✝  Im Gedenken an die Opfer des Amoklaufs in Graz  ✝
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    Am Gipfel der hohlen Phrasen

    Politik ist in erster Linie eines: Zugang zu Macht. Hat man sich diese mal für eine Legislaturperiode gesichert, gibt es die Wahl zwischen dem Agieren fürs Allgemeinwohl, um die Lebenssituation derer zu verbessern, für die man sich verantwortlich zeichnet. Und der Verfolgung ganz persönlicher Agenden zur Umsetzung idealistischer und völlig am Begehren des Volkes vorbeigehender Ziele. Es gibt noch eine dritte Möglichkeit: Die Bereicherung an Wohlstand und Ansehen, sonst nichts. Welchen Weg wohl diese sieben Kapazunder gewählt haben, die anlässlich eines G7-Gipfels im deutschen Dankerode zusammengekommen sind? Vielleicht sind sie ja auch nur des Regierens müde geworden. Und haben sich frei nach dem Peter-Prinzip so sehr an die oberste Kante gelebter Menschheitsgeschichte gepusht, dass sie, angekommen am Ende der Nahrungskette, ihr Politprogramm längst ausgehöhlt haben.

    Die lieben Sieben sind: Deutschlands Kanzlerin Hilda Ortmann, in welcher Cate Blanchett wohl weniger eine Reminiszenz an Angela Merkel sieht als vielmehr die ganz offensichtliche parodistische Verzerrung einer Ursula van der Leyen. Die britische, reicht eifrige Premierministerin Cardosa Dewinth (Nikki Amuka-Bird), der viel zu alte amerikanische Präsident Edison Wolcott (Charles Dance), dauermüde, neben der Spur und ganz klar Joe Biden imitierend, der sich beim letzten Schlagabtausch mit Donald Trump im Fernsehen ähnlich präsentiert hat. Wer sich hier noch eingefunden hat: Der italienische Premier, ein Schnorrer unter dem Herrn. Der französische Präsident (Denis Ménochet), der über Sonnenuhren philosophieren wird. Und Japans Polit-Oberhaupt als die farbloseste Gestalt in diesem tolldreisten Reigen der Phrasendrescher, die sich im Rahmen eines gemeinsamen Abendessens einer globalen Krise stellen müssen. Welcher Natur diese sein mag, darüber lässt sich nur mutmaßen. Doch vielleicht hat sie mit den Moorleichen zu tun, die in der Nähe des Anwesens gefunden wurden. Vielleicht ist bereits jetzt schon das Ende der Menschheit nahe. So genau weiß man das nicht. So genau wissen es nicht mal die G7, denn was sie auszeichnet, ist ihre erschreckende Inkompetenz darin, konstruktive Strategien zu erarbeiten. Ehrlich: Wer will das schon an einem lauen, alkoholreichen Abend mit gutem Essen? Wer will das schon, wenn die amourösen Sorgen des labilen, kanadischen Premierministers viel interessanter scheinen? Der wird schließlich verkörpert von Roy Dupuis. Mit langer grauer Mähne und dem Auftreten als Frauenheld und Schwerenöter, stets an der Kippe zur romantisch motivierten Weinerlichkeit, lenkt er die liebevoll-sarkastische Weltuntergangs-Satire Rumours in eine Richtung, die schon Stanley Kubrick mit Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben eingeschlagen hat. In dieser Nacht der lebenden Toten oder der zum Tode verurteilten Lebenden ist die Symphonie der leeren Worte das Requiem auf einen kolportierten Fortschritt, der nur so tut, als ob er die Dauerprobleme der Menschheit in den Griff bekommt.

    Das Regie-Trio Guy Maddin (bislang wohl eher bekannt für experimentelles Kino wie The Green Fog) sowie Evan und Galen Johnson haben eine diebische Freude daran, den Mächtigen dieser Welt Grips und Wort zu stehlen. Oder aber: die Politik dahinter als das zu entlarven, was sie stets zu sein scheint: Die Liebesmühe pflichtbewusst verfasster Schulaufgaben unwilliger Unterstufler.

    Doch das Wortspiel, die privaten Befindlichkeiten, das Geplänkel allein – das alles reicht nicht. Rumours lässt die Oberen durch den deutschen Wald irren, lässt sie Hirn finden und Alicia Vikander, die nur schwedisch spricht. Das Ensemble der Sieben wird dabei zusehends entindividualisiert und zum Sinnbild ihrer Staaten, die sie vertreten. Immer abstrakter wird das Spiel, zur satirischen Karikatur eines Landes mit all seinen Klischees werden Blanchett, Charles Dance und Co. Diese Klischees aber haben einen erschreckend wahren Kern. Und wenn sich dieser ganz offenbart, ist es längst zu spät. Für sie und für uns alle.

    Ein schneidend spaßiger Film ist Rumours geworden, das Endzeitabenteuer der Wichtigen, die ihre Prioritäten nicht mehr erkennen, mit Hang zum Genre des Phantastischen.



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    03.11.2024
    17:34 Uhr
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    Der witzigste und surrealste Trip aus dem Leben von Spitzenpolitikern

    Exklusiv für Uncut aus Cannes 2024
    In „Rumours“, der auf den diesjährigen Filmfestspielen außer Konkurrenz gezeigt wird, geht es der politischen Elite der G7-Staaten an den Kragen. Statt platte Politikverdrossenheit ins Kino zu bringen, bestimmt Zynismus das Geschehen. Der geplante Abend, an dem die sieben Politiker Lösungsstrategien ausarbeiten wollen, um eine globale Krise abzuwenden, mündet schnell in einem chaotischen wie surrealen Trip quer durch die schwarzen Wälder, in denen sich die Gruppe leicht verirrt.

    Darum geht’s: Die Anführer der G7-Staaten treffen sich im deutschen Dankerode. Cate Blanchett (Deutschland), Denis Ménochet (Frankreich), Nikki Amuka-Bird (Großbritannien), Charles Dance (Amerika), Takehiro Hira (Japan) und Rolando Ravello (Italien) sollen Lösungsansätze für die drängenden Probleme unserer Zeit erarbeiten und eine vorläufige Erklärung dazu abgeben. Als plötzlich das gesamte Personal verschwindet, sind die Spitzenpolitiker auf sich allein gestellt und der Abend verläuft völlig anders als geplant. Dunkle Wesen im Wald verstärken zusätzlich die ohnehin schon verängstigte Stimmung.

    Zynische Politikverdrossenheit im Kino

    Filme, in denen Politiker mal zynisch, mal lächerlich durch den Dreck gezogen werden, sind beileibe keine neue Erfindung, „Idiocracy“ oder auch „Der Diktator“ kommen direkt in Erinnerung. Nicht selten bleibt es aber meist bei einer recht stumpfen oder humoristisch platten Auseinandersetzung, intelligente Produktionen sind da schon rarer. „Rumours“, der nicht nur einen, sondern direkt sieben Politiker aufs Korn nimmt, gibt sich die erste Zeit jedoch alle Mühe, um nicht der Plattheit zu verfallen. Die Figuren, angefangen von Cate Blanchett als Repräsentantin aus Deutschland, es muss wohl nicht dazugesagt werden, an wen diese Figur angelehnt ist, vereinen zwar genug Stereotype, aber zumindest auch einen kleinen Grad an Professionalität. In Gruppen aufgeteilt, folgt die Erarbeitung pragmatischer Lösungen, um die Welt ein Stück besser zu machen. Die Hausaufgaben wurden dabei nur bedingt gemacht, doch wer könnte es ihnen verübeln, schließlich ist die Herausforderung, das ganze globale System in seiner Komplexität zu ergründen, alles andere als einfach. Mit Schlagworten wird dann gearbeitet, um den kleinen Bürgern etwas Hoffnung in Aussicht zu stellen - die Zynik in Hinblick auf die reale Welt ist kaum zu übertreffen.

    G7, die Bilderberg-Konferenz und weitere politische Zusammenkünfte, sorgen nicht selten für viel Spekulationen. Tendenzen zu Verschwörungstheorien sind stets immanent, es mag wohl auch an schnittigen Zitaten liegen, die in vielen Köpfen nachhallen. Nur um ein Beispiel zu nennen: „Some men just want to watch the world burn.“ Doch lasst euch nicht täuschen: Es handelt sich nicht um einen politisch hochaufgeladenen Spruch, sondern „nur“ um ein Zitat aus „The Dark Knight“. Hollywood hat einfach einen guten ideologischen Job gemacht. Die Akteure in „Rumours“ bekommen dagegen schon deutlich mehr realistisches Profil, keiner will hier die Welt in Flammen sehen und wenn dies doch passiert, dann war es nur ein Unfall. Immer wieder sorgen solche Momente für jede Menge Gelächter, besonders auch dann, wenn menschliche Bedürfnisse befriedigt werden wollen.

    Wie könnte es für eine Produktion aus 2023/2024 anders aussehen, werden natürlich auch Themen wie Künstliche Intelligenz aufgegriffen. Das ist zwar wiederum recht platt gehalten und hätte in Hinblick auf das humoristische Potential noch mehr Fingerspitzengefühl erfordert. „Rumours“ hat demnach immer mal kleine Problemchen, das Level an Spitzfindigkeit auf einem stabilen Level zu halten. Stattdessen schlängelt sich die Narrative wie die Politiker im schwarzen Wald umher, bis sie hin und da vom Pfad abkommt. Nachdem surreale Nebenquests überwunden werden, kommt die Gruppe jedoch an ihrem Ziel an. Die Zynik, mit der gelungene Seitenhiebe gegen unfähige, träge und infantile Politiker ausgeteilt wird, kann sich jedoch echt sehen lassen.
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    23.05.2024
    14:59 Uhr