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9 Bewertungen
77.2% Bewertung
  • Bewertung

    Thriller

    Bei Erscheinen wollte - aus unterschiedlichen Gründen - kaum jemand diesen Film sehen. - Mit Abstand betrachtet, kann ich nur sagen : Ein grandios inszenierter Thriller, mit einem hervorragenden Schauspielerinnen-Ensemble.
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    27.08.2023
    12:14 Uhr
  • Bewertung

    Eine unbequeme Wahrheit

    Exklusiv für Uncut
    Macht. Selten wird ein Begriff im Alltag so unterschiedlich benutzt wie der Macht-Begriff. Was ist Macht? Max Weber schreibt: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen.“ Was bedeutet das? Jede zwischenmenschliche Beziehung beruht auf Hierarchie und damit auf einem Machtgefälle, das dazu dient, der gegenüberliegenden Person den eigenen Willen aufzuzwingen. Beispiele: die Beziehung zwischen Eltern und Kind, zwischen Angestellten und leitenden Personen und seit jeher auch die Beziehung zwischen Frau und Mann. Nach Jahrzehnten feministischer Kämpfe um rechtliche Gleichstellung gelangen mehr und mehr die verdeckten, die familiären, die in den Hinterzimmern dieser Welt stattfindenden Abhängigkeitsverhältnisse zum Vorschein. Als Beispiel für sexualisierten Machtmissbrauch sondergleichen brachte der 2017 enthüllte Skandal um den gigantischen US-Filmproduzenten Harvey Weinstein die MeToo-Bewegung ins Rollen, er gilt als „seismic shift“, als gesellschaftliche Zäsur. Maria Schrader hat nun die journalistische Hintergrundarbeit um die beiden den Skandal enthüllenden „New York Times“-Journalistinnen in „She Said“ filmisch umgesetzt.

    Carey Mulligan kennt dieses feministische Metier. Bereits 2020 glänzte sie oscarnominiert in „Promising Young Woman“ und 2015 schon begleitete sie den Beginn der Frauenbewegung in Großbritannien als „Suffragette“. Sie spielt die Investigativ-Journalistin Megan Twohey, die sich an der beginnenden Recherche von Jodi Kantor zur Weinstein-Akte beteiligt. Diese wiederum wird von Zoe Kazan, bekannt aus „The Big Sick“, so herausragend porträtiert, dass das Fein- und Mitgefühl in den Gesprächen mit den betroffenen Frauen völlig zur Geltung kommt. Angestellt bei der New York Times ermitteln die beiden Journalistinnen im besagten Fall und veröffentlichen nach aufwühlenden Interviews einen Online-Artikel im Oktober 2017, in dem sich mehrere Belästigungs- und Vergewaltigungsopfer erstmals zusammenschlossen und gemeinsam von ihren Erfahrungen berichteten. Emotionale Ankerpunkte sind genau diese mit Rückblenden gespickten aufwühlenden Erinnerungen. Bemerkenswert im Cast ist der Auftritt von Ashley Judd, die sich selbst spielt als ein bezeugendes Weinstein-Opfer. Judd wurde wegen einer Warnung der Weinstein-Brüder eine Rolle in der erfolgsgekrönten Trilogie „Der Herr der Ringe“ verwehrt. In solchen Fällen drückt sich die Macht Weinsteins aus, indem er den Willen der Darstellerinnen bricht und bei Ablehnung der Avancen die jeweiligen Karrieren zerstört.

    „Ich finde es fantastisch, dass wir unseren Film in dem Moment enden lassen, in dem der Artikel veröffentlicht wird. Der Rest ist Geschichte. Alles, was danach passiert, haben wir erlebt und miterlebt.“ Mit diesen Worten beschreibt die Regisseurin Maria Schrader („Vor der Morgenröte“, „Ich bin dein Mensch“) die Dramaturgie ihrer ersten US-Produktion „She Said“, die sich in erster Linie mit der journalistischen Arbeit befasst und die Opfer zu Wort kommen lässt. Dabei repräsentiert die ruhige Kamera von Natasha Braier eine unaufdringliche Klarheit von hoher Präzision, die die Dialoge besonnen aufnimmt und den Geschädigten den nötigen Respekt zollt. Zusammen mit den wohldosierten Schnitten ergibt sich eine der Materie entsprechende Offenheit. Insbesondere unangenehme Sequenzen bezwingt der Film nicht durch rohe, personalisierte Gewalt, sondern durch subtile Einstellungen eines Hotelzimmers oder durch aus dem Off mit Originalmitschnitten unterlegte Hotelgänge. Die Bedeutung des Gesagten soll hervorgehoben werden, die Relevanz der Stimme. Sie ist es auch, die den sich wiederholenden Dialog-Settings die Einzigartigkeit jeder Person entgegensetzt. Bisweilen drängen zum Ende hin gängige Suspense-Konventionen in die Handlung, was die letzten Minuten hollywood-like inszeniert erscheinen lässt, der hohen Authentizität aber nur bedingt schadet. Während der Corona-Lockdowns standen die Redaktionsräume der NY Times leer und konnten als reale Drehorte herhalten.

    Inhaltlich zehrt der Film vom fantastischen Drehbuch. Rebecca Lenkiewicz hat das Sachbuch der beiden Journalistinnen „She Said – Breaking the Sexual Harassment Story That Helped Ignite a Movement“ aus dem Jahr 2019 adaptiert und hervorragende Arbeit geleistet. Die Dialoge sind scharf, respektvoll, aufwühlend und wahren trotzdem eine wichtige Distanz. Lenkiewicz arbeitet vor allem die Strukturen hinter dem Missbrauch heraus: durch Geheimhaltungsvereinbarungen (Non-Disclosure Agreements) schaffte es Weinstein, dass er weder polizeilich noch juristisch belangt werden konnte; die Opfer wurden mundtot gemacht, um seine Stellung nicht gefährden. Es wird gezeigt, wie es ist in dieser sexistischen patriarchalen Welt als Frau zu arbeiten, Angst, Scham, Trauma, Unterdrückung gehen hier Hand in Hand. Darüber hinaus spricht der Film vielseitige Themen wie Medienkorruption, postnatale Depression, Suizid und Care-Arbeit an. Neben dem beruflichen Kampf gegen Ungerechtigkeiten leben die beiden Journalistinnen im familiären Kreis möglichst gleiche Rollenverteilung vor. Das Private ist immer auch politisch.

    Maria Schrader gelingt mit „She Said“ nicht nur ein intelligenter Film über Investigativjournalismus, nicht nur ein präzis-ehrliches zeitgeschichtliches Dokument über sexualisierten Machtmissbrauch, sondern auch ein zutiefst emotional intensives, sensibles Werk über die Notwendigkeit eines solidarischen feministischen Kollektivs. Nur mit einer gemeinsamen Stimme und Vertrauen können eingerostete patriarchale Machtstrukturen aufgebrochen werden. Der Weinstein-Skandal sorgte dahingehend für grundlegende Veränderungen im Umgang mit Frauen im Filmgeschäft. Doch, wenngleich „She Said“ hoffnungsvoll und optimistisch endet, bleibt die erschütternde Aussage von Jodi Kantor: „Stell dir mal vor, wie viele Harveys es da draußen gibt…“
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    27.12.2022
    12:50 Uhr
  • Bewertung

    Durch die Mauer des Schweigens

    Der Despot ist immer und überall, ganze zwei Stunden lang. Er durchdringt die Geschehnisse, die Schicksale und den Widerstand gegen Machtwillkür wie eine körperlose Entität – und dennoch haben wir ihn immer vor Augen, diesen beleibten, ekelhaften Riesen, der nur ein Wort zu sprechen braucht, schon würden alle nach seiner Pfeife tanzen. Bei so viel Macht liegt die Schuld auch bei denen, die diese Macht überhaupt erst zuließen. Wie bei jedem Tyrannen. Dieses Mal ist es Harvey Weinstein, ein zu 23 Jahren Haft verurteilter Frauenschänder, der nichts mehr genossen hat als seine Macht auf sexueller Ebene auszuspielen. Das so jemand Filme wie Pulp Fiction oder Shakespeare in Love ermöglicht hat, würde man am liebsten verdrängen. So wie Maria Schrader die physische Präsenz des Miramax-Imperators bis auf ganz wenige Szenen ausspart, weil es vollends genügt, einfach nur die Möglichkeit anzudeuten, einer wie er treibt überall sein Unwesen.

    Dass sich durch den Verzicht des Abbildens diese Präsenz noch mehr verstärkt als durch schnöde Nachahmung, ist eines der Hattricks in diesem präzise ausformulierten Drehbuch von Rebecca Lenkiewicz, welches Maria Schrader genauso präzise in Szene setzt. Und wahrlich: Im Gegensatz zu ihrem letzten Film, den sehenswerten Androiden-Philosophikum Ich bin dein Mensch ist She Said ungleich komplexer – eine inszenatorische Abschlussprüfung, ein aus unzähligen Einzelteilen und ebenso vielen Gesichtern bestehendes Recherche-Puzzle, das sehr viel Fingerspitzengefühl erfordert, um keinen Faden zu verlieren oder in Erklärungsnotstand zu geraten. Schrader war sich ihrer Aufgabe bewusst – und steht in ihrer Sorgfalt Regiekollegen wie Alan J. Pakula (Die Unbestechlichen), Adam McKay oder Tom McCarthy (Spotlight) in nichts nach, wenn es heißt, die Chronik weltverändernder Geschehnisse aufregend genug auf die Leinwand zu bringen.

    Der erste kluge Schachzug in der Inszenierung ist die Vorwegnahme eines Einzelschicksals in wortloser Klarheit und in wenigen Szenen: Wenn Laura Madden nach anfänglicher Euphorie, an einem Filmset zu arbeiten, in der nächsten Szene plötzlich verzweifelt weinend die Straße runterläuft, ihre Kleider unter dem Arm, dann sagt das alles: Hier passiert jede Menge Unrecht, und zwei New York Times-Journalistinnen, die sich auf investigative Recherchen verstehen, nehmen sich dieses Themas an. Erstmal geht es nur im Allgemeinen um sexuelle Belästigung in der Filmbranche, später dann wird es konkret: Besagter Harvey Weinstein dürfte einigen Dreck am Stecken haben, davon können nicht nur Promis wie Rose McGowan, Gwyneth Paltrow und Ashley Judd (Chapeau vor so viel Engagement – sie spielt sich nämlich selbst) ein Klagelied singen, sondern auch unzählige Assistentinnen, die als verstörtes Lustobjekt Weinsteins mit Geld und Verschwiegenheitsklauseln mundtot gemacht wurden. Dabei ist Weinstein vielleicht nur die Spitze des Eisberges, während gerade in dieser Branche Nötigung und Missbrauch scheinbar überall als Teil der Firmenpolitik gebilligt werden.

    Wir wissen, wie es bislang ausgegangen ist. Wie es aber dazu kam, und mit welchem Eifer und welchem Teamgeist die New York Times – gedreht wurde an Originalschauplätzen wie tatsächlich in der Zeitungsredaktion – hier am Ball geblieben war, weiß zu faszinieren. Carey Mulligan und Zoe Kazan als das Ermittlerduo Jodi Kantor und Megan Twohey ordnen sich schauspielerisch dem großen Ganzen unter. Sie transportieren ihre Rollen mit genügend Persönlichkeit, aber nicht zu viel, um ihre eigene Biografie daraus zu machen. Dabei stechen speziell die kleinen Nebenrollen aus der Fülle an Namen hervor, wie Weinsteins Sprachrohr Lenny oder Samantha Morton als Zelda Perkins, die mit einem bewegenden Dialog die Zeit stillstehen lässt.

    Die Zeit ist in diesem Film übrigens ein Trugschluss. Bei einer Länge von zwei Stunden mutet der Film viel länger an, was aber nicht zum Nachteil gereicht. Grund dafür ist die Fülle an Wendungen, Puzzleteilchen und Intermezzi, die diesen Journalismus-Thriller nie langweilig werden lassen, sondern am Köcheln halten. Dabei bleibt das Streben nach erzählerischer Klarheit stets vorrangig. Vielleicht verdrängt diese Methode mitunter die Emotionalität, will aber auch Menschen wie Kantor und Twohey ebenso danken wie dem Umstand, dass Frauen angesichts solch erlittener Schmach niemals mehr ihre Stimme verlieren müssen.
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    10.12.2022
    18:02 Uhr