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    Bewegend

    Die Frauen einer mennonitischen Gemeinschaft werden regelmäßig Opfer von brutalen sexuellen Übergriffen. Als sie erkennen, dass es weder böse Geister sind noch Einbildung, wie man ihnen einzureden versucht, müssen sie eine Entscheidung treffen: Bleiben und um ihre Rechte kämpfen, nichts tun oder weggehen.

    Die Frauen, die kaum lesen und schreiben können, machen eine Abstimmung und durchlaufen einen Prozess der Selbstermächtigung. Im Laufe der intensiven Gespräche, finden sie Worte für das, was ihnen widerfahren ist. Die Art und Weise wie die Entscheidungsfindung erfolgt, ist sehr bewegend. Sie lernen die patriarchalen Strukturen zu benennen, die sie niederhalten und zum Schweigen bringen wollen.

    Nach einer wahren Geschichte, inszeniert von Sarah Polley.

    Hochkarätiges Ensemble mit Schauspielerinnen wie Claire Foy, Rooney Mara und in einer Nebenrolle Frances McDormand. Exzellent gespielt.
    16.03.2023
    15:58 Uhr
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    Stay? Fight? Or Leave?

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Die sexuellen Übergriffe, die sich zwischen 2005 und 2009 innerhalb der Mennoniten-Kolonie Manitoba in Brasilien ereigneten, dienten der Schriftstellerin Miriam Toews als lose Vorlage für ihr Buch „Women Talking“, welches 2018 publiziert wurde. Schauspielerin Sarah Polley verfasste auf Grundlage dessen ein Drehbuch, das sie unter dem gleichnamigen Titel verfilmte. Das Drama stellt Polleys vierten Eintrag als Regisseurin und Drehbuchautorin dar, als Produzent*innen dienten unter anderem Brad Pitt und Frances McDormand (die auch in einer Nebenrolle zu sehen ist).

    Eine Handvoll Frauen - darunter Ona (Rooney Mara), Salome (Claire Foy) und Mariche (Jessie Buckley) - versammelt sich in einer alten Scheune, um ihre Zukunft in der gemeinsamen mennonitischen Gemeinschaft zu besprechen. Der Grund für das Treffen: die Männer der Kolonie verübten körperliche Gewalt an den Frauen, jedes einzelne weibliche Mitglied wurde dabei nachts unter Drogen gesetzt und vergewaltigt. Wie wollen die Frauen nun weiter vorgehen? Bleiben und nichts tun? Kämpfen? Oder die Kolonie verlassen? Lediglich der Lehrer August (Ben Whishaw) soll als einziger männlicher Bewohner der Sitzung beiwohnen und die Gespräche protokollieren.

    „Diese Geschichte endet, bevor du geboren wurdest“: Sarah Polleys Literaturverfilmung beginnt mit der jugendlichen Stimme Autjes (Kate Hallett), die damit - im Gegensatz zu Toews Buch, in dem August die Rolle des Erzählers einnimmt - die Geschichte aus weiblicher Sicht skizziert. Das kammerspielartige Drama konzentriert sich dabei zum Großteil der Handlung auf die Diskussionen, die in einer Scheune stattfinden. Denn, wie der Titel schon vermuten lässt: in „Women Talking“ wird sehr viel geredet.

    Dabei geht es in „Women Talking“ natürlich vordergründig um Selbstermächtigung, wenn Frauen, die in einer sozialen Gesellschaftsordnung aufgewachsen sind, in der sie stets eine untergeordnete Rolle einnahmen, darüber diskutieren, welche Folgen das Handeln der Männer für sie bedeutet. Dem Film gelingt es in diesem Sinne zwar aufzuzeigen, was ihnen dabei wichtig ist bzw. was ihnen fehlt (Wohl der Kinder, gefestigter Glaube, Zugang zu Bildung), allerdings wirken die Dialoge doch sehr konstruiert. Das Drehbuch scheint dabei häufig die Linie eines möglichst zügigen Unterbringens bestimmter Argumente zu verfolgen und verliert dabei leider oft seinen Fokus.

    Daneben wird häufig auf Rückblenden zurückgegriffen, die vor allem zwei Zwecke erfüllen: Zum einen werden hier in kurzen Zwischensequenzen die ungeschönten Folgen der Übergriffe gezeigt, die das emotionale Trauma des Geschehenen nochmal visuell verdeutlichen. Zum anderen werden Anekdoten eingestreut (prominentestes Beispiel: die Pferde Cheryl und Ruth), die die ernste Grundstimmung vermutlich auflockern sollen, dabei aber leider meistens über ihr Ziel hinausschießen. Die Versuche der Einbringung von Humor sind nämlich ein Aspekt, der in „Women Talking“ – zumindest für mich – gar nicht funktioniert hat.

    Das schwierige Konzept, das dem Film zugrunde liegt, kann aufgrund seiner stimmigen Inszenierung aber über dramaturgische Schwächen hinwegtäuschen. Die dumpfe Farbgestaltung, die dabei zum Einsatz kommt, vermittelt nicht nur ein ausgesprochen tristes Bild, sondern ergänzt sich auch besonders gut zur ruhigen Filmmusik von Hildur Guðnadóttir, die schon bei der Miniserie „Chernobyl“ bewies, dass sie durch ihre Musik bestimmte Emotionen evozieren kann. Die Atmosphäre, die durch das Zusammenspiel dieser Elemente entsteht, liefert den Darsteller*innen die perfekte Bühne für nuancierte Performances, unter denen vor allem Claire Foy in ihrer Rolle als aufgebrachte Rachepredigerin hervorsticht.

    Zugegeben, die Möglichkeiten, die „Women Talking“ hinsichtlich seiner Ausführung besitzt, sind aufgrund seines speziellen Handlungsaufbaus schon sehr beschränkt. Gerade deshalb funktioniert aber auch die Konzentration auf das gesprochene Wort so gut – wenngleich dieses doch sehr konstruiert wirkt. Die Darsteller*innen wissen jedoch zu überzeugen, was bei einem so schauspieler*innenbasierten Film wohl ausschlaggebend ist.
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    07.11.2022
    19:59 Uhr
  • Die Entbehrlichkeit der Männer

    Alle Männer sind böse. Zumindest hat das Jessie Buckley zuletzt in Alex Garlands surrealem Kunsthorror Men so erlebt. Jeder Mann, dem Buckley da begegnet war, hat das selbe Gesicht getragen. Wie gruselig. Und beklemmend obendrein. Jetzt ist Jessie Buckley wieder dieser Testosteron-Hydra ausgesetzt. In Sarah Polleys Regiestück Die Aussprache (im Original: Women Talking) ist aber dann doch nicht jeder einzelne innerhalb dieses genitalgesteuerten Patriarchats so richtig schlecht. Ben Wishaw zumindest nicht. Doch der ist aus seiner Sicht ein Verlierer, ein ehemaliger Verstoßener, der nur deswegen zu seiner mennonitischen Gemeinde irgendwo in Bolivien zurückkehren durfte, weil er für jene als Lehrkraft von Nutzen sein kann. Er ist es auch, der Protokoll führt, sitzend auf einem Ballen Stroh, das Notizbuch vor sich liegend und als einziger des Alphabets mächtig. Die Frauen sind das nicht, aber zumindest dem Willen Gottes unterworfen oder besser gesagt jenem Willen, denn die evangelische Freikirche den Männern zugestanden hat. Man sieht wieder: Religion und Gleichheit vertragen sich nicht. Und haben es niemals getan.

    Und eines Nachts ist es dann passiert: Einer der Männer aus der Gemeinde wird während eines sexuellen Übergriffs ertappt – um sich aus der Sache rauszuwinden, verpfeift er alle anderen, die dasselbe getan haben – jahraus, jahrein. Der Glaube sagt: duldet nur, dafür kommt ihr ins Himmelreich. Die Frauen meinen: Mumpitz, so geht das natürlich nicht weiter. Also werden all die Männer angeklagt, die übrigen versuchen, eine Kaution für all die Verbrecher zusammenzubekommen, also bleiben nur die Frauen in der Gemeinde zurück, um zu beraten, was sie nun tun sollen. Da gibt es drei Möglichkeiten: Alles so belassen wie es war und den Männern vergeben (was die Freikirche auch verlangt), zu bleiben und zu kämpfen oder alles Notwendige zusammenzupacken und wegzuziehen. Irgendwohin, wo keine Männer sind, denn die sind ohnehin entbehrlich. Über das Für und Wider zur kommenden Entscheidung wird diskutiert, geredet und geweint, geschrien und gelacht. Dann wieder vorgeworfen und um Verzeihung gebeten. Am Ende wird der Schlussstrich in welcher Form auch immer gezogen werden. Hoffentlich aber im Sinne der Menschlichkeit, der Gleichheit und der Freiheit für das weibliche Geschlecht.

    Woher die Kraft beziehen, um die Konventionen zu brechen? Woher den Mut zur Selbstbestimmung? Sarah Polley (u. a. Take this Waltz) will Antworten und hat sich dem auf Tatsachen beruhenden Roman von Miriam Toews angenommen, der sich aber weniger nach Prosa sondern vielmehr nach Bühne anfühlt. Kann sein, dass im Roman die Vorgeschichten der dargestellten Frauen ebenfalls geschildert werden, doch man kann sich insofern glücklich schätzen, in Polleys Film fast keinen Gewaltdarstellungen ausgesetzt zu sein. Auf Vergewaltigung, Missbrauch von Minderjährigen und Schlägen ist man ohnehin nicht neugierig. Es ist mehr als genug, zu sehen, welche Narben und Wunden all die Frauen zu ihrer Aussprache mitbringen. Das reicht von der ungewollten Schwangerschaft bis zum womöglich aus Inzest entstandenen, missgestalteten Kind. Dazwischen Blessuren und blutende Unterleiber. Die wenigen Momente, in denen wir Zeuge von solchem Gräuel werden, reichen, um sowieso einen Hass auf alles Männliche (mit Ausnahme von Ben Wishaw) zu entwickeln, umso mehr auch deswegen, weil Männer ansonsten in diesem Film gesichtslos bleiben und auch keine Chance bekommen, sich zu äußern. Ist das aber nicht eine viel zu einseitige Darstellung? Könnte man meinen – doch kein einziges Wort würde solche Gewalt rechtfertigen. Missstände wie diese lassen sich in einer erzkonservativen Männerwelt leicht für möglich halten. Demnach hätte dem Film auch daran gelegen sein müssen, mit den erstarrenden Dogmen einer Freikirche aufzuräumen, von denen es viele gibt in den Vereinigten Staaten, und die reaktionärer nicht sein könnten. Doch Gott weist hier immer noch den Weg, die Frauen wollen ihm näher sein, hinterfragen aber viel zu wenig ihre eigene Position innerhalb ihres Glaubens. Was sie bewegt, ist die Frage des Befreiens, weg vom Mann. Die Abstimmung um die Ausgliederung aus einer Paargesellschaft gestaltet sich in entsättigten, dunklen Bildern und mutet an wie das Dialogdrama der Zwölf Geschworenen von Reginald Rose – nur im #MeToo-Kontext. Bis alle einer Meinung sind, vergehen Stunden des Diskurses, doch vieles dreht sich auch im Kreis. Wirklich in die Tiefe gehen die Gespräche nicht.

    Doch was zählt, ist das aufgebrochene, verkrustete Machtsystem. Polley hilft ihren gezeichneten Gestalten behutsam aus dem Sumpf des Leidens und sucht den Neuanfang; mal panisch, mal resignierend, mal zuversichtlich. Die Aussprache scheint vieles, was zur #MeToo-Thematik filmisch bereits dargestellt wurde, zusammenzuzählen und auf gleichen Nenner zu bringen. Die Konsequenz daraus mag vielleicht nicht unbedingt die richtige Lösung sein. Aber zumindest eine, die auf idealistische Weise etwas verändern kann.
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    29.10.2022
    18:08 Uhr