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    Rettet der blaue Käfer das DC-Universum?

    Exklusiv für Uncut
    Neuzugang bei DC: ein junger Mann möchte den filmischen Heldenkosmos samt strahlend blauer Rüstung aufmischen – und das ganze Erzähluniversum in eine frische Richtung treiben. „Blue Beetle“ nennt sich der aktuelle Hoffnungsträger, der für die Zukunft des Comic-Giganten wegweisend sein wird. Zumindest, so heißt es momentan, soll das Abenteuer des ersten lateinamerikanischen Superhelden die Renovierungsarbeiten der laut Fans geschädigten Marke in Gang setzen.

    Ein ordentliches Bündel also, das Jaime Reyes (Xolo Mariduēna) in seinem ersten Leinwandauftritt mit sich rumtragen muss. Eigentlich wollte der Jusabsolvent ja nur einen ordentlichen Job ergattern. Ein Vorstellungsgespräch beim Techgiganten Kord Industries schafft neue Hoffnung, möglicherweise meint es das Schicksal endlich gut mit ihm? Ehe er aber zu Wort kommen kann, wird Jaime bei Ankunft im sterilen Firmengebäude just eine Burgerschachtel in die Hand gedrückt. Die Anweisungen von Jennifer Kord (Bruna Marquezine), der Tochter des einstigen Firmenbegründers, sind simpel: die Schachtel darf unter keinen Umständen geöffnet werden! Der Neugierde halber wagt er dennoch einen Blick in die Mystery-Box. Was kann sich denn schon Weltbewegendes darin verbergen? Als dem Mexikaner und seiner temperamentvollen Familie ein blauer Skarabäus entgegenkommt, ist die Verwirrung groß. Nach der Konfusion dann direkt der K.O.-Effekt: der Parasit nistet sich in die Wirbelsäule des Jobsuchenden ein und sein Leben nimmt eine schockierende Wende. Plötzlich muss er sich mit ungewohnten Kräften zurechtfinden. Der mechanische Käfer, offenbar ein Artefakt aus weit entfernten Galaxien, dient ihm von nun als Exoskelett - als Schutzpanzer, der sich nicht mehr wieder ablegen lässt. Der Hightech-Anzug öffnet Jaime neue Türen, rückt ihn aber gleichzeitig ins Visier schelmischer Imperialisten. Victoria Cord (Susan Sarandon) momentane Chefin der Cord Industries, plant die Mächte des außerirdischen Käfers zu nutzen, um eine Armee von Supersoldaten zu erschaffen. Boshafte Machenschaften, die der frischgebackene Anzugträger mit allen Mitteln verhindern zu versucht.

    Doch kann der Latino-Superjunge auch die voranschreitende Misere des DC-Universums unterbinden? Den von Blockbuster-Anarch James Gunn („The Suicide Squad“) geplanten Neuanfang einladenden Spielraum ebnen? Ja und Nein. Selbstironisch getaktete Comedy, Showdowns im billigen CGI-Blitzlichtgewitter: vor einigen Fallen des Genres ist auch diese Origin-Story nicht gefeit. Doch gelingt der heroischen One-Man-Show etwas, das selbst die Konkurrenz von Marvel seit einiger Weile nicht mehr gebacken bekommt. „Blue Beetle“ mag Teil eines größeren Universums sein, die Erzählung wirkt aber erfrischend kompakt und in sich geschlossen. Regisseur Soto gestaltet diese Origin-Story ganz nach eigenem Belieben - fern von hypernostalgischen Referenzausbrüchen, fern von erzwungener Interkonnektivität. Die Action bleibt meist intim und charaktergebunden, im Hintergrund wummert ein synthielastiger Score elegant vor sich hin: so viel Stilsicherheit ist im gegenwärtigen Comicfilm-Sektor ein seltener Fund. Zumal auf narrativer Ebene Risiken eingegangen werden, die Gewicht tragen. Ja, gewohnte Erzählschwierigkeiten machen auch hier nicht Halt – ja, die Geschichte rund um Selbstfindung und Entfaltung, Familie und Zusammenhalt mag vertraut, schlimmer noch: bisweilen gerade geklaut daherkommen. Doch die aufrichtige Emotionalität und die harmonische Chemie des diversen Casts halten den Film mühelos zusammen. Wenn denn zum Beispiel die sonst harmlose Omi der Hauptfigur (Adriana Barraza) dem Imperialismus inbrünstig den Kampf ansagt, ist das lustiger, als all das Superheldenkino, das sich vor seiner kauzigen Comic-Identität zu scheuen scheint. Und das allerwichtigste: aller bekannter Erzählelemente, aller geläufiger Stolpersteine zum Trotz schafft sich der Film seine eigene Identität. Und dieses Credo sollte man sich im Hause DC hinter die Ohren schreiben: weniger beim Konkurrenten abschauen, mehr Freiheit den einzelnen Filmschaffenden überlassen. Dann, ja vielleicht dann mag das Studio eventuell wirklich auf eine rosige Zukunft zusteuern.
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    04.09.2023
    08:59 Uhr
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    Die Ehrenrettung des Pillendrehers

    Zac Snyders großes Superheldenkino ist leider Geschichte. Zugegeben, ich war und bin ein Fan seines Stils. Snyders Zugang zu den Heroen von DC ist nach wie vor und aus meiner Sicht der treffsicherste. Vor allem jener, der den Comics aus vielerlei Hinsicht am gerechtesten wird. Da mag der düstere Batman von Matt Reeves vielleicht gar zu viel in den Abgrund geblickt haben – im Snyder Cut der Justice League oder eben auch im Extended Cut von Dawn of Justice findet das auf die Leinwand gewuchtete Superman-Universum genau die richtige Balance zwischen opernhafter Schicksalssymphonie und Teamgeist.

    James Gunn will nun alles anders machen. Es soll bunter, lustiger, schräger werden. Für die Suicide Squad hat das perfekt gepasst. Für andere Superhelden-Genesen womöglich weniger. Wie für Blue Beetle zum Beispiel. Denn bunter, lustiger, schräger ist nicht gleich unverkrampft. Wer auf Teufel komm raus dem Konkurrenten Marvel nacheifern will – auch wenn dieser schon längst in einer Identitätskrise steckt – wird niemals einen eigenen Stil zustandebringen. Snyder hatte ihn. Nach ihm waren DC-Filme, mit wenigen Ausnahmen, nur noch eine Irrfahrt, insbesondere bei Black Adam. Bei Blue Beetle schwebt überdies noch der Anspruch über allem, dem ungeliebten Nachbarn Mexiko einen Comic-Actionfilm zu schenken, der das Temperament der Lateinamerikaner feiern und den Charme typischer Telenovelas versprühen soll. Stellt sich die Frage: Wie geht die Tragikomik einer politkritisch angehauchten Sozialkomödie mit den Prinzipien eines kunterbunten Actionfilms um?

    Die Blue Beetle zugrundeliegende Tragik, die von einer lebenslustigen mexikanischen Familie aus der Halbvolles-Glas-Perspektive betrachtet wird, ist jene einer zutiefst verschuldeten und sozial benachteiligten Unterschicht, deren letzte Hoffnung im Studienabschluss des nun erwachsen gewordenen Sohnemanns liegt. Der kehrt vom Auslandsstudium wieder in die heimischen Gefilde zurück, nur um die Hiobsbotschaften seiner Liebsten zu vernehmen, die vom Herzinfarkt des Vaters und vom baldigen Verlust des Hauses erzählen. Die Zukunft von drei Generationen liegt also auf den Schultern von Jaime Reyes, dessen Ausbildung auch nicht dazu beiträgt, einen besseren Job zu ergattern als den einer Haushaltshilfe bei Victoria Kord (Susan Sarandon – nach langer Leinwandabstinenz wieder da und kein bisschen gealtert). Uns sagt der Name wohl nichts – im DC-Universum ist die Dame oberste Chefin eines den Stark Industries verwandten Rüstungskonzerns. Deren Nichte Jenny steht mit ihr auf Kriegsfuß, und als Jaime dann ein paar Tage später in den Heiligen Hallen des Konzerns reinschneit, um seine Karrierechancen zu verbessern, drückt ihm die junge, hübsche Konzernerbin eine Burger-Box in die Hand, mit der Bitte, dessen Inhalt mit dem eigenen Leben zu beschützen. Die Neugier ist zwar ein Hund, aber diesmal ist Bello eher ein Käfer, der sich vor den Augen der ganzen Familie auf Jaimes Rücken schnallt. Bald ist die finstere Victoria nicht nur hinter unserem Helden, sondern auch hinter dessen Familie her. Und Familie ist, wie wir alle wissen, das höchste Gut, dass es zu verteidigen gilt.

    Neu ist das Ganze nicht. Die ethnisch diverse Familienbande mit Improvisationstalent – die unterschätzte Oma, die gerne zu Großkalibrigem greift; die schnippische, aber herzensgute Schwester. Und der Auserwählte, der nicht weiß, wie ihm geschieht. Bei Disney+ schildert die Genese von Ms. Marvel genau die gleiche Geschichte. Der einzige Unterschied: Ein raffgieriger Rüstungskonzern mit skrupellosen Schema F-Schreckschrauben, die alle Macht an sich reißen wollen – Gähn. Blue Beetle erzählt hier ein Abenteuer, dass so vorhersehbar ist, dass man sich sehnlichst wünscht, mit seinen Prognosen danebenzuliegen. Wenn dann eintritt, was zu erwarten war, lähmt der mangelnde Unterhaltungswert die bereits ungesunde Haltung im Kinosessel, Augenrollen inklusive.

    Was bei Blue Beetle vielleicht funktioniert, ist die liebenswerte, aber schrecklich naive Figur von Xolo Maridueña. Seine anfängliche Verwirrung, wenn sich extraterrestrische Technik, die an Iron Man erinnert, Venom-gleich in den Körper gräbt und die Kontrolle übernimmt, ist das Launigste an einem Film, der seine ernstzunehmenden Ambitionen missachtet und die trivial-kitschige Fernsehkultur eines Landes, ausgerichtet für ein Massenpublikum, als As im Ärmel missversteht. Der 80er-Synthiesound, die Neon-Graffiti-Graphik im Vorspann – eine Liebesmüh, die sich nicht rentiert. Wenn der Held in seiner dunkelsten Stunde ins Jenseits schielt, um Verstorbene zu treffen, dann ist das nicht so reizend und authentisch wie in Coco – Lebendiger als das Leben. Dann ist das so kitschig wie so manche Illustration aus den Lebensratgebern endzeitaffiner Religionsgemeinschaften. Wenn der Held durch Hass und Wut, und durch sonst nichts das Schicksal für sich entscheiden kann, lacht sich anderswo der Imperator ins Fäustchen.

    Blue Beetle ist das Schwächste, was DC seit langem produziert hat. Ein zuckersüßer Mischmasch ohne eigene Ideen und einer Sozialkritik, die nur alibihalber ins Skript kam. Wäre die Gewichtung vielleicht eine andere, würde der Film seine Landsleute auch ernst nehmen, hätte der Film gar das Zeug zu einer vielleicht kontroversen, volksnahen Identitätsfindung.



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    22.08.2023
    17:48 Uhr