Forum zu Kokomo City

1 Eintrag
1 Bewertung
70% Bewertung
  • Bewertung

    Klug, einfühlsam, intersektional

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2023
    Regisseurin D. Smith war in den 2000er Jahren in der US-amerikanischen Musikszene erfolgreich, produzierte unter anderem Songs für Lil Wayne und Katy Perry. Nach dem Beginn ihrer Transition zur Frau wurde sie dann jedoch von der Musikindustrie fallen gelassen, bekam kaum noch Angebote und war obdachlos, als sie die Arbeit an ihrem Debütfilm „Kokomo City“ begann. Auf der Berlinale mit dem Panorama Publikumspreis ausgezeichnet, diskutiert der Film einige der Schwierigkeiten, Probleme und Vorurteile, denen auch D. Smith selbst seit ihrem Coming Out ausgesetzt war.

    Die vier schwarzen Trans-Frauen Daniella Carter, Koko Da Doll, Liyah Mitchell und Dominique Silver berichten in abwechselnden, in schwarz-weiß gehaltenen Interviewsequenzen von ihren Erfahrungen und ihren Leben als Sexarbeiterinnen in New York, Georgia und Florida. Sie geben oft humorvoll Einblicke in prekäre Welten, die von Gefahr, Gewalt und Vorurteilen geprägt sind.

    Ihre Gedanken sind von D. Smith in schönen Schwarz-Weiß-Bildern eingefangen, die immer wieder durch poppige gelbe Texteinblendungen und Soundtrackeinsatz ergänzt werden. Hier kommt der musikalische Hintergrund der Regisseurin klar zum Vorschein, der ihrem Film eine sehr ansprechende Ästhetik verleiht. Nur gelegentlich wirken einzelne Nachstellungen des Erzählten etwas generisch. Was die vier Frauen erzählen, ist dafür umso interessanter, erhellender und lehrreicher. „Kokomo City“ lebt von seinen großartigen, charismatischen Protagonistinnen. Aus Berichten über ihre eigenen Lebenserfahrungen, Träume und Probleme abstrahieren sie klug und reflektiert auf gesamtgesellschaftliche Strukturen und eröffnen uns so Perspektiven, denen für gewöhnlich nicht genug Beachtung geschenkt wird.

    Einen Schwerpunkt von „Kokomo City“ bildet die Diskussion der Rolle von Trans-Frauen innerhalb schwarzer Communities. Die Protagonistinnen berichten nicht ohne eine gewisse Genugtuung von den zahllosen Rappern, die an ihnen und ihren Körpern interessiert sind. Alles heterosexuelle, ‚harte‘, ‚männliche‘ Typen, die eine Beziehung zu einer Trans-Frau niemals öffentlich zugeben würden, weil sie so gar nicht in ihr konstruiertes Image passt. Es ist ehrenwert, dass D. Smith dennoch versucht, ihre Perspektive in ihren Film einfließen zu lassen. Leider bleiben die Gedanken des Rappers und Songwriters Lø, der sich wohl als einer von wenigen nicht dafür schämt, Trans-Frauen attraktiv zu finden, unfassbar oberflächlich und uninteressant. In den Momenten, in denen er unreflektierte Plattitüden von sich gibt, wünscht man sich möglichst schnell wieder zurück zu den klugen, durchdachten Gedanken der Frauen.

    Eine der großen Stärken des Films ist, dass er zu keiner Sekunde den Verdacht aufkommen lässt, die Lebenssituation seiner Protagonistinnen zu glorifizieren. Klar, es geht eine gewisse Freude und Genugtuung damit einher, plötzlich ein kleines bisschen (Handlungs-)Macht aus Begehren der Männer ziehen zu können. Und auch sonst begegnen die vier Frauen der Welt, die gegen sie und ihre bloße Existenz ist, mit einer bewundernswerten Resilienz und Lebensfreude. Aber sie und Smiths Films sind sich jederzeit bewusst über die Gefahren, die ihre Rolle mit sich bringt. Da gibt es Erzählungen von Waffengewalt, die ebenso Teil des Berufs ist wie die Angst vor HIV-Infektionen. Die Frauen sind nicht aus Spaß Sexarbeiterinnen, sondern weil es die einzige Möglichkeit ist, an Geld zu kommen. Sie wollen raus, so bald wie möglich, und einfach ihr Leben leben.
    profilbild_6ef5680d5b.jpg
    30.04.2023
    23:12 Uhr