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    Game of Phones

    Ein Brombeerfleck in Brusthöhe auf dem weißen Hemd, welches Mike Lazaridis während der Erstpräsentation zu seinem elektronischen Alleskönner getragen haben soll, dürfte der Grund dafür gewesen sein, warum das BlackBerry eben so hieß, wie es hieß. Und ich dekliniere bewusst in der Vergangenheit, denn das Ur-Smartphone aus den Neunzigern gibt es nicht mehr. Apple und Samsung haben es, wie Homo sapiens den Neandertaler, von der Bildfläche verdrängt. Irgendwann und irgendwo hat da wer seine Hausaufgaben nicht gemacht. Oder radikal verabsäumt, entsprechend vorauszublicken. Die Signale wären vermutlich erkennbar gewesen, der technologische Traum vom tastenlosen Wisch-Handy längst bereit, realisiert zu werden. Dabei war der Aufstieg der Firma Research in Motion ein Prozess wie aus dem Lehrbuch. Mit anderen Worten: Wie werde ich, als marginale Note in der Firmenwelt, zum expandierenden Ungeheuer?

    Diesem erschreckend früh ergrauten Mike Lazaridis, mittlerweile Kanzler der Universität von Waterloo, USA, blieb damals gar nichts anderes übrig, als einen Pakt mit dem Leibhaftigen einzugehen. Mit jemandem, der schon von Beginn an als hartgesottener Über-Leichen-Geher die Bühne des Business dominiert hat: Jim Balsillie. Als vom letzten Unternehmen geschasster, chauvinistischer Hardliner und Unsympathen kann er allerdings den Willen zum Erfolg in den Augen eines Haufen Nerds ablesen – und nutzt diese Bereitschaft auch, um sich in ein gemachtes Nest zu setzen. Eines, in dem bereits ein dickes, fettes Ei liegt. Aus diesem soll ein kleines, elektronisches Wunderding schlüpfen, besser bekannt als eierlegende Wollmilchsau. Nicht nur ein Pager soll es sein – nein. Ein Telefon, verbunden mit dem Internet, mit E-Mail-Funktion, Browser und was weiß ich noch allem. Im Grunde mit allen Gadgets, die wir gegenwärtig an unserem kleinen süchtig machenden Smartphone so sehr lieben. Nur das mit dem BlackBerry, das war einige Zeit früher. Da waren Tasten noch Tasten, bevor Steve Jobs kam und die Welt veränderte.

    Matt Johnsons Film, basierend auf dem journalistischen Sachbuch von Jacquie McNish und Sean Silcoff, hatte seine Premiere bei der diesjährigen Berlinale und fand auch seinen Platz im Programm der Viennale. Er ist eine dieser True Story-Businesskomödien, die hinter trockenen Analysen des Marktwertes und Überstunden-Marketing schier unglaubliche Geschichten hervorholen. Absolutes Highlight dieses Subgenres war bislang Tetris – mehr als nur eine Produkt-Genese, fast schon ein Spionagethriller. Air, die launige Komödie über Nikes Wunderschuh, war mit Ben Affleck und Matt Damon so richtig gut besetzt. Und nun das: BlackBerry mit Jay Baruchel in seiner bislang gewichtigsten Rolle und einem Schauspielpartner an seiner Seite, der das Unikum eines cholerischen Großkotz-CEOs mit Liebe zum Detail verkörpert. Ähnlich wie Christoph Maria Herbst als Stromberg, nur ohne polemischen Humor, dafür herablassend genug, um als Schrecken eines Wirtschaftswunders durchzugehen. Ein Oscar für Glenn Howerton wäre somit überlegenswert. Der harte und der Zarte ackern sich also durch eine Erfolgsstory, die irgendwann ihren Peak erreicht haben wird. Bei so viel Licht fällt bald der erste Schatten.

    Es ist faszinierend, wie die Mechanismen eines Unternehmens funktionieren und auch wieder nicht. Was für Opfer gebracht werden müssen, um den Kopf über Wasser halten zu können. Matt Johnson, der den Popkultur-Idealisten Doug, gleichsam den besten Freund von Mike Lazaridis, gibt, liefert das verständlich formulierte Paradebeispiel eines Prozesses ab, ähnlich dem Lebenszyklus eines Schmetterlings (ich will nicht sagen Eintagsfliege). Von der Idee über die Umsetzung bis zum Verrat an den eigenen Idealen: Es ist alles drin. Alle Elemente, die freigesetzt werden, wenn das kleine Universum einer Firma expandiert, die fokussiert auf ein Produkt setzt. Ein Periodensystem, entstanden aus einer Chronik über Aufstieg und Zerfall. Wie diese Substanzen miteinander reagieren, das ist fast so was wie Wirtschafts-Chemie.


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    30.11.2023
    07:17 Uhr
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    Ein Handy verändert die Welt

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2023
    Ein Minicomputer, der sich in der Hosentasche tragen lässt und einen binnen Sekunden in die endlosen Weiten des World Wide Webs befördert: was einst wie eine Schnapsidee geklungen haben muss, ist seit letztem Jahrzehnt ein nicht wegzudenkender Teil unser aller Alltag. Die Erfindung des Smartphones hat die Menschheit im Sturm erobert – und zehrt seither als Sinnbild digitaler Reizüberflutung an der Aufmerksamkeitsspanne vieler. Bevor aber Apple, Android und Co. ihre bis heute erfolgreichen Modelle präsentierten, war es eine unscheinbare kanadische Firma, die dieses Monstrum technischer Innovation erst auf den Markt losließ: BlackBerry (damals noch mit Tastatur statt Touchpad). Doch so raketenhaft der Aufstieg des Handyherstellers auch gewesen sein mag, so spektakulär war auch sein Niedergang. Die Konkurrenz wurde zu groß, die Umsätze zu klein. Ein Stoff, der quasi prädestiniert für einen Kinofilm ist. Dieser Aufgabe hat sich der kanadische Indie-Regisseur Matt Johnson angenommen, der zuvor mit den Mockumentaries „The Dirties“ und „Operation Avalanche“ einen Namen für sich erarbeitet hatte.

    Das schlicht „BlackBerry“ betitelte Biopic zeichnet die wechselhafte Historie des Unternehmens nach. Es ist die Story einer Gruppe von simplen Nerds, deren futuristisches Spielzeug die Tech-Welt revolutionierte – und deren Moral letztlich durch die leeren Versprechen eines prototypischen Wallstreet-Hais korrumpiert wurde. Diese findet ihren Anfang im Jahr 1996, als IT-Ingenieur Mike Lazaradis (Jay Baruchel) die Idee entwickelt, Mobiltelefone internetfähig zu machen. Als Lazaradis und sein bester Freund Doug (Regisseur Johnson) ihre Vorstellung dem Geschäftsmann Jim Balsillie (Glenn Howerton) schildern, der von Beginn an keinen Hehl aus seinen geldgierigen Absichten macht, zeigt sich dieser anfangs wenig begeistert. Je mehr sich aber das Genie hinter Lazaradis‘ schrulliger Geek-Fassade offenbart, desto mehr beginnen die Dollar-Zeichen in Basilles Augen zu leuchten. Der jähzornige Unternehmer steigt mit den Nerds von nebenan ins Geschäft ein, der Rest ist Geschichte. Und zwar eine Geschichte, in der bald schon jegliche Skrupel links liegen gelassen werden.

    Johnson präsentiert den blitzartigen Aufstieg der Handymarke über eine äußert ansprechende audiovisuelle Aufmachung, die sich aus ästhetischen Gimmicks, flotten Schnitten und präzise verwendeter Hintergrundmusik zusammensetzt. Das Drehbuch besticht durch höchst amüsante, geschliffene Wortgefechte, die das Tempo auf Trab halten. Je näher der Film in der Timeline aber an den unvermeidbaren Zusammenbruch des digitalisierten Kartenhauses, das sich BlackBerry einst aufgebaut hatte, heranrückt, desto ernster wird der Ton. Der Wechsel zwischen leichtfüßiger Satire über eine Männerdomäne, die sozial unbeholfene Nerds über Nacht zu Millionären machte, hin zur Tragödie über Verrat, Versagen und Freundschaftsbruch gelingt dem Film mühelos. Neben der schnörkellosen Inszenierung und dem vergnüglichen Skript ist dies vor allem einer hervorragenden Besetzung zu verdanken. Die Entscheidung, primär für Comedy bekannte Akteure in den Hauptrollen zu casten, erweist sich als absoluter Geniestreich. Jay Baruchel, bekanntgeworden als Bestandteil der Apatow’schen Clique rund um Namen wie Seth Rogen oder Jonah Hill, verkörpert die Wandlung vom schüchternen Geek hin zum selbstbestimmten Tech-Revolutionär mit überzeugender Zurückhaltung. Ihm gegenüber steht das deutlich lautere Spiel von Glenn Howerton. Der mit der Erfolgssitcom „It’s Always Sunny in Philadelphia“ assoziierte Schauspieler überragt das Ensemble als halbglatziger, hinterhältiger Choleriker, dessen psychotische Präsenz deutliche Spuren im Arbeitsklima der Handyfirma hinterlässt. Eine einprägsame Darbietung, die dem Serienstar neue Türen in Hollywood öffnen wird.

    Nun könnte man der Filmbiografie vorwerfen, dass sie den Verlauf der Ereignisse etwas schablonenhaft abspielt – klare Vorbilder wie „Wall Street“ und „The Social Network“ lassen sich kaum von der Hand weisen. Letzen Endes bleibt „BlackBerry“ aber viel zu gut gemacht, um sich an der erwartbaren Dramaturgie zu stören. Eine brillant in Szene gesetzte, großartig gespielte und vor allen Dingen höchst unterhaltsame Nacherzählung einer kleinen, kanadischen Firma, deren Jahrtausenderfindung prompt vom nächsten großen Ding abgelöst wurde. Wer sich in der Welt der Tech-Giganten nicht stetig neuerfindet, verliert am Ende ja bekanntlich.
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    22.02.2023
    19:09 Uhr