Forum zu Fair Play

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    Mann hat es – Frau auch

    Sie sind jung, sie sind ehrgeizig und aufstrebend, sie sind… von gestern. Zumindest einer der beiden, und zwar er, der ach so verständnisvolle Mann im Haus, genannt Luke. Als Analyst in einem Investmentunternehmen teilt er sich den Arbeitsplatz mit seiner Geliebten und alsbald Verlobten, der nicht minder karriereorientierten Emily. Noch ist alles eitel Wonne, beide sind beruflich auf Augenhöhe, beide müssen sich vom CEO Mr. Campbell (fies: Eddie Marsan), einem sardonischen Kapitalhai, der keinen Respekt vor Untergebenen hat, Beleidigungen jedweder Art gefallen lassen und dürfen ganz sicher nichts Privates mit in die Firma nehmen. Daher ist auch die Liaison der beiden streng geheim. Beide tun so, als wäre nichts. Daheim aber ist die Liebe am Lodern, die Leidenschaft ebenso, und die Männlichkeit drauf und dran, ins stereotype Heldenhafte zu wachsen, geht doch das Gerücht um, das Luke alsbald den Preis für seine Zielstrebigkeit kassieren wird: als neuer Portfoliomanager (was immer das auch ist) soll er den ins Off gekickten Vorgänger, der schon mal Nerven schmeißend die Elektronik seines Büros zertrümmert hat, bevor er gehen hat müssen, ersetzen.

    Normalerweise könnte man meinen: Natürlich bekommt der Mann den Zuschlag, wir leben schließlich und leider Gottes in einer diskriminierenden Welt. Doch es kommt anders. Emily gerät in den Fokus der Chefetage – nicht, weil Frauenquoten erfüllt werden müssen, sondern weil sie genau das leistet, was Campbell als vielversprechend für die Erfolgskurve seiner gnadenlosen Diktatur betrachtet. Und nun stellt sich die Frage: Ist Luke als Mann von Morgen bereits so weit in der neuen und gerechten Ordnung einer Gesellschaft angekommen, die akzeptiert, wenn das „schwache Geschlecht“ plötzlich mehr Macht und Geld hat als jenes angeblich starke, das immer noch glaubt, Frauen beschützen zu müssen?

    An diese Umkehrrechnung macht sich Langfilmdebütantin Chloe Domont heran, ohne auf Klammern, Plus- und Minuszeichen zu vergessen. Diese Gleichung geht auf, ihr selbst verfasstes Karrieredrama ist spannend und aufwühlend wie ein Thriller, bissig wie eine Satire und so beobachtend wie ein Psychodrama. Netflix holt sich Fair Play – ein Titel, der recht austauschbar anmutet, aber man sollte sich nicht davon abschrecken lassen – als eines seiner Highlights des diesjährigen Streaming-Jahres ins Programm. Wer hätte das gedacht, dass ein Werk, von dem man glauben hätte können, es wäre ein regressiver Schmachtfetzen mit Liebe, Intrigen und wilder Romantik im Stile der 50 Shades of Grey, letztendlich eine Schärfe an den Tag legt, die gesellschaftlichen Machtkämpfen wie Michael Crichtons Enthüllung längst das Wasser reichen kann. Prickelnde Erotik, erwartbares Hickhack im Rahmen eines zu erwartenden Rosenkrieges – ganz so einfach macht es sich Chloe Domont in ihrem selbst verfassten Skript zum Glück nicht.

    Dankenswerterweise darf Alden Ehrenreich, der junge und zu Unrecht verschmähte Han Solo, seinen normativen Gentleman raushängen lassen – verständnisvoll, scheinbar aufgeschlossen dafür, Paradigmenwechsel gutzuheißen und liberal bis dorthinaus, um seiner besseren Hälfte jenen Erfolg zu gönnen, den wohl er selbst gerne gehabt hätte. Zugegeben, das ist nicht leicht, die eigene Niederlage wegzustecken. Doch wo hört da die in Fleisch und Blut übergegangene Erziehung von vorgestern auf, als wir alle noch die alten und unfairen Rollenbilder gelehrt bekamen? Wo fängt die Loslösung davon eigentlich an? Und ist sie überhaupt schon im Gange? Oder sind das alles nur Lippenbekenntnisse? Dieser Analyse muss sich Ehrenreich stellen, während Phoebe Dynevor (bekannt aus Bridgerton) die neue Ordnung dankend annimmt, ohne dabei aber in einen ähnlichen Chauvinismus zu verfallen, wie ihn Männer manchmal haben. Dieses Ungleichgewicht und der stets scheiternde Versuch, berufliche Neuordnung nicht gleich als Entmannung anzusehen, machen Fair Play zu einer stets aufgeräumten und niemals allzu dreckigen, aber intelligenten Nabelschau, die, noch viel stärker oder zumindest gleich stark wie Greta Gerwigs Satire Barbie, gerade jene Versatzstücke seziert, die urbanes Mann-Sein öffentlich ausmacht. In der erbarmungslosen Welt des Geldes und des Erfolges, die keinerlei Werte kennt, außer den der Gewinnmarge, sind noble Vorsätze wie Fürze im Wind.

    Es tut fast körperlich weh, Ehrenreich bei seiner Entmannung zuzusehen. Erschreckend dabei ist: Nichts davon scheint so sehr überzeichnet, um lachhaft zu wirken. Die Verzweiflung, die masochistische Lust an der Erniedrigung, die eruptive Gewalt als letztes Machtinstrument, das einem Mann wohl bleibt: Selten war ein Film über das Ringen der Geschlechter so glasklar.



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    24.11.2023
    13:27 Uhr
  • Bewertung

    Viel Lärm um nichts

    Exklusiv für Uncut vom Sundance Film Festival
    „Fair Play“ ist eine Finanzthriller-Beziehungsgroteske von Chloe Domont und ihr erster Langfilm. Sie erzählt die Geschichte von Emily und Luke, zwei Karrieristen bei einem erfolgreichen Hedgefond-Unternehmen, die eine geheime Affäre miteinander haben und was passiert, als ein hochrangiger Mitarbeiter der Firma gefeuert wird und Emily dessen Job bekommt….

    Zunächst mal: Es gibt Filme, die haben ganz wunderbare Anfangsszenen. Diese Szenen sind so gut, dass man sich mit einem ungeheuer wohlwollenden Gefühl im Kinosessel zurücklehnt und sich auf alles weitere freut. Ein Beispiel wäre das grandiose Intro von „The Royal Tenenbaums“, in denen drei Jahrzehnte Familiengeschichte, unterlegt mit „Hey Jude“ von den Beatles, dem Publikum in ein paar bezaubernden Minuten nahegebracht werden. Oder Marcello Mastroianni in Fellinis „8 ½“, der einem Verkehrstau transzendiert. Genial auch der erste Dialog in „Reservoir Dogs“, wo richtig hartgesottene Profikiller, über die Lyrics von Madonnas „Like a Virgin“ philosophieren: singt sie über Liebe oder Sex? Es ist so gut.

    Damit kann „Fair Play“ nicht nur nicht mithalten, was verzeihlich wäre, die Eröffnungsszene ist aber leider nicht nur durchschnittlich, sondern richtig verunglückt. Emily (Phoebe Dynevor) und Luke (Alden Ehrenreich) sind nämlich auf einer Hochzeit eingeladen und widmen sich einander ausführlich in der Gästetoilette, als genau in diesem Moment Emilys Menstruation beginnt und sie Luke und ihr Kleid vollblutet. Ich habe mich schon bei Jeffrey Eugenides Roman „Die Korrekturen“ geärgert, dass er das Einsetzen der Menstruation einer Frau quasi als Massaker schildert, aber gut, er ist ein Mann; er hätte sich erkundigen können, hat er halt nicht. Aber bei „Fair Play“ führt eine Frau Regie. Wie kann sie das so inszenieren? Und warum muss Emily dann noch ein beiges Kleid tragen? Und wie kann man als Frau mit etwas Körpergefühl von durchaus regelmäßigen physiologischen Vorgängen so überrascht werden?

    Es bleiben leider nicht die einzigen Ungereimtheiten. Emily und Luke haben also als Arbeitskollegen eine Beziehung, wohnen sogar zusammen, aber in der Firma nimmt keiner Notiz davon; es ist schon etwas merkwürdig, dass die Kolleg*innen nie etwas von der Spannung spüren, die zwischen ihnen herrscht – schließlich ist es ein Büro, in dem 60 Stunden und mehr gearbeitet wird, aber soll sein. Dass aber niemandem aus der HR-Abteilung auffällt, dass die beiden rein zufällig die gleiche Wohnadresse haben, ist doch sehr sonderbar. Noch bemerkenswerter ist allerdings das Gerede über Luke, als der Vorgesetzte gefeuert wird: Luke, so munkeln die Kollegen, wird der Nachfolger werden. Wie kann so ein Gerücht zustande kommen, wenn Emily, die schließlich befördert wird, direkt im Anschluss von ihren Chefs erfährt, wie unzufrieden alle mit Lukes Arbeit sind und, dass sie hoffen, dass er von selbst die Firma verlässt und das lieber heute als morgen.

    Alles weitere, das in diesem Film noch passiert, ist ähnlich unplausibel, gewollt und auch wenig authentisch. Niemals spürt man, was Emily und Luke verbindet, ihre Beziehung erschließt sich dem Zuseher nicht und auch Lukes Eifersucht auf ihren Erfolg, der seinen Misserfolg bedeutet, ist so generisch, dass kein Erkenntnisgewinn aus feministischer Perspektive geortet werden kann. Die Welt des Hedgefonds-Managements wurde ebenfalls aus eher beliebigen Versatzstücken der Investmentbranche gezimmert: Mächtige weiße Männer, viel Alkohol, Sexismus, cholerische Anfälle bei Kurseinbruch und so weiter. Phoebe Dynevor kämpft zumindest vorbildlich mit den Stereotypen ihrer Rolle und den sperrigen Dialogen, während man Alden Ehrenreich den Luke nicht einmal im Ansatz abkauft.

    Je länger der Film dauert, umso anstrengender wird er. Und alles mündet schließlich in einem an verstörender Skurrilität kaum zu überbietendem Finale. Allerdings sind dem Zuseher zu diesem Zeitpunkt die Protagonist*innen und ihr Schicksal schon längst egal geworden. Ein Hochglanz-Fiasko.
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    04.02.2023
    20:30 Uhr