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    Alle guten Dinge sind drei

    Exklusiv für Uncut
    2013 entstand mit „Das merkwürdige Kätzchen“ der erste Teil der sogenannten Tier-Trilogie der Schweizer Zürcher-Brüder. Mit „Das Mädchen und die Spinne“ folgte 2021 die zweite Episode. Beide Filme machten auf großen Filmfestivals die Runde und erhielten prestigeträchtige Auszeichnungen. Mit „Der Spatz im Kamin“ wird die Trilogie nun abgeschlossen und auch hier beschleicht das Gefühl, dass eine nicht minder große Begeisterung auf Filmfestivals und in Kinosälen entstehen wird. Passend zur Weltpremiere in Locarno wurde die Trilogie erneut gesichtet und examiniert. Immerhin handelt es sich um die besten deutschsprachigen Produktionen in Jahrzehnten.

    Darum geht’s: Karen (Maren Eggert) und Markus (Andreas Döhler) leben etwas abseits der Zivilisation in einem prächtigen Haus in der Natur. Vor der Tür steht Markus' Geburtstag, für den Karens Schwester Jule (Britta Hammelstein) samt Familie anreist. In kürzester Zeit werden alte Wunden aufgerissen, was für jede Menge Reibungen zwischen den Familienmitgliedern sorgt. Unausgesprochene Dinge, die besser unausgesprochen bleiben sollten, verschlimmern das Zusammenleben zunehmend. Wird die Familie noch eine harmonische Zeit erleben, oder wird am Ende der Fatalismus siegen?

    Räumlichkeiten (alle gute Dinge sind drei)

    Wie auch schon in den ersten Teilen der Tier-Trilogie, werden Räumlichkeiten ein weiteres und letztes Mal aufgegriffen. Kammerspielartig näherten sich die Zürchers dem Biotop Zuhause in ihren Vorgängerfilmen an, was nun ausgedient hat. Küche, Wohnzimmer, Flure als auch der Garten, sind gleichermaßen wichtig geworden. Es muss dazu gesagt werden, dass es sich nicht wie einst um Apartments handelt, sondern um ein ehemaliges Elternhaus, welches sich nicht auf eine Räumlichkeit reduzieren lässt. Durch alle Räume zieht sich die Vergangenheit hindurch. Wie der Spatz, der sich im Kamin verwirrt, so können sich auch die Menschen hier verlieren – im Strudel alter Erinnerungen und auch Traumata.

    Hier bin ich Mensch, hier will ich sein – so die Worte von Wolfgang von Goethe – hallen bei den ersten zwei programmatischen Filmen noch nach, besonders beim Mädchen und die Spinne. Von der Außenwelt abgekoppelt, erlauben die eigenen vier Wände Selbstverwirklichung enormen Ausmaßes, dem Kapitalismus und den unzähligen Einrichtungsmöglichkeiten sei Dank. Es trifft natürlich auf dem ersten Blick ebenso auf ein geerbtes Elternhaus zu und doch zeigen die Zürchers, dass hier etwas anders ist. Viel lässt sich auch hier nach den eigenen Vorlieben ändern, doch einige Dinge, die in der Vergangenheit liegen, entziehen sich jener Veränderlichkeit. Während im Kätzchen und der Spinne nur selten in Erinnerungen der Vergangenheit eingetaucht werden (hin und da nutzen die Zürchers eingerahmte Familienbilder), so sieht dies im Spatz nun anders aus. Fast schon poetisch wird gezeigt: Elternhaus und Kindheitserinnerungen als Material des Vergangenem sind untrennbar miteinander verbunden, die auch noch nach Jahrzehnten nachhallen und das Leben beeinflussen können. Die Kontrolle hat der Mensch hier nicht, oder nur begrenzt – und so stellt der Abschlussfilm der Trilogie eine wichtige Frage: Will man hier sein, an einem Ort, der den Menschen kontrolliert und nicht umgekehrt?

    Drei Filme, drei Perspektiven

    Während die Indikatoren für Leben in den Vorgängerfilmen noch deutlicher an die Oberfläche drangen, sind sie im Spatz zum Opfer gefallen. Es gibt keine auf den Boden liegenden Essensreste mehr wie im Kätzchen und auch sonst wirkt die Inszenierung im Spatz deutlich malerischer. Umringt von Natur und in Kombination mit warmen Farben und dem fast schon bäuerlichen wirkenden Essen hat es fast etwas Toskanisches. Nachdem sich in Teil eins und zwei eine Lesung im Kontext der Urbanisierung darbot, wird die Trilogie nun durch das Motiv der Suburbanisierung an dieser Stelle ergänzt. Mit den drei Zugängen – im Kätzchen ist die Wohnung ein Ort von Bewegung, in der Spinne ein Ort der Möglichkeiten und im Spatz ein Ort symbolischer Vereinnahmung – entsteht eine Rahmung, in der Poesie und Lebensnähe vereint werden.

    Destruktivität

    Elemente wie ein nahegelegener Bach, ein Haufen an Holzscheite (was darauf schließen lässt, dass irgendwo auch eine Axt herumsteht) und die leicht entlegene Lage des Hauses, wecken darüber hinaus auch Erinnerungen an das Horrorgenre. Während diese Lesung in den früheren Tier-Kapiteln kaum vernehmbar war, wird es hier umso prickelnder, fast schon schaurig. Subtile Passiv-Aggressivität aus dem zweiten Teil ist ebenfalls Schnee von gestern. Stattdessen kommt es zum Zusammenstoß menschlicher Fragilität, inklusive der pubertären Aggressionsphase und tiefen Traumata in der Mutter. Der von dem kanadischen Philosophen Eckhart Tolle geprägte Begriff des Schmerzkörpers kommt auf: Jeder aus der Familie trägt in irgendeiner Form psychischen Ballast mit sich herum. Nicht selten kommt die heikle Frage auf: Welche Figur wird als Erste dem Wahnsinn verfallen?

    Radikale Merkmale, die für die Zürchers sonst untypisch sind, werden auf diese Weise zur inhärenten Eigenschaft. Es führt nicht nur zu maximaler Unbehaglichkeit, sondern auch zu gelegentlicher Verstörung, womit sich die Brüder ein Stück weit selbst neu erfinden. Menschliches Theater wird gespielt, welches im Laufe der Geschichte mit transzendenten Tendenzen ausgestattet wird. Es ergibt sich eine sehr gelungene Fokusverlagerung im größeren Kontext. Am Anfang der Trilogie dominierten noch realistische Züge. Bei der Spinne kamen surrealistische Züge hinzu, die im Spatz wiederum bis zum Maximum ausgelotet werden. Die Moral von der Geschicht: Dunkler wird‘s, schöner nicht.

    Das Ende einer Ära

    Ein Dénouement haben die Zürchers am Ende ihrer Geschichten nicht nötig, im Gegenteil. Jeder einzelne Film der Tier-Trilogie endet mit dem menschlichen Gesicht, in dessen Gestik viel schlummert, und einem offenen Ende. Zwar lässt sich herauslesen, dass sich im menschlichen Geiste etwas gewandelt hat, einer Auflösung oder gar Psychologisierung wird sich jedoch strengstens verweigert. Diese Aspekte, zusammen mit der symbolischen Aufbruchsstimmung als Schlüsselmotiv der Romantik, verleihen der Geschichte einen Hauch von Magie. Während Menschen kamen und gingen (erneut muss „Voyage, Voyage“ als Titelmelodie des zweiten Teils gelobt werden), fiel im Spatz abschließend eine besinnliche Phrase, so beiläufig wie man es sich nur vorstellen kann: „Eine Welt ohne Menschen, das wäre mein Paradies“.

    Muss die Verbindung zum Begriff „Inselparadies“, erwähnt im Text zum zweiten Film, überdenkt werden? Und abschließend: Ging es in der Trilogie also jemals um das menschliche Zusammenleben und nicht viel mehr um das menschliche Auseinanderleben? So oder so, viel gibt es, was sich weiterführend über diese Filmperlen sagen lässt. Die Tier-Trilogie der Zürchers ist in ihrer Gesamtheit einzigartig und zeigt wie deutsches Kino aussehen kann. Selten hat man so tangierende Narrativen, so knisternde Bilder, so simple und doch magische Inszenierungen gesehen.
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    10.08.2024
    14:00 Uhr