsche recht hoch. Sex ist dabei nicht alles, der Konsens ist die Lösung – und so ist Babygirl weder ein Thriller noch ein lasziver 9 1/2 Wochen-Schmachtfetzen, sondern eine neu durchdachte Nachjustierung quer durch die verschiedenen Vertrauenszonen der Gegenwartsgesellschaft.


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    07.02.2025
    16:33 Uhr
  • Bewertung

    Male Gaze, Female Gaze, Human Gaze

    Exklusiv für Uncut
    Nicht nur Kritikerkollege Wolfgang M. Schmitt moniert es unablässig, auch die niederländische Filmemacherin Halina Reijn ist sich sicher: im aktuellen Kino „ist die Sexualität verschwunden.“ Und das stimmt! Neben der etwas schwammigen Eigenwahrnehmung unterstützen Zahlen die These abnehmender Erotik. Findige Leute entwickeln mathematische Messparameter und siehe da: von den erfolgreichsten 250 fiktionalen Live-Action-Produktionen hatten zur Jahrtausendwende nur 20% keinerlei Szenen mit sexuellem Inhalte im Angebot, während heutzutage knapp die Hälfte aller Filme ohne jedwede Erotik/Liebe/Sinnlichkeit auskommt. Über die Hintergründe lässt sich vortrefflich streiten. Ist es das Überangebot an Internetpornografie? Oder die Gen Z, die andere Themen verfilmt sehen möchte? Oder die Globalisierung, die Nacktheit auf einigen Märkten von vornherein ausschließt? Oder aber einfach ein kultureller Wandel mit höherer Sensibilität für Körper und Geschlechter?

    „Babygirl“ wagt den Schritt unverhohlen in diesen empfindlichen Bereich und ist eine moderne Deutung sexueller Fantasien, geprägt von Macht und Gehorsam. Im Mittelpunkt steht Romy (Nicole Kidman), Chefin eines gewaltigen Tech-Robotik-Unternehmens, Ehefrau des konservativ auftretenden Jacob (Antonio Banderas) und Mutter zweier Kinder. Was im Vordergrund perfekte Familienidylle fingiert, bedrückt Romy in ihrer Tiefenpsyche. Unerfüllte Wünsche, unerwiderte Praktiken – und am schwerwiegendsten: kein Höhepunkt. Nach dem Sex mit Jacob muss sie heimlich masturbieren und eigentlich sehnt sie sich nach gemäßigtem Sadomasochismus. Regisseurin Halina Reijn (auch verantwortlich für die schräge A24-Horror-Sozialsatire „Bodies Bodies Bodies“) legt einen Fokus auf den weiblichen Orgasmus und bebildert ihn so authentisch wie möglich. Übergreifend kann der sexuelle Höhepunkt als Erlösung für Romys innere Qualen gelesen werden, für ihre Ängste und auch den gesellschaftlichen Druck. Ein Druck, der Gegensätzlichkeit widerspiegelt. Den Kontrast zwischen der sozialen Norm einer möglichst hygienischen Familie und dem Anderssein, dem Abweichen von diesen vermeintlichen Standards.

    Später findet sie ihren Resonanzraum im Praktikanten Samuel (Harris Dickinson). Mit ihm überbrückt „Babygirl“ enorme soziologische Grenzen: Familienstand, Alter und wirtschaftliche Position divergieren stark zwischen Samuel und Romy. Ihre Affäre, ihre Körperlichkeit, das Schauspiel der beiden prägt und trägt den Film. Beide straucheln gemeinsam durch Konflikte, navigieren durch Höhen und Tiefen ihres erotischen Abenteuers. Sie ringen um Consent und steuern durch Unsicherheit, Verletzlichkeit und Scham. Wir erleben den komplexen Reichtum menschlicher Empfindungen und diese Feinfühligkeit für Emotionen findet sich selten im Kino, abseits klassischer Gut-Böse-Dualismen oder Macht-Gehorsam-Plattitüden. Es ist Samuels beachtliches Reflektionspotential, das die Klischeephalanx des toxisch-triebhaften Mannes durchbricht. Und es ist gerade Nicole Kidman, der Reijn das Drehbuch auf den Leib schrieb, die hier mit einer physischen Performance herausragt. Geholfen haben viele Einzelgespräche zur mentalen Öffnung sowie die heutzutage üblichen Intimitätskoordinatoren, die bei der Inszenierung erotischer Szenen unterstützten.

    Nur ein Versprechen kann die Regisseurin nicht einhalten. Mitnichten handelt es sich um europäisches Kino, auch nicht um kompromisslose Röntgenblicke. Dem Vorwurf der Künstlichkeit in einer Mainstream-verträglichen Hochglanzumgebung enteilt sie weder durch ihre stilisierte Ästhetik noch durch das elitäre Wohlstandsmetier der Hauptfiguren. In seiner mechanischen Konstellation mit einer für das Sujet zu großen Distanz zu den Figuren gleicht die Filmform dem Roboter-Unternehmen der Protagonistin. Das mag auch eine Botschaft in dieser durchökonomisierten Welt sein, passt zu einem runden Psychogramm nicht immer. Dafür dreht sie den erstmals 1975 von Laura Mulvey propagierten und berühmten Male Gaze um. Sie entwendet den männlichen Blick und gibt ihn zur Frau, damit diese aus ihrer (in der Filmgeschichte) jahrzehntelangen Objektivierung fliehen kann – und tappt nicht in die Falle, den Spieß einfach umzudrehen. Aus dem Male Gaze wird kein plumper Female Gaze, sondern ein Human Gaze. Das ist auch Hommage an Selbstliebe und innere Befreiung, an das Menschsein in all seinen Dimensionen.

    Fazit: In „Babygirl“ kehrt die tabuisierte Erotik ins Kino zurück, Regisseurin Halina Reijn verleiht ihr zugleich eine feinfühlige Korrektur mit der Dekonstruktion männlicher Fantasien. Getragen vom mutigen Körper-Theater der starken Hauptcharaktere Nicole Kidman und Harris Dickinson gipfelt deren intime Affäre in intensive Familiendramen. Abgesehen von repetitiven Momenten in entschärften, manierierten Hochglanzbildern ist „Babygirl“ sensibles Kino über Macht und Missbrauch. Nie waren Milch und Krawatten erotischer, selten wurde der weibliche Orgasmus so zelebriert wie in diesem sehenswerten Beziehungsporträt.
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    30.01.2025
    12:05 Uhr
  • Bewertung

    Verbotene Liebe und verpfuschte Orgasmen

    Exklusiv für Uncut von den Filmfestspielen in Venedig
    Dem modernen Film fehlt es an Erotik. Ein Vorwurf, der polemisch klingen mag, an dem aber was dran ist. Waren Lust und Begierde in den 80er- und 90er-Jahren – auch und vor allem im Mainstream – essentielle Grundbausteine des Kinos, sind diese verklemmter Prüderie und Sexlosigkeit gewichen. Im sonst aufgeklärten 21. Jahrhundert ein Schritt in die falsche Richtung. Dass es auch anders geht, beweist Halijna Rejin in ihrem Film. Mit „Babygirl“ würdigt die niederländische Regisseurin und Schauspielerin (verantwortlich für die tolle Gen-Z-Slasher-Satire „Bodies Bodies Bodies“) das verstaubte Genre des Erotikthrillers, als Anhaltspunkte nahm sie mitunter das transgressive Schaffen von Landsmann Paul Verhoeven. Dem schlechtgealterten „Male Gaze“, der Filmen dieser Zunft gelegentlich nachgesagt wird, wurde ein zeitgemäßer, feministischer Twist verabreicht. Ein ambitioniertes Projekt, dem etwas mehr Feinschliff gutgetan hätte. Aber: Worum geht’s denn eigentlich?

    Sexuell frustrierte Nicole Kidman verführt jungen Praktikanten

    Romy (Oscarpreisträgerin Nicole Kidman) hat eigentlich alles erreicht, was es zu erreichen gibt: einen Spitzenjob als Firmenchefin, kerngesunde Kinder, einen Ehemann, der sie aufrecht liebt. Über ihr Leben hält sie gut Kontrolle. Doch da gibt es eine Sache, die ihr sauer aufstößt: wenn sie und Gatte Jacob (ein wunderbarer Antonio Banderas) im Bett liegen, kommt sie einfach nicht zum Höhepunkt. Der sexuelle Frust nimmt ein Ende, als sie dem deutlich jüngeren Praktikanten Samuel (Harris Dickinson) näherkommt. Der Beginn eines verbotenen Flirts, für den die Karrierefrau vieles aufs Spiel setzt.

    Sexuelle Selbstentdeckung und toxische Machtspielchen

    Das Problem, dass einige Frauen selten oder nie einen Orgasmus erleben, ist traurige Gewissheit. Einer Studie zufolge sollen gerade mal 20% aller Frauen weltweit zum Höhepunkt kommen, der Rest muss faken. Diese selten beachtete Problematik setzt den Anker für viele spannende Diskussionen zu sexuellen Tabuthemen. Man ist sich uneinig über Consent, Machtverhältnisse und den kleinen, aber feinen Unterschied zwischen Spaß im Bett und genuiner Liebe. Für Romy und Samuel wird die Affäre zum Wettbewerb, bei dem immer unbedingt eine der Parteien die Oberhand behalten möchte. Dieses Katz-, Maus- und Kinkspiel ist eine Weile lang unterhaltsam mitanzuschauen. Halina Rejin versteht es inszenatorische Mechanismen des männlichen Blicks so umzukehren, dass eine frische, feministische Perspektive geöffnet wird. Leider wird sich aber gelegentlich im Ton vergriffen. Viel zu schlagartig wird zwischen verstörend anmutender Grenzüberschreitung und heiterer Sexkomödie, reifem Erotikdrama und juvenilem Schmuddelfilmchen gewechselt. Die Vorbilder liegen auf der Hand, werden aber zu platt nachgeahmt. Gleichzeitig will man einen modernen Zeitgeist treffen, der sich mit den Inspirationen nicht immer vereinbaren lässt. Ein paar Szenen wirken, als würde man das nächste große Internetmeme lostreten wollen. Dafür aber zu bemüht. Dass „Babygirl“ trotz aller Plattheit einigermaßen gut funktioniert, ist seiner unerschrockenen Hauptdarstellerin zu verdanken. Hollywood-Star Nicole Kidman, die in der Pressekonferenz in Venedig nicht davor zurückschreckte, über Unsicherheiten mit der Rolle zu reden, füllt diese mit Leben und Leidenschaft aus. Es ist ein schwieriger Spagat zwischen Selbstsicherheit und Verletzlichkeit, den die 57-Jährige mit voller Körperhingabe meistert. Kidmans natürliche Darbietung gibt dem Film eine Greifbarkeit, eine geerdete Dimension, die in anderen Händen unsichtbar geblieben wäre. Dem Skript allein, so begrüßenswert der freie Umgang mit Sexualität und Frausein mittleren Alters auch sein mag, fehlen feine Nuancen. Wenn „Babygirl“ aber für etwas steht, dann für die Rückkehr einer Art Film, dem man ehemals fast im Wochentakt zu Gesicht bekam: erwachsenes, furchtlos freizügiges Kino, das einen den eigenen Umgang mit Begehren überdenken lässt. Auch wenn die Klinge beim nächsten Mal gerne etwas feiner sein darf.
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    01.09.2024
    11:54 Uhr