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    Die Schwachen beschützen

    Wenn die eigene Familie genug Stoff für gleich mehrere Filme hergibt, dann kann es sich hierbei nur um den Österreicher Adrian Goiginger handeln, der mit seinem Regiedebüt Die beste aller Welten völlig zu Recht sämtliches Kritikerlob für sich beanspruchen durfte. Und nicht nur Journalisten vom Fach fanden da Gefallen: Auch das Publikum hat sich vom dicht erzählten Mutter-Sohn-Drama, in welchem es um Drogen, Abhängigkeit und Verantwortung ging, so ziemlich vereinnahmen lassen. Diesem grandios aufgespielten Sog in einen sozialen Mikrokosmos hinein konnte sich keiner so recht entziehen.

    Die Urheimat seines familiären Ursprungs, nämlich das westliche Salzburgerland, wurde letztes Jahr erstmals zum Schauplatz einer Literaturverfilmung, die niemand geringerer als Felix Mitterer schrieb: Märzengrund, die Geschichte eines Aussteigers, der sich in die Isolation der Alpen zurückzieht, auch aufgrund einer unglücklichen Liebe und der Lust am Ausbruch aus einem starren Konformismus. Dabei blieb Terrence Malick als inszenatorisches Vorbild schon mal nicht ganz unbemerkt. Satte Bilder vom Landleben, meist in Weitwinkel und ganz nah am Geschehen – Naturalismus pur, inmitten dieser schmerzlich-schönen Idylle Johannes Krisch. Das Jahr darauf hält gleich den nächsten Film Goigingers parat: Der Fuchs. Und diesmal ist es kein Literat, der die Vorlage liefert, sondern der eigene Urgroßvater Franz Streitberger. Welch ein Glück, dass Goiginger Zeit seines Lebens die Möglichkeit gehabt hat, Erzählungen aus dem Zweiten Weltkrieg aus erster Hand zu erfahren. Die meisten, die das Ende der Welt am Kriegsschauplatz Europa erlebt hatten – und da schließe ich meine eigenen Großeltern mit ein – konnten und wollten nicht viel darüber berichten, was Ihnen widerfahren war. Womöglich würde es einem selbst nicht anders gehen. Doch in manchen Fällen saß die Zunge lockerer als das versteinerte Trauma in den Köpfen – und so hat dieser Franz Streitberger vieles preisgegeben. Vielleicht war dieser Umstand einem ganz besonderen Wesen geschuldet, eben dem titelgebenden Waldtier, das, als hilfloser Welpe mit gebrochener Pfote, in Motorradkurier Franz seine Bestimmung fand.

    Wie es dazu kam? In der Antwort auf diese Frage setzt Goiginger bereits in den Zwanzigerjahren an, an einem Hof irgendwo im Pinzgau, bewohnt von einer bitterarmen Großfamilie, die längst nicht mehr alle Mäuler stopfen kann, die da im Herrgottswinkel um den Tisch sitzen. So wird Franz im Volksschulalter an einen Großbauern verkauft – ein prägendes Erlebnis für ein Kind, dass seine Zukunft als Erwachsener immer danach richten wird müssen. Zehn Jahre später ist aus diesem Buben, für den eine ganze Welt zusammenbrach, ein wortkarger und introvertierter junger Mann geworden, der in der Wehrmacht sein Glück zu finden hofft. Und dann, als der Krieg losbricht, sitzt im Beiwagen des Motorradkuriers ein Tier, das ungefähr so viel Schutz benötigt wie Franz in jungen Jahren wohl auch verdient hätte. Diesmal aber will dieser jene Verantwortung zeigen, die seine eigenen Eltern nicht wahrnehmen konnten.

    Die Bewältigung einer enormen Kränkung ist Thema eines modernen, aber doch retrospektiven Heimatfilms, der die Elemente aus dem Genre eines schonenden Kriegsfilms mit nostalgischem Pathos verknüpft. Simon Morzé (u. a. Der Trafikant) gibt den in sich gekehrten jungen Mann in keinem Moment so, als hätte er diese Schmach aus seiner Kindheit nie erlebt. Sein psychosozialer Steckbrief, sein ungelenkes Verhalten lässt sich in aller Klarheit auf das Erlebte zurückführen – das Psychogramm des Urgroßvaters ist Goiginger wunderbar gelungen. Die Sache mit dem verwaisten Jungtier ist natürlich ein besonderes Erlebnis, doch nur ein Symptom für eben diese ganz andere Geschichte am Hof der Eltern. Der Fuchs gerät zur inneren Wiedergutmachung oder zur Probe aufs Exempel, ob es überhaupt möglich sein kann, angesichts quälender und entbehrungsreicher Umstände die Obhut schutzbedürftigen Lebens gewährleisten zu können. An dieser Prüfung wird sich Franz abmühen und immer wieder knapp scheitern. Wie schwer es ist, Sorge zu tragen, bringt das sehr persönliche Historiendrama auf den Punkt, natürlich wieder in filmtechnischer Perfektion wie schon in Märzengrund. Die Kamera unter Yoshi Heimrath und Paul Sprinz findet formschönen Zugang zur pittoresken Landschaft Österreichs und der niemals prätentiösen Darstellung historischen ländlichen Lebens. Die Szene, in der die Familie des Abends ums Herdfeuer sitzt, und Karl Markovics (wieder mal genial als vom harten Bauernleben Gezeichneter) ein altes Volkslied anstimmt, gehört zu den besten des Films. Selten war Heimatfilm so intensiv.

    Unter dem Aspekt des Kriegsfilms verliert Goiginger dann etwas seine Stärken. Obwohl mit reichlich Aufwand ausgestattet und professionell inszeniert, genießt Goigingers Stil hier eine Art nüchterne Auszeit vom Naturalismus. Die Szenen wirken routiniert, die Romanze in Frankreich etwas bemüht, wenn nicht gar arg oberflächlich. Doch sie ist nun mal Teil der Erlebnisse – und da hier vieles, was Urgroßvater Streitberger erzählt hat, zusammenkommt, ist auch Der Fuchs nicht mehr so aus einem Guss. Das Kernstück aber – das unausgesprochene Leid zwischen Vater und Sohn, symbolisiert durch eine Fabel vom Fuchs und dem Soldaten – findet trotz manchmal etwas überhöhtem Tränendrüsen-Score, der aber seine Wirkung nicht verfehlt, zu einer rührenden, kleinen Vollkommenheit.

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    19.01.2023
    14:48 Uhr
  • Bewertung

    The Fox

    DER FUCHS erzählt die fast väterliche Beziehung eines jungen Soldaten zu einem Fuchswelpen in den Zeiten des Wahnsinns im zweiten Weltkrieg. Dabei verarbeitet Jungregisseur Adrian Goiginger die wahren Erlebnisse seines Urgroßvaters, der sehr darunter gelitten hat, dass er als Kind an einen reichen Bauern gegeben wurde, da sein eigener Vater (grandios Karl Markovics) ihn aus Armut nicht ernähren konnte …
    Emotionaler Höhepunkt: “Es tuat ma lad”!
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    13.01.2023
    09:15 Uhr
  • Bewertung

    Ein Zeichen der Unschuld zwischen Terror und Krieg

    Exklusiv für Uncut
    Im Alter von gerade mal 26 Jahren gelang dem gebürtigen Salzburger Adrian Goiginger 2017 eine wahre Sensation im gediegenen Austro-Kino. Mit dem Drama „Die Beste aller Welten“ erzählte er seine eigene Kindheitsgeschichte mit einer heroinsüchtigen Mutter nach. Eine Geschichte, in der trotz innerer Dämonen die mütterliche Liebe die Oberhand behält: ganz ohne moralische Zeigefinger, dafür einer ans Herz angehenden Mischung aus roher Milieustudie und entzückender Märchenparabel aus den Augen eines Kindes. Der Film fand allerorts Anklang, selbst Kritik und Publikum schienen gleichermaßen begeistert. Es schien, als wäre ein neuer Stern am österreichischen Regiehimmel aufgegangen. Goigingers Folgefilm, der im letzten Sommer erschiene und auf einem gleichnamigen Theaterstück von Felix Mitterer basierende Aussteigerfilm „Märzengrund“ blieb aber in vielerlei Augen hinter den Erwartungen zurück. Kam das ganze Lob etwa zu voreilig? Gewiss nicht: mit seiner dritten Regiearbeit beweist der heute 31-Jährige nämlich eindrücklich, dass er keineswegs eine Eintagsfliege ist.

    In „Der Fuchs“ widmet sich Goiginger erneut dem außergewöhnlichen Leben eines eigenen Familienmitglieds. Diesmal dreht er das Rad der Zeit aber noch eine Spur weiter zurück, im Zentrum der Geschichte steht nämlich sein Urgroßvater Franz Streitberger. Als Kind von einfachen Bergbauern aus dem Pinzgau wuchs Franz einst in ärmlichen Verhältnissen auf, bis er eines Tages ohne Ankündigung an einen wohlhabenderen Großbauern verkauft wurde. Ein traumatisierendes Schicksal für den Jungen, das unheilbare Wunden hinterlassen hat. Kaum hat er im Erwachsenenalter (Simon Morzé) seine Freiheit zurückerlangt, geht es für ihn gleich weiter zum Militär. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges irrt er als Soldat weiter vor sich hin, auf der Suche nach der eigenen Identität, geplagt von den Schatten der Vergangenheit. Doch dann findet der schüchterne junge Mann in den Wäldern Frankreichs plötzlich ein verletztes Fuchsjunges vor. Er hilft dem verwundeten Tier aus seiner Misere und nimmt es mit auf seine weiteren Reisen. Es entwickelt sich eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen dem emotional verwahrlosten Soldaten und dem pelzigen Vierbeiner. Seiner Vergangenheit kann er aber dennoch nicht gänzlich entrinnen.

    In diesem pazifistisch angehauchten Kriegsdrama wird die Verbundenheit zwischen Mensch und Tier zum symbolischen Ausdruck der Hoffnung in einer von Krieg, Verwüstung und Verzweiflung gezeichneten Welt. Konkret ist es eben die liebenswerte Beziehung zwischen Streitberger und seinem kleinen Fuchs, die das emotionale Kernstück bildet. Eine Freundschaft zu einem Fuchs hätte in falschen Händen in ein filmisches Desaster ausarten können, Goiginger verzichtet dankenswerterweise aber auf billige Computer- oder überteure Puppentricks. Stattdessen hat man den Drahtseilakt gewagt, mit einem echten, dressierten Wildtier zu drehen. Mission gelungen: das Tierchen ordnet sich mühelos in das trostlose Setting des Films und dürfte auch die Herzen des Publikums in Sturm erobern. Er ist erstaunlich wie viel rohe, aufrichtige Emotion der Film aus der Dynamik Mensch-Fuchs entziehen kann. Eine Aufgabe, die auf den Schultern von Hauptdarsteller Simon Moerzé lastet und dieser – in Kombination mit der inneren Zerrissenheit seiner Figur - mit bravouröser Beherrschung meistert.

    Abseits der herzerwärmenden Freundschaftsgeschichte im Kern hält der Film auch atemberaubende Schauwerte parat, die sich ästhetisch nicht einmal vor amerikanischen Vorbildern verstecken muss. Selten hat ein in Österreich produzierter Kriegsstreifen ein derart aufwändiges Produktionslevel vorweisen können, angefangen bei den Schlachtfeldern, über die detailreichen Dorfszenerien hin zu der imposant aufgenommenen Strandpromenade. Zumal das 4:3-Format der pittoresken Schönheit des Antikriegsfilms gerecht wird.

    Kritisieren ließe sich dagegen die ein oder andere Länge: so öffnet der Film beispielsweise einen romantischen Nebenhandlungsstrang, der sich wirr und etwas zu melodramatisch im Sand verläuft. Stichwort Melodrama: in manchen, wenngleich zum Glück wenigen Momenten will man zu bemüht auf die Tränendrücke der Zuschauer*innen drücken.

    Diese Kritikpunkte sind aber in ihrer Gesamtheit lediglich eine Randerscheinung. Mit „Der Fuchs“ zementiert sich Goiginger nämlich zweifelsfrei als eine der spannendsten Stimmen des gegenwärtigen österreichischen Kinos. Ein einfühlsam erzähltes Charakterdrama. Eine wehmütige Reflexion über verlorene Kindheit. Eine lebensbejahende Ode an ungewöhnliche Freundschaften.
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    11.01.2023
    20:38 Uhr