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    Der Urheber als Melkkuh

    Was ist das beste Beispiel für einen Millionenbestseller, um den sich der ganze Erdball einen sprichwörtlichen „Haxen“ ausreißt, um vielleicht an einen Leak zu kommen? Natürlich Harry Potter. So eine Exklusiv-Challenge hat sogar Eingang in den Film Der Teufel trägt Prada gefunden. Was für Sicherheitsvorkehrungen bezüglich der Übersetzung in – so mutmaße ich – fast alle Sprachen der Welt (bis vielleicht auf den Buschmann-Dialekt) es da gegeben haben muss. Vielleicht sogar solche, die jenen im vorliegenden Film Das Rätsel vielleicht nahekommen. Oder waren da vermutlich unterschriebene Verträge mit zahlreichen Klauseln alleine schon genug, um illegale Previews zu unterbinden?

    In diesem Literatur- oder Belletristik-Thriller reicht kein Papierkram, um die Angst des Verlegers zu stillen. Dieser, dargestellt von einem mit eiskaltem Pragmatismus ausgestatteten Lambert Wilson, sperrt seine Übersetzer aus Ländern mit dem prognostizierten größten Umsatz an Buchverkäufen in den Keller seines Anwesens. Er will den dritten Band der Trilogie Daedalus weltweit und zeitgleich auf den Markt werfen, daher müssen neun Übersetzerinnen und Übersetzer in penibel abgestimmten Arbeitsschritten bis zu einem Stichtag ihre Sprachversionen fertigstellen. Insgesamt soll diese Schaffensphase zwei Monate dauern – jede (elektronische) Verbindung mit der Außenwelt wird unterbunden, damit auch keiner der Anwesenden in Versuchung kommt, auch nur irgendeine Zeile aus dem Bunker zu schmuggeln. Verleger Eric Angstrom muss hier bereits schlechte Erfahrungen gemacht haben. Oder aber die Gier nach Umsatz ist ihm längst zu Kopf gestiegen. Trotz dieser extremen Vorsichtsmaßnahmen wird der Albtraum Realität: Ein anonymer Erpresser veröffentlicht die ersten zehn Seiten im Internet und droht mit den nächsten hundert Seiten, würden nicht beachtliche Geldbeträge den Besitzer wechseln. Angstrom stellt sein Ensemble zur Rede, will die Wahrheit gar erzwingen. Der Fall ist knifflig, und mutet an wie ein perfekt einstudierter Zaubertrick. Denn es scheint unmöglich, das so etwas hat passieren können.

    Genauso unmöglich wie sämtliche Mordfälle aus der Feder Agatha Christies. Nur hier wird das Verbrechen nicht an einer Person, sondern an einem urheberrechtlich geschützten Werk begangen. Und an den Rechten, die Angstroms Verlag womöglich erlangt hat – oder auch nicht. Der Autor selbst nämlich hält sich bedeckt. Niemand kennt seine Identität, er arbeitet mit einem Pseudonym, was die verzwickte Situation noch erschwert. Das Publikum kann also im Laufe des recht eleganten Whodunit-Krimis Überlegungen anstellen und den Profiler geben, wenn die neun grundverschiedenen Charaktere ihren knapp gefassten Steckbrief an den Laptop heften. Das ist routiniertes Kino, aber insofern etwas anderes, da es keinen Mordfall und folglich auch keinen Mörder gibt. Régis Roinsard, der im Sommer letzten Jahres mit dem bittersüßen Psychodrama Warten auf Bojangles Virgine Efira zu Höchstleistungen antrieb, legt nun seine bereits vier Jahre alte Urheber-Moritat nach, dessen verspätete Erscheinung wohl kaum nur der Pandemie geschuldet sein kann, sonst wäre der andere Film genauso ein Nachzügler. Doch vielleicht ist der Grund dafür einfach nur jener, Prioritäten gesetzt zu haben.

    Vom Film selbst mag man sich anfangs vielleicht etwas gelangweilt fühlen, da die Figuren, welche sich selbst als sehr interessant empfinden, viel zu kalkuliert erscheinen. Ihre charakterlichen Besonderheiten mögen etwas aufgesetzt wirken, und auch der dem Leak nachfolgende Psychokrieg will prickelnder und mitreißender sein, als er letztlich ist. Was aber nicht heißen soll, dass Das Rätsel eine vergebliche Investition von 105 Minuten sein muss. Eigentlich ganz im Gegenteil, und all die Defizite räumt Roinsard letztlich vom Tisch.

    Im letzten Drittel fügt dieser unerwartet geschickt so einige Story-Twists ein, die er schon am Anfang anteasert, von denen man aber nicht allzu viel erhofft. Sein Film ist dann kein Mysterykrimi von der Stange mehr, sondern eine Konfrontation des Urhebers mit seinem Nutznießer. Der Verlag wird zur parasitären Institution, zum blutsaugenden Zeck, der das geistige Eigentum an sich reißen möchte. Der Urheber wird zum Verfechter eben jenes abstrakten, unantastbaren Guts, das im Zeitalter der KI kurz davorsteht, aufgeweicht und hinterfragt zu werden, bis die Idee des Einzelnen dem Kapitalismus mit Haut und Haaren zum Opfer fällt. Dafür findet Das Rätsel am Ende nicht nur geistreiche Worte, sondern auch spannende Bilder, die die Frage, wie sich Erfolg definieren soll, auf eine zwar plakative, aber treffende und auch unmissverständliche Weise beantwortet.



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    05.06.2023
    17:39 Uhr