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    Orient made in Vienna

    Exklusiv für Uncut von der Diagonale
    Der Orientalismus, oder der vielumstrittene, meist verklärende, manchmal wenig schmeichelhafte Blick von West gen Ost, schlägt sich über Jahrhunderte hinweg immer wieder in den verschiedensten Erscheinungsformen der Kunst nieder, und erobert spätestens mit Öffnung des Grabes von Tutanchamun im Jahre 1922 auch das noch junge Medium Film. Nicht wenige Hollywoodklassiker mit Orientbezug verewigten sich in der Ruhmeshalle und stehen synonym für die Kunstform: „Der Dieb von Bagdad“, „Casablanca“, „Lawrence von Arabien“, oder auch Disneys „Aladdin“ seien hier als nur einige genannt.

    Auch das deutschsprachige Kino reitet von Anbeginn auf der Welle mit. „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ wird zum Klassiker der Animationskunst, „Das Wachsfigurenkabinett“ zum frühen Vertreter der Horror-Anthologie. Im Jahre 1922 erwachsen dem Boden des Wienerbergs gar die Sündenstädte Sodom und Gomorrha, die kein geringerer als der spätere „Casablanca“-Regisseur Michael Curtiz in Szene setzt, aber das ist eine andere Geschichte.

    Springen wir lieber ins Jahr 1959, dem gleich zwei deutschsprachige Filme mit einem Amüsierbetrieb im Orient als Hauptort der Handlung entspringen. Im wahrscheinlich bekannteren der beiden muss Peter Alexander als musizierender Arabischlehrer beinahe „Salem Aleikum“ sagen, der wahrscheinlich interessantere aber entsendet Marisa Mell in „Das Nachtlokal zum Silbermond“. Zusammen mit vier anderen „Wiener Mädeln“ wird sie unter Versprechungen von der großen Showkarriere in das titelgebende Etablissement im nicht näher definierten „Nahen Osten“ gelockt. Was die aufstrebenden Showtalente nicht ahnen, das Publikum aber zehn Meilen gegen den Ostwind wittert, ist dass sie stattdessen in einem zwielichtigen Etablissement landen, das von skrupellosen Verbrechern geführt wird. Hier glaubt niemand an die Märchen aus 1001er Nacht, denn man ist im wahrsten Sinne des Wortes an nackten Tatsachen interessiert.

    Glück beweist ein glückliches Händchen für die Fusion zweier Welten, wenn er kurzerhand Orientalismus mit dem im Exploitationkino ebenfalls schon länger populären Sujet Mädchenhandel, respektive weiße Sklaverei verquickt. Ganz neu ist diese Fusion auch Anno 1959 freilich nicht, wo doch die Narrative rund um Harem & Co westliche Fantasien zu diesem Zeitpunkt bereits seit Jahrhunderten beflügeln. So finden sich folglich auch im Nachtlokal zum Silbermond erwartungsgemäß eine Reihe angestaubter Relikte aus der Klischeekiste wieder. Doch auch wenn das Werk für so manch aufgeklärten Geist der Jetztzeit eine breite Angriffsfläche bietet, ist es dann doch denkbar weit von bösen Absichten entfernt. Zum einen dient der exotische Schauplatz zuallererst als Platzhalter für eine pittoreske Kulisse dieses Sittenreißers des Herrn Glück, der bereits im Vorjahr den sehr ähnlich gelagerten „Gefährdete Mädchen“ realisierte und nun nach einer Variation des vertrauten Themas sucht. Gleich im Anschluss wird er mit dem programmatischen Titel „Mädchen für die Mambo Bar“ den dritten im Bunde vorstellen, womit das Nachtlokal praktisch zum zentralen Werk dieser inoffiziellen Trilogie wird und diesen Titel auch wacker verteidigt.
    Denn zum anderen zielt Glück nicht primär auf den Stereotyp des misogynen Orientalen ab, sondern markiert ganz klar gut betuchte, leicht betagte, vermeintliche Gentleman aus dem Westen als Hauptzielgruppe des anrüchigen Luxuslokals, dessen Räder ebendiese Klientel am Laufen hält. Darüber hinaus ist geballte Frauenpower nicht mit Marisa Mell und ihre Leidensgenossinnen vertreten, sondern auch auf Seite der Antagonisten mit der Figur Magali, ihres Zeichens Patronin der Bar, hochpräsent.

    Der Begriff „Exploitation“ ist gefallen und bleibt trotz alledem noch immer das treffendste Label für dieses Fundstück. Charakterisierungen bleiben oberflächlich, doch wie schön ist diese Oberfläche anzusehen! Auch wenn der gänzlich in Wien gedrehte Film ob dieses Fakts manchmal ungewollt zum Schmunzeln einlädt, sind ihm seine visuellen Qualitäten dennoch nicht abzuerkennen. Die Bauten des Bühnenbildners Felix Smetana, häufig beschäftigt beim wohl anerkanntesten Schmuddelfilmer Österreichs, Franz Antel, werden mit der souveränen Stilsicherheit deutscher Krimis eingefangen und versprühen in mancher Einstellung fast das Flair eines „Rick’s Café Americain“. Im Personenstab wiederum fällt der wohl treueste Antel-Kollaborateur Raoul Retzer auf, den er gerne einmal als Exot besetzte, und hier in seinem unverkennbaren Favoritner Dialekt den Haremswächter „Hakim“ geben darf.
    Natürlich ist es aber das Spiel der Mell, deren Casting für ebendiese Rolle in ebendiesem Film beinahe prophetisch anmutet, das ganze Aufmerksamkeit verdient und die Wahl in das ihr gewidmete Programm rechtfertigt. Anfangs noch gut in Anonymität des Ensembles behütet, kristallisiert sich die 20-jährige im Laufe der Handlung als mondänste, verführerischste und letztlich weiseste des Mädelstrupps heraus und überstrahlt ihre Kolleginnen gleich dem „Mond überm Bosporus“, um das ohrwurmverdächtige, prominent in die Handlung eingewobene Titellied zu zitieren.

    Wem das noch nicht an „redeeming qualities“ gereicht, möge das Werk als zeitgeschichtlich relevantes Dokument betrachten, das in einer Tradition des deutschsprachigen Nachkriegskinos steht, in der Erotik noch über den Umweg der Aufklärung über sittliche Missstände vorbeigeschummelt werden muss, während sich diese aus heutiger Sicht wahrscheinlich bestenfalls im Andeutungsbereich bewegt. Was dem biederen Publikum der Wirtschaftswunderära noch skandalös anmutet, wirkt im Zeitgeist der sexuellen Revolution keine 10 Jahre später bereits hoffnungslos altbacken. Es ist wohl jene zeitgeschichtlich ungünstige Verortung, die „Das Nachtlokal zum Silbermond“ weitgehend in Vergessenheit geraten lässt; eine Kostprobe ist dieser pikante Cocktail aus Film Noir, Edgar Wallace und Schlagerfilm aber allemal wert.

    In jedem Fall aber stellt der Film eine Sternstunde im Schaffen von Marisa Mell dar, die hier in ihrer ersten tragenden Filmrolle bereits alle Facetten ihres einzigartigen Charmes entfaltet und geradezu symbolisch den ersten Schritt in eine größere Welt tätigt.
    „Das Nachtlokal zum Silbermond“ ist im Rahmen des Diagonale Filmfestivals am 22.03.2023 um 23:00 Uhr im Rechbauerkino im Graz zu sehen, im Wiener Metro Kino Kulturhaus wird er am 30.03.2023 um 19:00 Uhr, sowie am 09.04.2023 um 18:00 Uhr gezeigt.
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    22.03.2023
    17:37 Uhr